Kultur / Federkiel

17.04.2022

Böses Bärchen: Wer versteckt die Ostereier?


von Christian Dolle

Endlich mal wieder ausschlafen! Tatsächlich hatte ich mich tierisch auf Ostern gefreut, denn jetzt, wo alles wieder losging, war mir häufiger mal schmerzlich bewusst geworden, dass ich unorganisiert, vergesslich und irgendwie immer noch im Pandemietrott war. Dementsprechend war ich gerade dabei, mich selbst wieder auf meine normale Betriebstemperatur hochzufahren, was Termine und auch das fristgerechte Abliefern von Texten anging, und setzte mich damit selbst unter Druck. 

Da kamen mir die Ostertage gerade recht, mal ganz davon abgesehen, dass es für mich ohnehin eigentlich immer das schönste der christlichen Feste ist. Jedenfalls wurde ich am späten Vormittag von der Sonne geweckt, streckte mich und stolperte dann erst einmal ins Bad, zu diesem Zeitpunkt noch mit dem festen Vorhaben, das Beste aus diesem freien Tag zu machen. 

Als ich allerdings nach meiner Zahnbürste greifen wollte, fasste ich ins Leere. Keine Bürste, keine Zahnpasta, die Ablage am Waschbecken war leer. Zuerst guckte ich wie jeder normale Mensch, ob alles vielleicht runtergefallen war... war es natürlich nicht. Doch hier war ja auch nichts normal. Also ging ich in die Küche, jetzt schon mit entschlossenerem Schritt. Von ihm keine Spur. Auch im Wohnzimmer war er nicht. 

Na gut, ich wollte mich nicht ärgern lassen, spülte mir den Mund wenigstens mit Wasser aus, wollte dann erst einmal Kaffee machen. Schon beim Anheben der Kaffeedose merkte ich, dass sie sich seltsam leer anfühlte, als ich den Deckel öffnete bestätigte sich, dass das daran lag, dass sie leer war.  Okay, dann eben keinen Kaffee. Im Kühlschrank musste noch Tomatensaft sein. 

Nun ja, die Formulierung „musste noch sein“ dürfte ich eigentlich niemals verwenden, auch diesmal nicht. Der Kühlschrank war leer. Also richtig leer. Es fehlte nicht nur der Tomatensaft, sondern auch alles andere. Mir war ja klar, wer dahinter steckte, trotzdem wurde ich allmählich sauer. So hatte ich mir den Vormittag nicht vorgestellt. Außerdem fragte ich mich natürlich, was das schon wieder sollte, was er wohl vorhatte. Hatte er die Nachrichten geschaut und all meine Sachen jetzt geflüchteten aus der Ukraine gespendet? Oder verkaufte er gerade alles auf dem Flohmarkt, um sich eine Reise auf die Osterinseln zu finanzieren? 
Vielleicht sollte ich mir erstmal etwas anziehen und ihn dann suchen, dachte ich mir und ging wieder ins Schlafzimmer. Ich öffnete den Kleiderschrank und blickte auch hier in gähnende Leere. Nichts, aber auch gar nichts war mehr drin. Jedenfalls nichts bis auf eine einzelne Socke. Hatte er also wirklich gespendet? Möglich war bei ihm ja alles.

Noch einmal suchte ich meine Wohnung ab, doch weder von meinen Sachen, noch von ihm gab es irgendeine Spur. Langsam wurde ich richtig sauer. So hatte ich mir meinen freien Tag jedenfalls nicht vorgestellt. Und vor allem drängte sich mir allmählich die Frage auf, was ich denn jetzt machen sollte. Ohne Klamotten konnte ich ja nicht mal raus, um nach ihm zu suchen. Naja gut, gekonnt hätte ich schon, aber ich wollte auch nicht der Typ sein, der zu Ostern nackt durch die Stadt läuft und nach einem Teddybären sucht. Irgendwie hoffte ich, dass die Nachwelt mich mal anders in Erinnerung behalten würde. 

