Kultur / Rezensionen

10.09.2018

Was ist nötig, um einen Menschen zum Mörder zu machen?


Melanie Raabe liest bei Mordsharz im Welfenschloss Herzberg aus „Der Schatten“

...Christian Dolle

Am 11. Februar wirst du einen Mann namens Arthur Grimm töten. Mit gutem Grund. Und aus freien Stücken. Diese Prophezeiung erhält Norah kurz nachdem sie nach Wien zieht von einer mysteriösen Bettlerin. Norah kennt keinen Arthur Grimm und sie glaubt auch nicht, dass sie in der Lage wäre, einen Menschen zu töten. Doch die nächsten Tage und Wochen entwickeln sich so seltsam, dass sie das Leben der jungen Journalistin vollkommen aus den Angeln heben.

Allein durch diese Ausgangssituation fesselt Melanie Raabe ihre Leser an ihren aktuellen Thriller „Der Schatten“ und wirft sie in eine spannende Geschichte, in der nichts unmöglich erscheint. Kann eine solche Vorhersage zum Töten verleiten? Was ist nötig, um einen Menschen zum Mörder zu machen? Und welches Geheimnis trägt Norah mit sich herum?

Melanie Raabe gibt im Moment als das größte Talent der deutschen Thriller-Szene, ihr Debütroman „Die Falle“ löste einen regelrechten Kampf um die internationalen Rechte aus und auch die Filmrechte wurden inzwischen gesichert. Die Kritiken überschlagen sich mit Lob und ihre Fans erwarteten mit Spannung den inzwischen dritten Roman der in Jena geborenen und in Köln lebenden Bestsellerautorin.

Nun ist ein angekündigter Mord im wahren Leben absolut erschütternd, im Krimi- und Thrillergenre jedoch bestenfalls guter Durchschnitt. Das allein ist es aber auch nicht, was „Der Schatten“ so fesselnd macht. Natürlich ist es spannend, mitzuerleben, wie Norah nach dieser später in der Menge verschwundenen Bettlerin und nach dem ihr unbekannten Arthur Grimm sucht und sich rational klar macht, wie absurd es sei, aufgrund eines solchen Satzes einen Menschen zu töten, während ihr Unterbewusstsein von dieser Vorstellung aber nicht loskommt.

Darüber hinaus aber ist Melanie Raabe mit ihrer Norah eine äußerst plastische Protagonistin gelungen, die Ecken und Kanten hat bzw. Licht und Schatten in sich vereint, so dass die Frage, welche Dunkelheit aus der Vergangenheit sie mit sich herumträgt immer mehr an Bedeutung gewinnt. Antworten darauf gibt die Autorin wohl dosiert und so, dass immer wieder neue Fragen aufkommen und sich allmählich ein psychologisch durchaus komplexes Bild entwickelt.

Das erweist sich ebenso als eine große Stärke des Buches wie die sich zum Ende hin entwickelnde Metaebene, die die Frage nach Möglichkeiten der Manipulation aufwirft und durchaus erschreckend zeigt, wie leicht es gerade unsere modernen Welt macht, Menschen in eine bestimmte Richtung zu drängen. Vor allem aber erzählt Melanie Raabe ihre Story in einer ebenso eleganten und bildhaften wie zeitgemäßen Sprache, die den Roman schon allein dadurch vom Durchschnitt abhebt.

So ist „Der Schatten“ insgesamt ein Thriller, der immer wieder überrascht, sich niemals mit genretypischen Klischees aus der Affäre zieht, sondern bis zum Ende originell und ideenreich bleibt und das auf einem hohen literarischen Niveau. Ihrer starken Ausgangssituation wird Melanie Raabe mehr als gerecht, ebenso ihrem Ruf als eine der interessantesten Vertreterinnen ihrer Zunft und dieses Buch ist eines, das nicht einfach so im Regal verschwindet, sondern durchaus nachwirkt.

Am kommenden Donnerstag, 13. September, ist Melanie Raabe bei Mordsharz im Welfenschloss Herzberg zu Gast. Lesung und Live-Interview stehen auf dem Programm, ebenso natürlich noch etliche weitere spannende Autoren, die im Rahmen des Harzer Krimifestivals vom 12. bis 15. September in Wernigerode, Herzberg, Nordhausen und Goslar ihre aktuellen Bücher vorstellen. Alles zum Programm gibt es unter www.mordsharz-festival.com.

 

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