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25.02.2017

Das Sanatorium - Kapitel 8


Im Keller des Sanatoriums ist es nicht nur dunkel und unheimlich, wie die Entdecker feststellen müssen. Dort verbirgt sich auch ein reales schreckliches Geheimnis.

Kapitel 8 - Grausiger Fund

von Christian Dolle

Die Stufen in den Keller waren aus Stein, ebenso der Boden hier unten und die Decken so niedrig, dass zumindest Nico und Kim ihre Köpfe einziehen mussten. Die Wände bestanden aus unverputztem Backstein, nur hier und da von Graffiti geziert. Ansonsten entsprach die Aufteilung der der oberen Etagen und ein langer Flur zog sich über die gesamte Länge des Gebäudes. Die meisten Räume hatten hier unten keine Türen, einige dafür welche aus Metall, von denen sich ein Großteil nicht öffnen ließ, weil sie entweder verschlossen waren oder sich in den letzten Jahren verzogen hatten.

„Hinter all diesen Türen sitzen wahrscheinlich unschuldige Opfer, die die Geister hier seit Jahren gefangenhalten“, mutmaßte Gideon, klopfte an eine der verschlossenen Türen und hielt dann sein Ohr daran als warte er auf eine Antwort. „Dieser hier sagt, er kam als Sprayer her, ist jetzt schon über drei Jahre eingesperrt und das Schlimmste ist, mittlerweile ist kein Platz mehr an den Wänden.“ „Ist ja echt gemein. Die sollten ihm doch wenigstens jedes Jahr eine jungfräuliche Zelle spendieren“, entrüstete sich Meena gespielt.

Gideon schüttelte vehement den Kopf. „Du weißt doch, es sind Nazi-Geister. Graffiti sind für die entartete Kunst.“ „Wenn es wirklich Nazi-Geister sind, sollte ich mich von denen nicht erwischen lassen“, gab sie zynisch zurück, „Als Muslimin hätte ich bei denen nichts zu lachen.“ Acy war sich nicht ganz sicher, ob sie über diese Art von Humor lachen durfte. War es richtig, sich über die Schrecken des Dritten Reiches lustig zu machen? Oder war es womöglich sogar vernünftig, solche Scherze nicht zu tabuisieren und den Faschismus damit als so lächerlich und willkürlich zu entlarven, wie er eigentlich ist?

„Eigentlich wären wir alle am Arsch“, stellte Sarah fest. „Wer andere Menschen hasst, findet immer irgendeinen Grund, diesen Hass zu rechtfertigen. Das ist es doch gerade, diese Willkür, mit der Unterschiede gemacht werden. Letztlich ist es egal, ob du Muslimin bis oder Kim...“ Sie stockte und suchte nach den richtigen Worten. „...als Schwuchtel hätte ich auch nicht gerade die besten Karten“, sprach er aus, was sie hatte umschreiben wollen. „Nur Nico, der ist blond und blauäugig. Oder hast du auch dunkle Geheimnisse?“, fragte er lachend.

„Kein Geheimnis ist, dass ich euch gerade ziemlich albern finde“, gab er zurück und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Aber vielleicht müssen wir den Nazis und anderen in einem Punkt ja sogar dankbar sein. Wenn die keine Experimente an Menschen gemacht hätten, wären wir heute medizinisch in vielen Bereichen noch etliche Schritte zurück. Heute ist das alles moralisch verwerflich, aber auf die Erkenntnisse von damals greifen wir trotzdem gerne zurück. Und wer weiß, welche Krankheiten inzwischen schon heilbar wären, wenn es weiterhin Humanversuche gegeben hätte.“

In Acys Magen krampfte sich etwas zusammen. „Halt die Klappe, du Arschloch“, platzte es aus ihr heraus, „Kein Fortschritt ist es wert, dass Menschen dafür leiden müssen. Lieber sterbe ich an einer Krankheit als zu wissen, dass andere für meine Heilung so gequält wurden.“ Nach ihrem Ausbruch herrschte eisiges Schweigen. Acy ärgerte sich über sich selbst und wich den Blicken der anderen, sogar Sarahs, erst einmal aus. Andererseits war es wahrscheinlich völlig normal, dass ihre Anspannung in diesem dunklen Keller mit seiner noch dunkleren Vergangenheit ein Ventil brauchte. Denn was tatsächlich in diesen Zellen passiert war, konnte und wollte sich keiner von ihnen allzu genau ausmalen.

