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22.06.2018

„Europa als politisches Wesen ist gestorben“


Abdul Abbasi, Lino Klevesath, Viola von Cramon und Haytam Hmeidan bei der Informartionsveranstaltung der Grünen zum Thema „Die Zukunft Syriens“.

Die Zukunft Syriens war Thema einer Informationsveranstaltung der Grünen

von Herma Niemann

Osterode. Der Krieg in Syrien dauert nun schon seit über sieben Jahren und die Hoffnung auf Frieden scheint immer noch in weiter Ferne zu sein. Inwiefern Europa und die internationale Gemeinschaft einen Anteil an dieser Situation hat war Thema der Informationsveranstaltung der Grünen im Altkreis Osterode, die einmal im Monat im Rahmen ihres Kommunalpolitischen Arbeitskreises zu verschiedenen Gesprächsrunden einladen.

Als Gesprächsgäste hatten die Grünen den wissenschaftlichen Mitarbeiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, Lino Klevesath, Abdul Abbasi (syrischer Blogger und Buchautor) und Haytam Hmeidan (ehemaliger Mitarbeiter des Syrischen Auswärtige Amtes und Mitglied im Verein „Citizen Diplomats for Syria“) eingeladen. Die Moderation hatte Viola von Cramon, ehemalige Bundestagsabgeordnete und Vorstandssprecherin der Grünen im Kreisverband Göttingen, übernommen.

Informationen zu den Ursachen des Konflikts lieferte Lino Klevesath, der lange Zeit im Libanon gelebt hat. Klevesath beschrieb, dass mit der Übernahme des Regimes im Jahr 2000 durch Baschar al-Assad viele Menschen Hoffnung auf Reformen hatten, die jedoch nur in Form von wirtschaftlichen Reformen zu spüren gewesen seien. Mit dem arabischen Frühling im Jahr 2011 wuchsen erneut die Hoffnungen. Angefangen hatte der Arabische Frühling 2010 mit der Selbstverbrennung eines tunesischen Gemüsehändlers. Die Proteste führten in Marokko und Jordanien zu weitreichenden Reformen. In Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen stürzten sie die damaligen Machthaber. In Syrien brach ein Bürgerkrieg aus und im Herbst 2014 erfolgte erste Flüchtlingswelle. Die Rolle der internationalen Gemeinschaft, die hätte einschreiten können, beschrieb Klevesath als verstrickt und problematisch, mehrere Friedenstiftungs-Bemühungen scheiterten, wobei die USA und die EU-Staaten nicht den Rücktritt sondern Reformen gefordert hätten. Dauerhafter Frieden könne wohl nur über die Entmachtung Assads einkehren, Russland und China lehnen dieses jedoch ab.

Aus eigener Erfahrung schilderte Haytam Hmeidan die Situation in Syrien, wo er zu der Zeit Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes war. Die wirtschaftlichen Reformen unter Assad hätten das Land zerrissen, da nur die Befürworter des Regimes davon profitiert hätten. „Das war Treibstoff für den Aufstand“, so Hmeidan, der beschrieb, wie innerhalb von fünf Monaten das Land gespalten worden sei. Es habe die Unterstützer, die Gegner und diejenigen gegeben, die abwarten und sich auf die Seite des „Gewinners“ schlagen wollten. Für ihn und seine Kollegen im Auswärtigen Amt sei nach den Verhaftungen und Folterungen der Jugendlichen, die 2011 „Nieder mit dem Präsidenten“ an eine Mauer sprühten, klar gewesen, dass diese Vorgehensweise des Regimes von nun an „das Rezeptbuch der Gewalt“ sei, wie er es nannte. „Die internationale Gemeinschaft hat an vielen Stellen komplett versagt. Europa als politisches Wesen ist gestorben“, so Hmeidan, der betonte, dass viele Chancen zur Hilfe verloren seien und Europa seine Glaubwürdigkeit als freiheitliches Organ eingebüßt habe, da niemand geholfen habe.

„Wenn wir damals die notwendige Hilfe bekommen hätten, hätten wir heute keine solche Situation“, so Abdul Abbasi, der im Jahr 2013 mit seiner Familie nach Deutschland geflohen ist. Erst hier in Deutschland habe er verstehen können, was das Recht auf Freiheit und freie Meinungsäußerung bedeute. Oft werde er gefragt, ob er nicht wieder in seine Heimat zurückkehren wolle. Doch wenn man erst einmal mit dem normalen Recht auf Freiheit und Würde sein Leben bestreite, wäre das undenkbar, so Abbasi, ein Sprichwort in Syrien besage „Die Stiefel eines Geheimdienstoffiziers sind mehr Wert als das Zertifikat eines Professors“.

Die EU schenke Freiheit und stehe für Demokratie, freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit, so Almut Mackensen (Sprecherin des Grünen Ortsverbandes Osterode). „Europa kann es nur gut gehen, wenn es auch den Nachbarn gut geht“. Eine Teilnehmerin, die früher in Syrien lebte und selbst kurzfristig inhaftiert wurde, betonte, dass es Frieden und Reformen nur mit Assad geben könne. Der Familien-Clan kontrolliere seit Jahrzehnten Wirtschaft, Politik und Militär. Zudem ist bekannt, dass Verwandte des Staatschefs die einflussreichsten Divisionen befehligen und den Geheimdienst kontrollieren.


Viola von Cramon und Haytam Hmeidan

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Abdul Abassi und Lino Klevesath

 

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