Panorama / Natur

31.12.2021

Der Steinberg, eine botanische Kostbarkeit am Südharzrand


Der Eingang der Steinkirche

...Eberhard Müller

Wer auf der vierspurigen Schnellstraße (B243/B27) zwischen Herzberg und Bad Lauterberg fährt, wird im Bereich Scharzfeld nördlich der Straße einen steil zur Straße abfallenden Felsklotz bemerken. Es handelt sich um den Ritterstein, den südlichen Abfall des Steinberges. Auf diesem Dolomitfelsen lodert alljährlich, einer langen Tradition folgend, von weitem schon zu sehen, am Ostersonnabend ein Oster-
feuer. 

Blick über den SteinbergIn seinem nördlichen Bereich ist der Steinberg von Wald bedeckt, im südlichen Teil aber befinden sich sowohl auf dem Rücken, als auch auf den Seiten große Flächen mit Halbtrockenrasen. An der Westseite des Bergsporns liegt, direkt am Waldrand, ein außerordentlich bedeutendes Natur- und Kulturdenkmal, die Steinkirche – eine natürliche Klufthöhle (s.o.). Sie diente schon den Neandertalern, die hier lebten und später eiszeitlichen Rentierjägern als Unterschlupf. In christlicher Zeit wurde sie künstlich erweitert und ab 900 zeitweise als Kirche genutzt, woher der Name stammt.  

Die Magerrasen des Steinberges beherbergen viele seltene Pflanzen und Tiere, auch viele Orchideen, weshalb dieser Teil 1988 als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde.

Zur Geologie: 

Der Steinberg ist Teil des Südharzer Zechsteingürtels, der sich in einer Breite von einem bis fünf Kilometer am Südrand des Harzes erstreckt. Seine erdgeschichtliche Entwicklung reicht damit etwa 250 Millionen Jahre zurück, in die Zeit des Zechstein.

Vor 300 Millionen Jahren, im Zeitalter des Oberkarbon, wurde der Harz als Teil des Variskischen Gebirges gefaltet und zu einem Hochgebirge emporgehoben. Im Laufe der darauffolgenden Jahrmillionen nagte die Verwitterung an diesem Gebirge, so dass es schließlich bis fast auf Meeresspiegelhöhe abgetragen wurde. Übrig blieb eine sogenannte Rumpffläche.

In der Zechsteinzeit, vor etwa 258 Millionen Jahren, senkte sich das Gebiet und wurde von einem stark salzhaltigen tropischen Flachmeer überspült, dem Zechsteinmeer.

Auf der Drift der mitteleuropäischen Kontinentalscholle nach Norden befand sich der Harz  zur Zechsteinzeit etwa in der geographischen Breite der Sahara, also in der von Kairo oder Teneriffa.

Durch tektonische Hebungen und Senkungen  wurden Buchten des Zechsteinmeeres mehrmals vom offenen Meer abgetrennt. Das Meerwasser verdunstete jeweils und die in ihm gelösten Salze setzten sich am Grund in der umgekehrten Reihenfolge ihrer Löslichkeit ab (zuerst die schwer löslichen Salze, zuletzt die leicht löslichen). So entstand eine Serie von bis zu 1000 m Salzschichten.

In diesem Zechsteinmeer gab es im Bereich des heutigen Harzes auch zahlreiche Untiefen, auf denen sich Riffe bildeten. Über diesen Riffen lagerte sich nicht die gesamte Serie von Salzen ab, sondern nur die schwer löslichen Kalksteine und Dolomite, denn die Riffe ragten schon aus dem Wasser heraus, als in den tieferen Meereszonen die leichter löslichen Schichten von Gips, Anhydrit und Steinsalz ausgefällt wurden.

In den Perioden, die auf die Zechsteinzeit folgen, war das Harzgebiet zeitweise von Meer überspült, zeitweise ragte es auch als flachwelliges Land aus dem Meer empor. 

Vor etwa 100 Millionen Jahren, in der Oberen Kreide, begann die Entstehung der Alpen. Die Kraft, die die afrikanische Scholle auf die europäische ausübte, hatte die Sedimentschichten im Bereich der Alpen gefaltet und überschoben. Anschließend erhoben sich die Alpen als Hochgebirge.

Auf den Bereich des Harzes wirkte sich diese Kraft ganz anders aus. Hier kam es zu Bruchvorgängen in der Erdkruste, der Saxonischen Bruchschollentektonik. Der Harz begann, sich in seiner heutigen Form aus der Umgebung herauszuheben, im nördlichen Teil mehr als im südlichen. Die zunächst flachen Schichten des Zechstein  wurden durch die Hebung des Harzes schräg gestellt. Diese Vorgänge hielten auch während der Tertiärzeit an.