Während Meena und Gideon wieder die Kamera aufbauten, prüften die anderen, ob sich weitere Türen öffnen ließen. Bei jeder, die nicht verschlossen war, stieg ihr Adrenalinspiegel, weil sie immer darauf gefasst waren, dahinter auf etwas Unerwartetes zu stoßen. Zum einen war es die diffuse Angst vor übernatürlichen Phänomenen, die keiner von ihnen ganz und gar von sich weisen konnte, zum anderen auch eine etwas realistischere Furcht vor Zeugnissen aus der Vergangenheit, die sie von da an verfolgen würden.

„Ach du Scheiße!“, rief Kim plötzlich fassungslos. Er stand vor einem Raum fast am Ende des Ganges und seine erstarrte Körperhaltung verriet, dass darin tatsächlich etwas war, mit dem er nicht gerechnet hatte. Zögerlich, weil ängstlich kamen die anderen näher. Nico schaute zuerst in den Raum, dann Gideon und Meena, schließlich Sarah und dann auch Acy. Zunächst wollte sie es gar nicht recht glauben und sog scharf die Luft ein, die hier unten kühl war und modrig roch. Dann wagte sie einen zweiten Blick und wusste augenblicklich, dass dieser Fund nicht einfach nur ein bedeutungsloser Blick in die Vergangenheit des Sanatoriums war.

In dem Raum befanden sich Regale voller Militärgegenstände aus der Nazizeit, Hakenkreuzflaggen und in der hinteren Ecke drei große Kisten mit Waffen. Ohne sich näher damit auszukennen, wussten sie sofort, dies waren keine zurückgelassenen Objekte früherer Tage, sondern eine brandaktuelle Sammlung, die jemand ganz bewusst hier versteckte.

Schritt für Schritt gingen sie näher heran und nahmen das Zeug in Augenschein. Orden mit SS-Rune waren darunter, Stahlhelme mit Hakenkreuz, viele Propagandaschriften und einiges mehr, was selten offen gehandelt wird, auf manchen Märkten aber eine Menge Geld bringt. „Ist das Zeug nicht verboten?“, fragte Sarah in die Stille. „Hakenkreuze und SS-Runen auf jeden Fall“, antwortete Kim, „das sind Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen oder wie das heißt. Bei dem anderen Zeug bin ich mir nicht sicher.“ „Also, dass die Waffen legal sein sollen, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“, fügte Acy hinzu.

Sie gingen noch näher heran und nahmen die Kisten genauer in Augenschein. Obwohl sie sich alle nicht damit auskannten, schien ihnen diese Sammlung alles andere als harmlos zu sein. Für ihre Augen sahen die Maschinengewehre und Pistolen gut gepflegt und damit vermutlich sogar nutzbar aus. Außerdem gab es im Regal daneben jede Menge Pakete mit Munition. Den Eindruck von reinen Sammlerstücken machten sie somit nicht.

Nico nahm ein Gewehr in die Hand und blickte durchs Zielfernrohr. „Leg das wieder hin“, zische Meena umgehend. War die Erkundung des Sanatoriums bis eben auch noch Spaß gewesen, das hier war in jedem Fall Ernst und sie mussten überlegen, was sie jetzt machten. „Lasst uns einfach verschwinden und die Sache vergessen“, schlug Sarah vor. Kim schüttelte vehement den Kopf. „Und ein illegales Waffenlager einfach so verschweigen? Auf keinen Fall. Wir müssen sofort die Bullen rufen. Wer weiß, was es hiermit auf sich hat.“ Nico lachte kehlig auf und sagte dann: „Kannst du gerne machen. Aber dann erklär du mal, warum du nachts in ein abgeriegeltes Gebäude eingedrungen bist.“ Das war in der Tat ein Problem.

