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01.04.2017

Das Sanatorium - Kapitel 13


Unsere Short Story steuert langsam aber sicher auf ihr Finale zu. Doch noch sind die Entdecker nicht in Sicherheit. Im Gegenteil, es wird noch einmal äußerst gefährlich. Den letzten Teil gibt es dann in der nächsten Woche.

von Christian Dolle

Kapitel 13 - Rasante Flucht

Es war als entwickle das alte Sanatorium eine ganz eigene Geräuschkulisse. Oben ächzte das Holz im Dachstuhl, unten blubberte es leise in den Heizungsrohren und irgendwo ließ ein Luftzug eine Tür in ihren Angeln quietschen. Kim horchte in die Dunkelheit und war vor allem froh, dass er die drei Typen gerade nicht in seiner Nähe hören konnte. Mochten die Geister des Hauses Helene ihr Konzert geben, das, was sie von den Lebenden zu befürchten hatten, war viel schlimmer.

Auch wenn er auf alles gefasst war, zuckte er zusammen als plötzlich die große Eingangstür geöffnet wurde. „Sie müssen im Haus sein“, raunte der eine dem anderen zu. So leise es mit Springerstiefeln möglich war, durchschritten sie die Halle und warfen einen Blick in die Flure. „Die können sich hier überall verstecken“, stellte der eine fest. „Die Räume hier unten sind alle fast leer“, gab der andere zurück, „aber oben gibt es sogar noch Schränke, in denen sie sich verstecken können. Los, wir gehen hoch.“ „Ihr sitzt in der Falle und wisst es nur noch nicht“, freute sich der andere.

Nico und Kim hielten den Atem an als die beiden die Treppe hinaufstiegen, keine dreißig Zentimeter über ihren Köpfen. Es rieselte sogar etwas Staub durch die Ritzen und auf ihre Köpfe. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit atmete Kim tief ein. „Ich bin dafür, wir versuchen doch, mit dem einen da draußen fertig zu werden“, schlug Nico erneut vor. Kim überlegte hin und her. Sie könnten es schaffen. Andererseits waren die beiden anderen schnell wieder unten, wenn sie Krach hörten und bis zum rettenden Campingplatz war es noch ein weiter Weg.

Ihr Geister dieser Heilanstalt, flehte er stumm, ihr armen gequälten Seelen, lasst nicht zu, dass es uns hier drin genauso dreckig ergeht wie euch. Wenn es euch irgendwie möglich ist, dann helft uns, diesem Horrorhaus zu entkommen. Lasst die Typen zu Stein werden, sperrt sie in einen Kellerraum ein oder jagt ihnen einen Schreck ein, so dass sie schreiend weglaufen, aber tut bitte irgendwas, damit sie uns nicht finden.
Von oben hörten sie jetzt, wie Türen geknallt wurden und die Typen einige Räume durchsuchten. Ihre Schritte kamen ihnen unnatürlich laut vor, sie hallten von den Wänden wider und verbreiteten sich im ganzen Haus. Vor allem als sie auf der Treppe ins zweite Obergeschoss waren, dröhnte es unheilvoll wie hektisch pochender Herzschlag. Noch lauter war allerdings das Krachen, das mit einem Mal ertönte und nach dem es für einige Sekunden ruhig blieb.

Einer der Kerle musste eine der kaputten Stufen erwischt haben, die auch Gideon und Sarah hatten stolpern lassen. Das hölzerne Krachen war bis draußen zu hören und lockte den dritten der Männer an. Er lief quer durch die Eingangshalle, dann ein paar Stufen hoch und rief: „Ist alles okay bei euch?“ Als er zunächst keine Antwort bekam, stieg er noch höher, bevor ihn einer der anderen anbrüllte: „Verdammte Scheiße, das ist alles total morsch hier. Aber verpiss du dich gefälligst nach draußen!“

Kim zog Nico am Arm und rief: „Lauf!“ Vielleicht war es ihre einzige Chance, im Moment jedenfalls die beste, die sie bekommen konnten. So schnell sie konnten hetzten sie zur Tür, sprangen die Stufen der Treppe herunter, rannten über das Grundstück und duckten sich stolpernd durch den Zaun. „Los, weiter“, presste Kim zwischen zwei Atemzügen hervor. Mit einem schnellen Blick über die Schulter sah er, dass einer der Männer gerade an der Tür war. Viel Vorsprung hatten sie nicht, also auch keine Zeit zu verlieren.