Mit der Hebung des Harzes begann auch die Abtragung. Die Schichten aus der Zechsteinzeit wurden im Harz völlig abgetragen. Am Südrand aber blieben sie bis heute erhalten.

Im Zeitalter des Quartär, dem Eiszeitalter, änderte sich das Klima völlig. Warme Perioden (Interglaziale) wechselten mit kalten (Glaziale). Das hatte enorme Auswirkungen auf die Flora und Fauna. Vor allem in den Warmzeiten, so auch in unserer gegenwärtigen Warmzeit, führten große Schmelzwassermengen zu Lösungsprozessen, was zu starker Verkarstung der Gipsschichten des Südharzer Zechsteingürtels führte. In dieser Zeit entstanden die heutigen Täler des Harzes. 

Am Steinberg waren die Verhältnisse etwas anders. Hier lag während der Zechsteinzeit eine Untiefe im Meer, auf der sich Bryozoenriffe bildeten. Da der Untergrund des Steinberges nicht aus Gips, sondern aus Dolomit besteht, setzte hier kaum Verkarstung ein. Als Folge der Saxonischen Bruchschollentektonik kam es hier zu Verwerfungen und Bildung von Kluftrissen, in die Wasser eindrang, wodurch Klufthöhlen entstanden, wofür die Steinkirche ein gutes Beispiel ist. Durch Eintiefung des Mönchetales wurde die Westseite des Steinberges angeschnitten und damit die Klufthöhle, die Steinkirche, freigelegt.

Naturräumliche Merkmale:  

Das etwa 11,5 ha große Naturschutzgebiet Steinberg liegt auf dem sich vom Harzrand nach Süden vorspringenden Sporn des Steinberges. Östlich wird es von der Einkerbung des Bremketales begrenzt und westlich vom Mönchetal. Mit etwa 300 m über NN liegt das Naturschutzgebiet etwa 60 m höher als das südlich vorgelagerte Odertal.

Der dort anstehende Dolomit verwittert zu einem flachgründigen, steinig bis lehmigen und oberflächlich entkalkten Boden. Auf engem Raum wechseln Flächen, die die Feuchtigkeit leicht durchdringen lassen mit solchen, die sie aufnehmen. Dadurch findet man Zonen, die sehr schnell austrocknen, neben solchen, die die Feuchtigkeit etwas länger halten.

Durch seine Lage am südwestlichen Harzrand ist das Gebiet der Stauwirkung der vorwiegend aus westlicher Richtung einströmenden Luftmassen ausgesetzt. Daraus resultiert eine mit 800 bis 900 mm relativ hohe Niederschlagsmenge. Die zwischen 6° und 7 ° recht niedrige Durchschnittstemperatur ist auf verhältnismäßig kühle Winter zurück zu führen. 

Die Flora des Steinberges

Das Nebeneinander von Halbtrockenrasen über einem Untergrund, der die Feuchtigkeit schnell durchlässt und Zonen, die Feuchtigkeit etwas länger halten, von basischen und mäßig sauren Zonen führten zu einer sehr großen Vielfalt der Flora. So findet man dort auch Pflanzen, die man auf einem Trockenrasen nicht erwarten würde, wie z.B. das Sumpf-Herzblatt (Parnassia palustris).

Begünstigt wurde dies durch eine Jahrhunderte alte Tradition der extensiven Weidewirtschaft.
                                                                         
Diese Vielfalt der Flora zog auch eine Vielfalt der Tagfalter- Widderchen- Heuschrecken-Fauna nach sich. So konnten hier 1998 43 Tagfalter- und Widderchenarten gezählt werden. Der Wundklee-Bläuling z.B.  hat hier eines seiner letzten Areale in Niedersachsen. 

Der größte Teil des Naturschutzgebiets wird von Enzian-Schillergras-Halbtrockenrasen eingenommen. Hier gedeihen neben 13 Orchideenarten auch zahlreiche andere Pflanzen, die in Niedersachsen als gefährdet eingestuft werden, wie z.B. die echte Schlüsselblume, Schmalblättriges Sonnenröschen, Gewöhnlicher Wundklee, Akelei, Feuerlilie, Sumpf-Herzblatt, Deutscher Enzian, Fransenenzian, Steinquendel, Kugelblume, Genfer Günsel, um nur einige zu nennen. 

              

Die Orchideen des Steinberges

Auf den Trockenrasenflächen des Steinbergs blühen in jedem Jahr 13 Orchideenarten, eine weitere, das Bleiche Waldvöglein (Cephalanthera damasonium) findet man 300 m weiter nördlich im bewaldeten Teil. Außerdem sind auf dem Steinberg zwei Orchideenarten vorhanden, die sich nicht in jedem Jahr zeigen und wenn sie da sind, nur in sehr geringer Anzahl.