„Trotzdem“, protestierte Kim, „wir können das hier nicht einfach so auf sich beruhen lassen.“ Acy pflichtete ihm bei und meinte auch, der Fund sei zu brisant, um einfach zu gehen und so zu tun als sei nichts gewesen. Wer weiß, um was es sich hierbei handelte. Möglicherweise waren es nur seltene Stücke, mit denen jemand eine Menge Geld machen wollte, trotzdem waren es Waffen, die sehr wahrscheinlich sogar funktionsfähig waren und dann wog das sicher mehr als das Eindringen in ein leerstehendes Gebäude.

Gideon stimmte ihr zu und überzeugte auch die anderen, den Fund zu melden. „Wenn ihr wollt, dann sagen Kim und ich aus, dass wir alleine hier waren und halten euch da raus.“ Dagegen konnte keiner etwas sagen. Allerdings beteuerten Meena und Acy fast gleichzeitig, sie würden sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Und während Acy schon zum Handy griff, hielt Gideon ihr Handgelenk fest. „Warte noch“, bat er, „wenn ich mich schon strafbar mache, kann ich das ganze Zeug wenigstens noch filmen.“

Nico wirkte immer noch unzufrieden mit der Mehrheitsentscheidung, doch auch er wartete bis die drei ihre Aufnahmen gemacht hatten. Ob sie diesen Teil des Videos auf Youtube veröffentlichen konnten, wussten sie nicht, doch Acy sah ein, dass Gideon sich lange ärgern würde, wenn er jetzt nicht mit der Kamera draufgehalten hätte. Als sie das Equipment einpackten, wählte Acy die Nummer der Polizei und stellte fest: „Ach Mist, kein Netz.“ Die anderen probierten es aus, doch auch sie hatten hier keinen Empfang.

„Liegt wahrscheinlich an den Bergen drumherum“, vermutete Meena. „Oder daran, dass der Harz immer noch tiefste Provinz ist, was den Anschluss an die digitale Welt angeht“, kommentierte Nico.  Dann würden sie die Polizei eben vom Campingplatz aus benachrichtigen. Zumindest wollten sie sich jetzt schleunigst auf den Rückweg dorthin machen. Fast schon im Laufschritt machten sie sich auf den Weg zur Kellertreppe, durchquerten die Eingangshalle und kletterten durch das Fenster hinaus, durch das sie auch hereingekommen waren. Dabei half Nico Sarah ganz gentlemanlike, so dass sie ihr Bein so wenig wie möglich belasten musste.

Der Mond stand jetzt hoch am Himmel und es war deutlich kälter geworden. Das wiederum konnte aber auch nur ihre persönliche Wahrnehmung sein. Ganz objektiv dagegen war ein Surren, das näher kam und zu einem Motorengeräusch anschwoll. „Jacky?“, flüsterte Sarah ohne große Überzeugung. „Glaube ich nicht“, sagte Nico kopfschüttelnd, „Warum sollte sie bis hierher fahren? Sie wird im Zelt auf mich warten und sauer sein, weil wir so lange unterwegs waren.“

Ganz deutlich erkannten sie jetzt einen Lieferwagen, der vor dem Zaun zum Stehen kam, genau dort, wo das Loch war, durch das sie das Gelände verlassen mussten. Die Scheinwerfer gingen aus, der Motor wurde abgestellt und drei Männer stiegen aus. Zielsicher steuerten sie auf die offene Stelle im Zaun zu. Es war sicher kein Zufall, dass sie ausgerechnet jetzt hier auftauchten.


 

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