Kultur

16.09.2019

Morbide Fantasien, unsichere Verhältnisse und bahnbrechende Wissenschaft


Marc Elsberg

Mordsharz in Herzberg mit Marc Elsberg, Christine Brand und Gunnar Kunz

...von Christian Dolle

Warum setzten sich die Mordsharz-Besucher in Herzberg undurchsichtige Augenmasken auf? Es geschah bei der Lesung der Schweizerin Christine Brand, die die Masken an ihre Zuhörer verteilte. Anschließend bekamen sie ein Telefongespräch zu hören, in dem ein Anrufer die Angerufene darum bat, ihm via Smartphone das blaue Hemd herauszusuchen. Dann jedoch ertönen am anderen Ende seltsame Geräusche, die Frau schreit, das Gespräch bricht ab.

Mit dieser Szene beginnt Christine Brands Krimi „Blind“ und sie beschreibt eben, dass der blinde Nathaniel über die App be my eyes eine Sehende um Hilfe bittet und dann zu hören glaubt, wie diese Frau ermordet wird. Leider will die Polizei Nathaniel nicht glauben, so dass er selbst versuchen muss, die Wahrheit herauszufinden.
Diese App, so erläuterte die Autorin, gibt es wirklich, auch das reale Vorbild für Nathaniel lernte sie in ihrer Zeit als Journalistin kennen und das Buch entstand, weil sie sich fragte, was wohl passiere, wenn ein blinder Menschen übers Telefon ein Verbrechen mit anhört, ohne eben Augenzeuge zu sein.

Dass sie solche Gedanken hat, habe mit ihrer Kindheit in einem Dorf im Emmental zu tun. „Ja, das ist das Tal, wo der Käse herkommt“, erklärte sie, „und mein Vater war der Bestatter des Ortes. Daher habe ich in einem Leichenwagen das Autofahren gelernt und habe heute mitunter morbide Fantasien.“ Zu diesen morbiden Fantasien kommt aber auch langjährige Erfahrung als Gerichtsreporterin, so dass ihr Krimi wie auch ihre Lesung sehr plausibel in eine eigentlich unbegreifliche Geschichte entführte.
Zuvor entführte Gunnar Kunz sein Publikum in die Zeit der Weimarer Republik, also die Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges, in der die Verhältnisse in Berlin unsicher waren, es noch viele alte Verstrickungen gab und manche Menschen sich nach jenen sehnten, die endlich wieder geordnete und stabile Verhältnisse herstellen. Dabei beschreibt der Autor junge Männer, die sich für einen gewissen Adolf Hitler begeistern, Joseph Goebbels taucht im Krimi auf und auch wenn alles historisch genau recherchiert ist, erinnert es in vielen Punkten doch an die heutige Zeit.

Das sei natürlich kein Zufall, erläuterte Gunnar Kunz im Interview, er möchte mit seinen Büchern Geschichte so vermitteln, dass sie seine Leser berührt und ihnen auch alltägliche Dinge und Zusammenhänge nahebringt, die in den Geschichtsbüchern nicht auftauchen. Neben seiner Krimireihe, so erzählte er, schreibt er aber auch Kinderbücher, sozusagen als Ausgleich. Dank dieser Mischung ist „Schwarze Reichswehr“ auch schon der sechste Band und damit, so betonte er mit einem Augenzwinkern, schreibe er sogar schon länger Krimis, die im Berlin der 1920er Jahre spielen, als Kollege Volker Kutscher mit seiner Reihe um Gereon Rath.
Zum Abschluss des langen Krimiabends im Welfenschloss las Marc Elsberg aus seinem Thriller „Gier“, in dem es, wie auch in „Blackout“, in „Zero“ oder in „Helix“ um ein brandaktuelles Thema geht. Ein Nobelpreisträger soll auf einem Wirtschaftskongress eine Rede halten, es kommt jedoch zu einem Unfall, den der Wissenschaftler nicht überlebt und sein offenbar bahnbrechendes Manuskript ist auch noch verschollen.

Was folgt ist zum einen eine rasante Jagd durch Berlin, zum anderen immer wieder auch Teile des Redemanuskripts, das deutlich macht, woran der Kapitalismus unserer Zeit krankt und wie er vor dem Untergang bewahrt werden kann. Auf genau diese Wirtschaftstheorie, die natürlich auf Fakten basiert, ging Marc Elsberg dann vortragsartig ein, riss einiges durch ausgewählte Beispiele an und schaffte es damit, die Zuhörer trotz fortgeschrittener Stunde zum Nachdenken zu bringen. So beispielsweise auch mit einer Szene aus dem Roman, in der es um das Spiel Monopoly und seinen Vorgänger geht. Dort heißt es sehr treffend: „Ein Spiel mit vielen Gewinnern passt wohl nicht in unsere Zeit.“

Dabei möchte er eigentlich gar nicht als düsterer Prophet unserer Zeit auftreten, betonte Marc Elsberg, gerade mit diesem neuesten Buch möchte er im Grunde Mut machen, dass es auch anders geht. Denn genau das besage die reale Wissenschaft hinter dem Roman und belege das eindeutig mathematisch. Wie sich das berechnen lässt, muss allerdings jeder selbst recherchieren, eindeutig war an diesem Abend jedenfalls, dass auch dieser dritte Festivaltag ein großer Erfolg war und drei hervorragende Autoren in den Harz holte.



Christine Brand

Gunnar Kunz

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