Die Individuenzahl der einzelnen Orchideenarten ist in diesem schönen Naturschutzgebiet nicht so groß wie vielleicht anderswo. Es wird aber nicht viele Standorte geben, in denen die Artenzahl so hoch ist, wie hier.

Zahlenmäßig am meisten vertreten sind das Stattliche Knabenkraut (Orchis mascula), die Braunrote Stendelwurz (Epipactis atrorubens) und die Mückenhändelwurz (Gymnadenia conopsea). Diese Orchideen kann man auf vielen Teilflächen des Steinberges finden, zum Teil auch in recht ansprechender Zahl. Dabei kann man sagen, dass Epipactis atrorubens die Charakterorchidee des Steinbergs ist.


                                                                             
Auch noch recht zahlreich vertreten ist die Weiße Waldhyazinthe (Platanthera bifolia), die auf dem, Plateau des Steinberge zu finden ist. Ihre nahe Verwandte, die Grüne Waldhyazinthe (Plathanthera chlorantha), zeigt sich nur in wenigen Exemplaren.   Das im 19. Jahrhundert am Steinberg noch zahlreich auftretende Kleine Knabenkraut (Anacamtis morio) ist fast verschwunden und blüht nur alle paar Jahre in 

wenigen Exemplaren, ebenso wie auch die Pyramidenorchis (Anacamptis pyramidalis). Weiterhin findet man das Dreizähnige Knabenkraut (Neotinea tridentata) in bescheidener Anzahl.

Die beiden Ragwurzarten, Fliegenragwurz (Ophrys insectifera) und die Bienenragwurz (Ophrys apifera), blühen alljährlich in wechselnder, in manchen Jahren recht ansprechender Anzahl, was für Ophrys apifera ja auch charakteristisch ist.

                                                                                  
Helmknabenkraut (Orchis militaris) und Fuchssche Fingerwurz (Dactylorhiza fuchsii) finden sich auch am östlichen Rand in jedem Jahr ein, allerdings nur in wenigen Exemplaren. Schließlich zeigt sich auch alljährlich das etwas unscheinbare, aber deshalb nicht weniger schöne Große Zweiblatt (Neottia ovata) in recht ansprechender Anzahl. 

Wegen des Gipsabbaus in Osterode wurde vor Jahren eine amtlich genehmigte Umpflanzaktion der Honigorchis (Herminium monorchis) zum Steinberg vorgenommen. Jahrelang war diese Orchidee auch am Steinberg vertreten. Die trockenen Sommer der vergangenen Jahre haben aber dazu geführt, dass diese kleine Schönheit nun verschwunden ist.

Als letzte Orchidee im Jahr blüht auf dem Steinberg an verschiedenen Stellen die Herbstwendelorchis (Spiranthjes spiralis).   
         
                                                                        

Zur Pflegesituation am Steinberg

Nach dem Verschwinden der extensiven Weidewirtschaft lag der Steinberg lange Zeit völlig brach. Unter Aufsicht der Feuerwehr wurde das Gebiet jährlich abgeflammt. Erst mit der Ausweisung als Naturschutzgebiet 1988 wurde ein Pflegeplan erstellt und gleichzeitig die Ausrichtung des Kindersportfestes verboten, das bis dahin jährlich dort stattfand.

Die Pflege dieses Gebietes, das so groß ist und in dem so viele seltene Pflanzen und eben auch 13 Orchideenarten vorkommen, ist nicht leicht zu bewerkstelligen, denn die zu schützenden Pflanzen blühen ja nicht alle zur gleichen Zeit. Bis 2016 war die Situation so, dass ein ortsansässiger Schaf- und Ziegenhalter beauftragt wurde, nach einem Pflegeplan dort die Beweidung durchzuführen. Die Pflege war nicht immer optimal, aber zufriedenstellend.   

Nach der Fusion der Landkreise Göttingen und Osterode 2016 fand keine Pflege des Naturschutzgebietes mehr statt, so dass die meisten Stellen stark verkrautet sind, und die seltenen und konkurrenzschwachen Pflanzen nur geringe Chancen haben, sich dort durchzusetzen. Einige kleine Areale, in denen besonders viele Orchidee wachsen, werden allerdings regelmäßig durch Mitglieder des AHO gepflegt. 

Trotz aller Komplikationen bei der Pflege ist das Naturschutzgebiet Steinberg mit der Steinkirche, seinen atemberaubenden Felsen und seinen Trockenrasen nicht nur eine botanische Kostbarkeit, sondern immer auch ein lohnendes Ziel.                                                                                

 

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