Kultur

17.09.2022

Weltpremiere, die kaum zu sehen war


Internationale Gäste bei Mordsharz in der Kaiserpfalz in Goslar

von Christian Dolle

Nathaniel, der Protagonist in Christine Brands „Der Unbekannte“ ist blind. Daher verteilte sie damals bei ihrer ersten Lesung beim Mordsharz-Festival Schlafbrillen, so dass sich die Zuhörerinnen und Zuhörer nur auf ihr Gehör verlassen mussten. In diesem Jahr kam sie mit dem LightOutOrchestra nach Goslar und die gemeinsame Show fand in nahezu völliger Dunkelheit statt. Ein Experiment. 

Dieses bestand nicht nur darin, dass außer den Notausgangsschildern kaum etwas leuchtete, sondern zudem in einer einzigartigen Mischung aus Lesung und Soundtrack. Die drei Musiker untermalten die Szenen, die Schweizerin aus ihrem Krimi las, sorgten mit ausgefeilten Stücken für die passende Atmosphäre und wurden noch dazu auch in die Lesung eingebunden, brachten diese durch Zwischenbemerkungen voran. Somit entstand eine Art Live-Hörspielprojekt, dass es so zuvor noch nie gegeben hatte.

Letzteres ist durchaus wörtlich zu nehmen, es war eine echte Weltpremiere, denn die Autorin und ihr Orchester trafen sich beim Festival wirklich zum ersten Mal. Das Projekt wurde online geplant, nie real geprobt, doch beim Publikum kam es extrem gut an. Das gilt übrigens auch für das Buch selbst, in dem Nathaniel seiner eigenen familiären Vergangenheit auf der Spur ist und dabei schließlich auf eine linke Terrorgruppierung stößt. 

Spannend ging es auch in der Lesung davor zu, der Oxen-Reihe von Jens Henrik Jensen, „Noctis“ stand auf dem Programm. Der Bestsellerautor aus Dänemark hatte seinen Hörbuchsprecher Dietmar Wunder mitgebracht, der nicht nur den ehemaligen Elitesoldaten Niels Oxen, sondern auch alle Nebenfiguren eindrucksvoll und jeweils mit eigener Stimme und Ausdrucksweise zum Leben erweckte. 

Jens Henrik Jensen betonte, wie begeistert er von seiner deutschen Stimme ist, immerhin jene Stimme, mit der auch James Bond hierzulande zu hören war. Im Interview sprach Christoph Lampert Dietmar natürlich auf diese Rolle an und erfuhr so, dass dieser das Filmende selbst lange nicht gesehen hatte, aber ja ohnehin nicht verraten durfte, was seine letzten Sätze für Daniel Craig waren. 

„Ich bin mir noch nicht sicher, wie es wirklich weitergeht“, sagte er in Bezug auf die Filmreihe, er selbst ist allerdings froh, dass er nicht nur Bond synchronisiert, sondern als Sprecher so vieles verwirklichen darf, denn auch Hörbücher und ebenso Lesungen machen ihm unglaublich viel Spaß. Jens Henrik Jensen hingegen weiß, wie es mit seiner prominentesten Figur weitergeht. Gerade wird nämlich eine Oxen-Serie gedreht, die im kommenden Jahr auch im deutschen Fernsehen zu sehen sein wird. Außerdem hat er auf der Fahrt von Dänemark nach Goslar am inzwischen sechsten Band der Reihe geschrieben, verriet er. 

Wie schwer es ist, mit einer guten literarischen Figur abzuschließen, weiß auch Antti Tuomainen. Am Ende seines Romans „Der Kaninchen-Faktor“ wurde ihm klar, dass der etwas skurrile Mathematiker Henri auch noch Held zweier weiterer Bücher sein muss. „Das Elch-Paradoxon“, das in Deutschland gerade ganz frisch erschienen ist, hatte der Finne mit dabei und las daraus gemeinsam mit Peter Lontzek. 

Er verstehe zwar nicht, was Peter da liest, doch es klinge sehr gut, stellte er zwischendurch fest. Kein Wunder, schließlich ist Peter Lontzek ja auch die deutsche Stimme von Marvel-Held Loki. Jener hat allerdings so gar nichts mit dem naiv-umständlichen Henri gemeinsam, auch wenn  der sich mit seinem geerbten Abenteuerpark ja schon irgendwie auch auf ein Abenteuer einlässt. Das wird besonders dann eines als plötzlich der totgeglaubte Bruder wieder auftaucht und seinen Park zurück haben möchte. 

Was weiterhin in den drei Büchern dieses Festivaltages passiert, soll aber an dieser Stelle auch im Dunkeln bleiben, auf jeden Fall war es ein abwechslungsreicher Abend, der für die Besucher zwischendurch sogar noch durch die Light-, Audio- und Videoinstallation zu 11 Jahrhunderten Stadtgeschichte auf der Kaiserpfalz bereichert wurde.



Jens Henrik Jensen und Dietmar Wunder


Peter Lontzek und Antti Tuomainen


Christine Brand und das LightsOutOrchestra

 

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