Darum verstand er auch nicht, warum Nico erst einmal zu dem Lieferwagen rannte. Er öffnete die Tür, stieß ein triumphierendes „Ja“ aus und stieg ein. Sekundenbruchteile später heulte der Motor auf und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. Kim sprang schnell auf die Beifahrertür zu und zog sich gerade noch hinein, bevor Nico auch schon Vollgas gab. „Da haben wir unseren Vorsprung“, jubelte er.

Ohne auf den schlechten Zustand der Straße oder die scharfen Kurven zu achten, raste Nico in Richtung Campingplatz. Die Bäume rauschten an ihnen vorbei und die Scheinwerfer erfassten nur flüchtig, wohin sie fuhren. Sie durften keine Zeit verlieren, das war das einzige, was jetzt zählte. Kim krallte sich mit der rechten Hand am Türgriff fest, die linke hielt er in Brusthöhe, um Nico in seiner Höllenfahrt zur Not schnell ins Lenkrad greifen zu können.

Nach einer viel zu langen Zeit kamen die Hütten endlich in Sicht, sie bogen um die letzte Kurve und dann sahen sie auch schon die anderen. Doch sie waren nicht allein. „Jacky“, stieß Nico aus. Aus einem Reflex heraus bremste er ab, doch Kim fuhr ihn an, er sollte auf keinen Fall anhalten. „Fahr genau auf sie zu“, forderte er entschlossen, „Die denken doch, wir gehören zu denen und fühlen sich sicher.“ Jetzt musste alles ganz schnell gehen und sie durften sich keinen Fehler erlauben. Ein bisschen Glück oder wohlgesonnenes Schicksal oder Beistand aus dem Jenseits konnte dabei auch nicht schaden.

Tatsächlich ließ der Mann, der sich gerade daran machte, die anderen zu fesseln, das Seil los als er den Lieferwagen direkt auf sich zukommen sah, während alle anderen fassungslos stehenblieben und sich nur panisch umsahen. Er kam auf die Fahrzeugtür zu. „Warum habt ihr das Pack oben entwischen lassen?“, fragte er in der Annahme, seine Kumpel vor sich zu haben. Als die Antwort ausblieb, zog er kurz die Augenbrauen zusammen und kam dann misstrauisch näher. Gerade als er nur noch einen Schritt entfernt war, rammte Kim ihm die Tür mit voller Wucht ins Gesicht.

„Kommt schon, steigt ein“, rief er den anderen zu. Zum Glück reagierten sie schnell genug und Gideon riss geistesgegenwärtig die Seitentür auf. Er, Meena, Acy und Sarah hechteten hinein, nur Jacky konnte sich nicht schnell genug aus dem Griff des anderen Typen befreien und wurde von ihm brutal zur Seite gezerrt.

Da er keine Zeit zum Nachdenken hatte, handelte Kim aus dem Bauch heraus, sprang aus dem Fahrzeug und auf den Kerl zu. Bevor der reagieren konnte, versetzte ihm einen gezielten Tritt zwischen die Beine, packte Jackys Hand und zog sie zu sich auf den Beifahrersitz. Sofort trat Nico das Gaspedal wieder durch und der Lieferwagen raste mit durchdrehenden Reifen vom Parkplatz.

Im Rückspiegel sah er wenig später Scheinwerfer aufblenden, die beiden Männer nahmen also die Verfolgung auf. Nico heizte in rasantem Tempo weiter. „Pass bloß auf“, warnte Meena von hinten, „wenn wir jetzt vor einem Baum hängenbleiben, haben wir alles wieder verspielt.“ Das andere Auto war jetzt dicht hinter ihnen. Für einen Moment dachte Kim, die wollten versuchen, sie von der Straße abzudrängen, doch sie verfolgten sie lediglich und jagten ihnen auch damit mehr als genug Angst ein.

„Fahr schneller“, flehte Sarah verängstigt. „Auf keinen Fall“, widersprach Acy, „das wollen die doch nur, damit wir dann einen Unfall bauen.“ Zum Glück ließ Nico sich nicht verunsichern.  Endlich erreichten sie die Straße in die Stadt und er gab wieder Vollgas. Die beiden Kerle verfolgten sie immer noch. „Geradeaus und an der Ampel dann links“, ordnete Gideon an, „noch ein paar hundert Meter, da ist dann die Polizei. Die können uns nichts mehr. Leute, wir haben's geschafft.“ Als sie auf den Hof der Dienststelle einbogen, wendete das andere Auto und sie alle atmeten auf.


 

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