Kultur

14.06.2021

Junges Theater führte "NippleJesus" im Kunsthaus Göttingen auf


Schauspieler Michael Johannes Mayer glänzte in seiner Rolle als Museumswärter Dave

von Ralf Gießler

In den vergangenen Monaten haben das Kunsthaus Göttingen und das Junge Theater Göttingen an einer gemeinsamen Kooperation gearbeitet. Dabei entstand "Kunsthaus Göttingen. JT in residence", ein Format, welches auf Zusammenarbeiten von professionellen Kulturschaffenden mit dem Kunsthaus zielt.

 "Wir freuen uns an diesem einmaligen Ort Theater spielen zu dürfen“, erklärte Theaterintendant Nico Dietrich. In diesem Rahmen wurde nun am vergangenen Freitag das Stück "NippleJesus" vom Londoner Autor Nick Hornby erstmalig in Göttingen gezeigt. Inszeniert hat das Ein-Personenstück Maik Priebe in der Galerie des Kunsthauses für maximal zehn Zuschauer.

Worum geht es in der Aufführung mit dem etwas provokanten Namen "NippleJesus"? Nachdem Dave in einen Zwischenfall mit einem Messerstecher verwickelt war, gibt er seinen Job als Türsteher auf und wird Museumswärter in einer Kunstgalerie. Dort muss er ein Werk in einem abgetrennten Raum bewachen - Zutritt erst ab Volljährigkeit. Dave wundert sich darüber, auch über die strengen Sicherheitsmaßnahmen. Schließlich handelt es sich bei dem zu bewachendem Bild um eine Darstellung von Jesus am Kreuz. Erst aus der Nähe begreift er, warum es massiven Anstoß erregen könnte (und auch wird). Die Collage ist gefertigt aus weiblichen Brustwarzen, die aus einschlägigen Heften ausgeschnitten worden sind. Zunächst schockiert, erledigt Dave seinen Auftrag dennoch, aber mit großem Widerwillen. 

Als er jedoch auf die junge Künstlerin Martha Marshall persönlich trifft, verschwindet seine Abneigung. Er beginnt sogar, das Kunstwerk vor empörten Angreifern zu schützen, und verteidigt es gegenüber seiner Frau Lisa. Dennoch kann Dave es nicht verhindern, dass das Exponat einem Anschlag zum Opfer fällt und völlig demoliert wird. Anders als erwartet ist die Künstlerin aber nicht am Boden zerstört, ganz im Gegenteil. Denn in Wahrheit ging es Martha gar nicht um das Bild an sich, sondern nur um die Reaktionen des Publikums auf die geschehene Zerstörungswut. Diese Reaktionen wurden von einer Überwachungskamera aufgezeichnet und sollen nun als Film selbst zum Ausstellungsobjekt werden. Dave erkennt, dass auch er nur Teil einer Installation war und versteht die (Kunst)welt nicht mehr.

Was ist Kunst, was möchte beziehungsweise was soll Kunst bewirken? Das sind die Fragen, die man sich als Zuschauer während der Aufführung stellen könnte. Passenderweise wurde das Stück "NippleJesus" in einer echten Kunstgalerie uraufgeführt. Noch bevor sich die Zuschauer vom Eingangsbereich des Kunsthauses Göttingen in den ersten Stock - dort war die eigentliche Aufführungsstätte - begeben konnten, kam ihnen Museumswärter Dave, gespielt von Michael Johannes Mayer, auf der Treppe entgegen und begann sogleich zu spielen. Ein verblüffender Auftakt, der seine Wirkung nicht verfehlte, war doch das Publikum "mitten drin" im Stück. Mayer alias Dave bat darum, ihm in den ersten Stock zu folgen. Dort angekommen erzählte, fluchte, erklärte, meckerte und schnauzte Museumswärter Dave über eine Stunde lang, klasse dargestellt vom jungen Schauspieler.

Mayer suchte während seines Spiels regelrecht den Augenkontakt zum Publikum. Er sprach es an, und ließ es an Daves Gedankengängen teilhaben. Durch die beschränkte Besucherzahl entstand so eine ganz persönliche, sehr intensive Atmosphäre, der sich die Zuschauer nicht entziehen konnten. Dadurch, dass auf eine aufwändige Bühnendekoration verzichtet wurde - sie bestand lediglich aus einem Stuhl - entfaltete sich die starke Präsenz Mayers als einziger spielender Akteur. Übrigens sein erstes Solostück, welches der Wiener Schauspieler präsentierte, und das mit Bravour.

Zum Ende wurde deutlich, was Kunst nicht darf: Menschen wie Museumswärter Dave, die in Diensten der Kunstgaleristen stehen, dürfen keinesfalls in irgendeiner Form missbraucht werden. Auch nicht im Namen der Kunst. Denn wenn doch, wäre der Künstler nicht besser als die, die er provozieren möchte, und auch nicht besser als diejenigen, die die Kunst nur für eigene Zwecke benutzen.

Weitere Informationen zum Stück und zu Vorstellungsterminen sind auf der Theaterhomepage www.junges-theater.de hinterlegt.






 

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