Also riss ich jetzt nacheinander alle Fenster auf und versuchte irgendwo wenigstens einen Hinweis auf ihn und meine Sachen zu entdecken. Vorne auf der Straße machten einige Rentner mit Hund ihren Osterspaziergang, hinten suchten die Kinder im Nachbargarten Eier. Eigentlich hätte ich ihnen von hier oben aus gute Tipps geben dürfen, konnte ich doch das bunte Nest hinter der Hecke sehen. Ich zog es dann aber doch vor, mich blitzartig zu ducken als die Kids nach oben und in meine Richtung guckten. 
Da mir nichts anderes einfiel, öffnete ich schließlich die Tür zum Treppenhaus, nur einen Spalt breit, und spähte wie ein Dieb auf der Flucht hinaus. Tatsächlich, dort auf der Treppe lag immerhin schon mal die zweite Socke. Er hatte meine Sachen also auf jeden Fall aus der Wohnugn gebracht, kombinierte ich mit messerscharfer, brillanter, sherlockscher Logik. 

Eben diese Logik sagte mir aber auch, dass mir wohl nichts anderes übrig bleiben würde als nur in Unterhose die Wohnung zu verlassen und nach ihm zu suchen. Mist. Da aber selbst meine Jacken von der Garderobe und sogar die Wolldecke vom Sofa verschwunden war, musste ich da durch, egal, ob ich vor Scham im Boden versinken würde, wenn mich jemand sah, oder nicht.

Ganz langsam und vorsichtig öffnete ich nun also die Tür, guckte nach oben und nach unten und als ich mir sicher war, allein im Treppenhaus zu sein, schlich ich auf Zehenspitzen Stufe um Stufe nach unten. Der Boden war kalt, mir fiel auch auf, dass ich wohl mal wieder wischen müsste, doch das war gerade mein kleinstes Problem.

Als ich dann unten ankam und mich umsah, ob ich wenigstens irgendetwas von meinen Sachen entdeckte, öffnete sich plötzlich die Wohnungstür meiner Nachbarin. Sie verzog keine Miene. „Ich hab gestern n Paket für dich angenommen“, sagte sie völlig cool, verschwand kurz wieder in ihrem Flur und drückte mir dann ein Paket in die Hand. „Danke“, stammelte ich und versuchte dabei ebenfalls so cool wie möglich zu bleiben. Es gelang mir mehr schlecht als recht, doch immerhin hatte ich jetzt einen Karton, den ich mir vor Scham am liebsten über den Kopf gestülpt hätte.

Gerade als ich das Paket nach oben trug, hörte ich plötzlich ein Poltern. Es kam vom Dachboden. Da nun ja sowieso schon alles egal war, hetzte ich die Stufen hinauf, riss die Tür auf und zum Glück war es nicht der Schornsteinfeger, sondern er, der er mitten in allem saß, was er aus meiner Wohnung geräumt hatte. 
Blöderweise war meine Freude über das Ende dieses Albtraums im Moment größer als meine Wut, so dass ich erst einmal nach etwas zum Anziehen griff, statt ihn an die Dachbalken zu fesseln oder Schlimmeres. „Was soll das?“, fragte ich schließlich. „Na es ist doch Ostern“, antwortete er völlig ungerührt, „da muss man doch alles verstecken, oder nicht?“

Manchmal bin ich so müde! „Nein, nicht du sollst etwas verstecken, sondern der Osterhase. Und auch nicht meine Sachen, um mich zu ärgern, sondern Ostereier oder Geschenke, um mir eine Freude zu machen. Das hier macht mir auf alle Fälle keine Freude!“ Immerhin war die Wut jetzt doch da. Daher brüllte ich ihn noch ein bisschen weiter an und befahl im schließlich, jetzt augenblicklich alles wieder zurück in meine Wohnung zu tragen. 

„Geht nicht“, kommentierte er trocken. „Warum nicht?“, hakte ich deutlich weniger trocken nach. „Na jetzt, wo ioch kapiert hab, was es mit diesem Ostern auf sich hat, muss ich erstmal raus und auf den Kornmarkt gucken, ob der Osterhase irgendwo Geschenke für mich versteckt hat.“ Damit sprang er gut gelaunt die Treppe runter und sorgte damit dafür, dass mein Osterfest daraus bestand, meine Wohnung neu zu beziehen. 

 

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