Kultur / Rezensionen

24.06.2023

Was wir alle verbergen


Linus Geschke wird bei Mordsharz aus „Die Verborgenen“ lesen

von Christian Dolle für Mordsharz

Als ich relativ jung in der Redaktion einer Lokalzeitung angefangen habe, sollte ich einen Artikel über eine Frau schreiben, in deren Haus eingebrochen worden war. Der Sachschaden war relativ gering, doch diese Verunsicherung, im eigenen Haus nicht sicher zu sein, saß tief, so tief, dass selbst ich es nie vergessen werde. Wie schlimm muss es dann erst sein, festzustellen, dass ein Fremder schon seit geraumer Zeit heimlich mit unter dem eigenen Dach lebt?

Genau darum geht es in Linus Geschkes Thriller „Die Verborgenen“. Phrogging nennt sich dieses Phänomen und allein, dass es dafür ein eigenes Wort gibt, ist erschreckend. Im Roman geht es um das Haus der Familie Hoffmann, auf deren Dachboden sich jemand über längere Zeit versteckt hält, um sie zu beobachten, um ihre intimsten Geheimnisse herauszufinden.
 
Geheimnisse haben die Hoffmanns genug. Vater Sven fühlt sich in der Ehe jetzt nach Jahren nur noch unwohl und Mutter Franziska ergeht es nicht anders, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ihre 17-jährige Tochter Tabea hingegen ist wie auch ihre Freundinnen und die ganze Schule mit dem Verschwinden der etwas älteren Rebecca beschäftigt, nur schient sie etwas mehr darüber zu wissen als die Polizei bisher. 

Die große Stärke des Romans oder vielmehr von Autor Linus Geschke ist die Figurenzeichnung. Schon in den ersten Kapiteln werden die beiden Ehepartner so plastisch dargestellt, dass sie wie Menschen aus der eigenen Nachbarschaft wirken. Menschen, die nach außen hin völlig durchschnittlich wirken, hinter deren Fassade aber natürlich niemand blicken kann. Die Vater-Tochter-Beziehung wird äußerst liebevoll beschrieben, so dass bei geneigten Krimilesern sofort die Angst aufkommt, etwas könne sie im Verlauf der Geschichte trüben. 

Außerdem aber bekommt sogar das mysteriöse „Du“, als das er seinen ungebetenen Gast oder eben Phrogger einführt, einen vielschichtigen Charakter, so dass von Anfang an der Wunsch da ist, mehr über all diese Figuren zu erfahren. Im Haus hingegen gibt es immer wieder Kleinigkeiten, die anders sind und die insbesondere Franziska allmählich auffallen. Das erhöht die Spannung, erklärt aber darüber hinaus auch nachvollziehbar, warum Phrogger eigentlich über längere Zeit unentdeckt bleiben können. 
Als Parallelhandlung geht es um das Verschwinden der Jugendlichen Rebecca, das natürlich auch mit den Hoffmanns zu tun hat. Zum einen, weil Sven als Journalist mit dem Fall befasst ist, zum anderen gibt es aber auch noch weitere Verbindungen, die allerdings erst einmal aus dem Dunkel ans Licht gebracht werden müssen. 

Damit macht der Roman genau das, was Krimis und Thriller bestenfalls tun sollten. Er demaskiert nach und nach seine Figuren, zeigt auf, dass alle Menschen eine Seite haben, die niemand zu sehen bekommt und die in vielen Fällen besser auch niemand sehen sollte. Das sagt manchmal etwas über unsere Gesellschaft aus, geht andererseits in tiefe psychologische Aspekte hinein und macht damit deutlich, wie fragil unser Zusammenleben unser äußerliches Glück eigentlich ist. Denn unser aller verborgenes Ich sollte wohl wirklich nicht jeder zu sehen bekommen. 

Linus Geschke wird am Mittwoch, 13. September, um 21 Uhr beim Mordsharz-Festival in der Remise in Wernigerode aus „Die Verborgenen“ lesen. Zuvor stehen Klaus E. Spieldenner mit „Elbgrab“ sowie Anna Schneider mit „Grenzfall - In der Stille des Waldes“ auf dem Programm sowie natürlich wie gewohnt am ersten Tag des Festivals die Verleihung des Krimipreises „Harzer Hammer“. 

Weite Informationen zum Programm wie auch zum Kartenvorverkauf gibt es auf www.mordsharz-festival.de.

 

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