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04.10.2021

Ein Geschenk ohne Gegenleistung


Dr. Heidi Gidion sprach über die Freude am Dankbarsein

...KKHL  Christian Dolle

Sie hatte eine beste Freundin, mit der sie intensive lange Gespräche führen konnte, wie mit niemandem sonst. Kein Thema, über das sie nicht miteinander reden konnten, kein Tag, an dem sie sich nichts zu erzählen hatten. Wenn ihre Freundin dann oft spät in der Nacht nach Hause fuhr, hatte sie die Angewohnheit, noch einmal das Autofenster herunterzulassen und „Danke“ zu rufen. Nach jedem Besuch.

Wofür dankte sie, fragte Dr. Heidi Gideon, Literaturwissenschaftlerin aus Göttingen, beim literarischen Abend in der Osteroder Schlosskirche. Pastorin Ute Rokahr hatte sie erneut in den Kirchenkreis Harzer Land eingeladen, diesmal zum Thema „Über die Freude am Dankbarsein“. Die Freude war es wohl auch bei Dr. Gidions Freundin, die sie bewog, aus dem Fenster zu rufen. Freude über gute Gespräche, über Freundschaft, sie spürte wohl Dankbarkeit für dieses erfüllende Gefühl am Ende eines reichen Tages. 

Als Kind habe Dr. Gidion Momente im Luftschutzbunker erlebt, erzählte sie, Angst und Beklemmung. Das Gefühl der Dankbarkeit sei ihrer Meinung nach das Gegenteil davon, es mache frei und leicht. So jedenfalls wollte sie Dankbarkeit definieren, eine Empfindung, die spontan aufkommt, manchmal aus einem kleinen Anlass heraus, etwas, das vor allem keine Wiedergutmachung verlangt. 

Früher sagte man „vergelt's Gott“, führte sie aus, eine Floskel, die deutlich macht, dass keine Gegenleistung erwartet wird, sondern dass der Lohn für das, wofür man sich bedankt, in Gottes Hände gelegt wird. Sie kam auf Lou Andreas-Salomé zu sprechen, die den Begriff „Geschenkglaube“ prägte, also ein Glaube, der nicht an Erwartungen geknüpft ist, sondern auf Vertrauen auf Gott basiert. Es muss keine Gegenleistung erbracht werden. 

In unserer heutigen Zeit, die auf Tausch und Handel aufgebaut ist, haben wir häufig das Gefühl, sobald wir etwas bekommen, auch etwas zurückgeben zu müssen. Es gibt Menschen, die nur schwer damit leben können, ein Geschenk zu bekommen ohne sich dafür zu revanchieren. Dabei entstehe die Freude am Dankbarsein eben vor allem daraus, dass wir es einfach nur annehmen. 

Nach diesen ersten Gedanken rief Dr. Gidion ihre Zuhörer zur offenen Diskussion oder eben zum Erfahrungsaustausch auf. Dem kamen viele nach und es wurde schließlich festgestellt, dass Dankbarkeit häufig ritualisiert ist, schon bei Kindern. Dabei geht es hier eben nicht um einen immateriellen Tausch, sondern wie anfangs gesagt um ein Gefühl, das keine Gegenleistung erfordert. Vor allem, so waren sich alle einig, sind es häufig die scheinbar kleinen Dinge, die am meisten glücklich machen.

Ute Rokahr stellte noch einmal fest, dass es auch die unerwarteten Momente sind, so zum Beispiel, die Tatsache, dass die größeren Räume im Kirchenzentrum am Schlossplatz alle belegt waren, die Veranstaltung daher in die Kirche ausweichen musste und die wunderschöne Erntedank-Dekoration nun aber einen besonders passenden Rahmen bot. Dankbarkeit hat vielleicht auch etwas damit zu tun, solche Dinge sehen zu können. 



 

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