Kultur / Rezensionen

19.08.2017

Drogen, Drohnen, Dystopie


Die Lieferantin liefert Spannung auf höchstem Niveau.

Zoë Beck liest bei Mordsharz aus ihrem Thriller „Die Lieferantin“

von Christian Dolle

„London, vielleicht bald.“ Diesen Satz hat Zoë Beck ihrem neuen Thriller vorangestellt. „Die Lieferantin“ heißt das Werk und handelt von Drogengeschäften in der britischen Hauptstadt, die durch einen neuen Mitbewerber auf dem ebenso lukrativen wie unter den Kartellen klar verteilten Markt aus dem Lot geraten. Die Neue liefert mittels Drohnen aus, schnell, anonym und scheinbar ohne Risiko. Der etablierten Unterwelt macht das ebenso zu schaffen wie eine politische Diskussion über entweder härtere Gesetze oder aber eine Legalisierung.

London, vielleicht bald. Bald. Es ist eine Zukunft, die nicht weit von der Gegenwart entfernt scheint. Das Szenario ist durchaus bald denkbar, was ja ein Merkmal von Zoë Becks Krimis ist. Schon im Vorgänger „Schwarzblende“, der mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde, griff sie ein Thema auf, das erschreckend aktuell war, und geht diesmal eben noch einen Schritt weiter, indem sie spekuliert, wozu Technik fähig ist und vor allem aus welchen Motiven Menschen sie für ihre Zwecke nutzen.

Vielleicht. Es ist eine Zukunftsvision, fast schon eine Dystopie, aber eine äußerst plausible. Die Geschichte wirkt äußerst gut recherchiert, zumal die Drohnen nicht das einzige aktuelle Element sind. Auf der anderen Seite ist das der sogenannte Druxit, also die Pläne der Regierung, rigoros gegen Drogen vorzugehen. Nach dem Brexit und einem politischen Rechtsruck scheint das der konsequente nächste Schritt zu sein. Die Drogenbosse stört das wenig, ihre Geschäfte sind ohnehin illegal, doch die Angst vor schlechterer medizinischer Versorgung für Suchtkranke und wachsender Beschaffungskriminalität ruft eine Gegenbewegung hervor.

London. „Die Lieferantin“ spielt unverkennbar in Großbritannien, wo Zoë Beck auch selbst lebte. Das allerdings hat nicht nur mit dem Szenario nach dem Brexit zu tun, sondern auch viel mit dem Schreibstil der Autorin. Von den ersten Kapiteln an wirkt der Thriller wohltuend international, ohne typisch deutschen moralischen Zeigefinger. Und trotz des politischen, technischen und allgemein recht düsteren Settings blitzt in den Figuren neben aller Coolness und Tragik manchmal ein wenig schwarzer Humor auf.

Überhaupt scheint Zoë Beck neben der Handlung größten Wert auf ihre Figuren gelegt zu haben, von denen keine blass wirkt und die erfreulicherweise meist weder eindeutig Held noch Schurke sind. Sie alle haben Ecken und Kanten und agieren auch noch manchmal übereifrig, manchmal hilflos, wodurch sie ihre Situation nicht eben verbessern. Damit bewegt sie ihre Leser, zwingt geradezu, selbst Position zu beziehen. Mehr kann man von einem Krimi wohl kaum erwarten.

Ja, es lässt sich nicht verleugnen, „Die Lieferantin“ ist eine absolute Bereicherung für die deutsche Krimiszene, fast so als hätte jemand die erschreckend realistischen Zukunftsvisionen eines Marc Elsberg mit der dreckig-liebenswerten Figurenzeichnung eines Irvine Welsh gekreuzt. Auf „Trainspotting“ nimmt Beck dann auch direkt Bezug und tatsächlich hat auch ihre Lieferantin das Zeug zum Kultbuch.

Bei Mordsharz hat sie ja schon einmal aus „Schwarzblende“ gelesen und damit ihr Publikum in Wernigerode überzeugt. In diesem Jahr ist sie mit „Die Lieferantin“ erneut beim Krimifestival im Harz vertreten, nämlich am Samstag, 16. September, in Bad Lauterberg. Analog zu Zoë Becks erstem Satz kann hier der letzte also nur lauten: „Harz, auf jeden Fall, zum Glück schon bald.“

Alles weitere zum Programm des diesjährigen Mordsharz-Festivals vom 13. bis 16. September in Wernigerode, Goslar und Bad Lauterberg ist auf www.mordsharz-festival.de zu finden.

 

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