Kultur / Rezensionen

14.07.2018

Auf dem rechten Auge blind?


In „Die schützende Hand“ vermischt Wolfgang Schorlau Krimi mit Fakten der NSU-Morde

von Christian Dolle

Im NSU-Prozess wurde in dieser Woche ein Urteil gesprochen. Dennoch blieben viele Fragen um die drei angeblich völlig allein agierenden Neonazis unbeantwortet. Einigen dieser Ungereimtheiten widmet sich Wolfgang Schorlau in seinem Buch „Die schützende Hand“.

Interessant dabei ist vor allem, dass der Autor das Buch als Krimi aufbaut, in dem sein Privatdetektiv Georg Dengler von einem Unbekannten beauftragt wird, herauszufinden, wer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschoss. Dengler stellt schnell fest, dass an der offiziellen Version, die in allen Medien verbreitet wurde, einiges nicht stimmen kann und Schorlau bezieht sich dabei immer wieder ganz explizit auf real existierende Akten, Vernehmungsprotokolle und sogar Tatortfotos.
Allein diese Vermischung von Fakten und Fiktion nach dem Motto 'Nichts ist spannender als die Wirklichkeit' macht den Krimi zu etwas Besonderem. Auffällig ist allerdings auch die Akribie, mit der der Autor recherchierte und zahlreiche Details zusammenträgt, die den angeblichen Tathergang des Selbstmordes der Täter in einem Wohnmobil wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen.

Verstrickungen der Behörden

Privatdetektiv Dengler deckt klar auf, dass hier staatliche Organisationen und insbesondere der Verfassungsschutz ordentlich mitgemischt haben, wodurch Schorlau einen anderen Ablauf – wie er betont „deutlich realitätstüchtiger als die offiziellen Bekundungen“ – der damaligen Ereignisse konstruiert. Er zeigt dabei auf, wie eng die Verstrickungen der Behörden mit der Neonaziszene in Deutschland sein könnten und sät begründetes Misstrauen gegenüber dem Umgang unseres Staates mit rechter Gewalt.

Sein Fall deckt nur einen kleinen Teil der ganzen Geschichte ab, wirft aber immer weitere Fragen auf nach der Rolle des Verfassungsschutzes allgemein oder nach dem wahren Aufklärungswillen des entsprechenden Untersuchungsausschusses (bei dem er andeutet, dass der damalige Vorsitzende den Posten nur bekam, weil er für den Fall, dass er zu viel aufdeckt, mit einer sehr unschönen Sache erpressbar ist). Auch die Behörden und Medien, die rechte und linke Gewalt gleichsetzen und damit vieles relativieren, obwohl Polizeistatistiken etwas anderes sagen, bekommen ihr Fett weg und ebenso keimt der Verdacht auf, dass auch aktuellere Anschläge auf Flüchtlingseinrichtungen und ähnliche Fälle mit den alten Seilschaften zu tun haben könnten.

Systematisch vorbereitet

Einer der Figuren läuft es „plötzlich eiskalt über den Rücken bei der Vorstellung, dass die Angriffe auf die Hilflosesten aller Hilflosen von einer Regierung systematisch vorbereitet und geschürt worden waren“. Und einen anderen Protagonisten, einen ehemaligen Stasi-Mitarbeiter, lässt Schorlau erzählen: „Und die Skinheads richteten ihre Wut erst mal gegen die Punks und die Hippies. Das haben wir genau beobachtet. Da nahmen sie uns die Arbeit ab.“

Denglers Ermittlungen werden oft genug als Verschwörungstheorien betitelt und als unglaublich hingestellt, doch die Verdachtsmomente werden deutlich aufgezeigt und mögen durch ihren hohen Wahrheitsgehalt manchen Leser verstören. Trotzdem bleibt das Buch immer ein Krimi und darf damit als Fiktion auch Position beziehen, was dem Roman gut tut. Er deckt deutliche Ungereimtheiten in der offiziellen Version des Böhnhardt- und Mundlos-Selbstmordes auf, entwickelt aber auch eine Theorie, was wirklich passiert sein könnte und warum dies nicht an die Öffentlichkeit dringen durfte.

Nicht beantwortete Fragen

Allerdings stellen sowohl der Autor als auch sein Ermittler dies immer wieder auch als Spekulation dar, urteilen letztlich nicht, sondern werfen lediglich Fragen auf, die bis heute im Prozess um die letzte Überlebende des Trios, Beate Zschäpe, nicht beantwortet wurden. Gerade wie er Realität und Deutung mischt, macht sein Werk so spannend und sensibilisiert für allzu einfache Erklärungsversuche in unserer komplizierten Welt.

„Ich kenne die vollständige Wahrheit über die rechtsterroristischen Verbrechen des NSU und die Verwicklungen der Staatsschutzbehörden darin ebenso wenig wie andere“, sagt Schorlau, „Allerdings bin ich mir mittlerweile sicher, dass die offizielle Erzählung über die NSU, die Geschichte eines isolierten verbrecherischen Trios, von dem zwei Personen tot sind und die dritte ihrer Verurteilung entgegensieht, haltlos ist.“

Diese Rezension ist schon einmal im Eseltreiber erschienen, aufgrund des Prozessendes haben wir uns entschlossen, sie noch einmal zu veröffentlichen.

 

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