Kultur / Rezensionen

07.01.2023

Fantasy mit psychologischem Tiefgang


Liza Grimms „Hinter den Spiegeln so kalt“ war unter den Top 3 unserer Buchtipps 

von Christian Dolle

Durch einen Unfall hat Finja ihren Mann verloren. Als nun einige Jahre später ihre Tochter Hannah plötzlich spurlos verschwindet, glaubt Finja, allen Halt zu verlieren. Vor allem ist Hannah im Badezimmer verschwunden, nur Eis und Kälte blieben zurück, eine unglaubwürdige Geschichte, die ihr niemand glaubt. Die Beziehung zu ihrem neuen Partner geht in die Brüche, das Verhältnis zu ihren Eltern ist ohnehin zerrüttet, da rät ihre beste Freundin ihr, zu einer Hexe zu gehen.

Liza Grimm ist Fantasyautorin und außerdem als Streamerin bei Twitch bekannt. Sie studierte Germanistik, arbeitete als Lektorin, ist durch ihre Präsenz auf social media sowas wie eine neue Generation von Autorinnen, also eine, die eine Fanbase mitbringt, die von vornherein neugierig auf ihre Bücher ist. Ihr neuester Roman „Hinter den Spiegeln so kalt“ spielt aber nicht mit der modernen Netzwelt, sondern ist an das Märchen der Schneekönigin von Hans Christian Andersen angelehnt. 

Das Buch beginnt mit relativ kurzen Kapiteln, zwischen denen verschiedenste Zeitsprünge liegen. Die Zusammenhänge werden anfangs noch nicht ganz klar, alles bleib mysteriös. Dafür aber zeichnet die Autorin ihre Protagonistin sehr deutlich, sehr lebensecht und vor allem absolut glaubwürdig in ihrer Trauer, ihrer Verzweiflung und schließlich in ihrem Klammern an jeden Strohhalm und stammt er auch aus dem Reich des Aberglaubens. 

Sehr, sehr lange ist bis auf Finjas kurzem Besuch bei der Hexe, dem sie aber kaum Bedeutung beimisst, alles eher Thriller als Fantasy. Mysteriös, spannend, gut geschrieben und plausibel. Schleichend kommt dann eben doch das Übernatürliche ins Spiel, Finja erkennt, dass das Verschwinden ihrer Tochter mit ihr zu tun haben könnte, mit ihrer Vergangenheit, aus der sie große Teile verdrängt hat, mit einer Welt hinter den Spiegeln. Diese fantastischen Elemente kommen ganz natürlich daher, werden gekonnt eingeflochten und führen eben Stück für Stück in diese eisige Welt von Andersens Schneekönigin, nein, natürlich nicht, sondern in die neue Version von Liza Grimm, die ja eigentlich jetzt erst das schreibt, wofür sie seit etlichen Romanen bekannt ist. 

Also Fantasy kann sie, das steht fest, doch Liza Grimm kann auch Realismus und Emotionalität, kann Spannung halten, kann psychologische Tiefe aufbauen und kann am Ende überraschen. All das macht „Hinter den Spiegeln so kalt“ zu einem Buch, das aus der Masse heraussticht, eines, das nicht so schnell in Vergessenheit gerät, weil es seine Leser*innen eben auch noch über die letzten Seiten hinaus beschäftigt. 
Es ist eine Art modernes Märchen, es ist aber auch eiskalter Horror und eben die Geschichte einer Mutter, die endlich mal nicht zu gebrochen oder aber zu tough, sondern völlig glaubwürdig um ihr Kind bangt. Der psychologische Aspekt ist es schließlich, der am meisten überzeugt, vor allem aber das Zusammenspiel aller Elemente, der es zu einer absoluten Empfehlung und eben – wenn auch subjektiv – zu einem der besten Bücher des vergangenen Jahres macht. 

 

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