Regionales

12.06.2021

Der lange Weg zur Pastorin


Kerstin Lüttgering macht als erste Frau in der Landeskirche eine Ausbildung als Pfarrverwalterin

...KKHL Christian Dolle

Für Kerstin Lüttgering war es ein Wunder als ihr Tumor plötzlich und auf unerklärliche Weise nach Jahren einfach so verschwand. Zuvor aber hatte er jahrelang ihr Leben mitbestimmt, Anfang der 90er auch dafür gesorgt, dass sie ihr Theologiestudium abbrechen musste. Jetzt wird sie ihr Ziel aber doch noch erreichen, ist nach einem langen Weg die erste Pfarrverwalterin der Landeskirche und wird dann – so Gott will – im kommenden Jahr ordiniert. 

Im Kirchenkreis Harzer Land ist sie vielen nicht nur aus der Kirchenkreissynode, sondern vor allem als Lektorin und Prädikantin bekannt, so ist es im Grunde nur noch eine Formalität, doch eben eine nicht unbedeutende, die einen ziemlich außergewöhnlichen Berufsweg ans Ziel führt. Diesen letzten Schritt wird sie im Kirchenkreis Leine-Solling, genauer gesagt in Einbeck gehen, jenen Schritt zur Pastorin, der bei ihr so viele Zwischenschritte erforderte. 

„Ich fühlte mich von Gott getragen“, sagt sie über die Zeit als sie vor dreißig Jahren ihren Traum erst einmal aufgeben und sich um sich selbst kümmern musste. Mit den medizinischen Wirren gingen auch persönliche einher, Hochzeit, zwei Kinder, dann geschieden und alleinerziehend. Zur Kirche, so erzählt sie, hatte sie in diesen Jahren wenig Kontakt, stattdessen lebte sie zwischenzeitlich von Hartz IV, studierte an der Fernuni Hagen und hatte über die Jahre viele verschiedene Jobs, die sie aber wieder in ihre alte Heimat im Oberharz führten. 

Irgendwann suchte sie doch wieder die Nähe zur Kirche, arbeitete zunächst ehrenamtlich, wurde 2009 schließlich Küsterin in Hahnenklee und hatte damit endlich wieder eine Festanstellung. Darauf aufbauend bildete sie sich weiter, wurde ein Jahr später vom damaligen Superintendenten als Prädikantin eingeführt und engagierte sich auch im Kirchenvorstand sowie im (damals noch) Kirchenkreistag. 

„Immer wieder wurden Stellen mir angepasst, nicht umgekehrt“, sagt sie, ist Volkmar Keil und Uwe Brinkmann unendlich dankbar für deren Einsatz für ungewöhnliche und neue Wege, der (nebenbei bemerkt) auch sonst auf dem Arbeitsmarkt positive Auswirkungen haben könnte. 2015 wurde sie Altenheimseelsorgebeauftragte, machte erneut eine Zusatzausbildung in Hannover und Hildesheim, woraufhin der Stellenplanungsausschuss des Kirchenkreises für sie eine Stelle schuf, damit sie nun auch Trauerfeiern durchführen konnte. 

Seelsorgereferentin durfte sie sich nun nennen, eine Bezeichnung, die überhaupt erst für sie kreiert wurde. „Das ist genau meins“, sagt Kerstin Lüttgering, „Menschen würdig verabschieden.“ Und wenn sie das sagt, ist deutlich zu spüren, dass diese Arbeit wirklich ihre Berufung ist. Doch ihr Weg war noch nicht am Ende.

Im vergangenen Jahr hörte sie, dass jemand, der zehn Jahre in der Gemeindearbeit in der Landeskirche tätig ist, eine Ausbildung machen kann, um anschließend eine Pfarrstelle zu bekommen. Ein neues Ziel war gesteckt, sie war die erste Frau, die sich dafür bewarb. Da dies im eigenen Kirchenkreis nicht möglich ist, geht sie nun nach Einbeck, also wieder mal Neues wagen, doch das schreckt sie nicht mehr ab, ganz im Gegenteil. 

„Früher durften das nur Diakone und es nannte sich 'Pfarrverweserin'“, erzählt sie mit einem Lächeln, „da bin ich schon froh, dass ich mich Pfarrverwalterin nennen darf.“ Zudem sei man früher einem Pastor unterstellt gewesen, inzwischen allerdings eigenständig, bei Pastorin Dr. Wiebke Köhler wird sie die Ausbildung machen. Natürlich sei sie aufgeregt, gibt sie zu, vor allem aber voller Vorfreude. Und ob sie anschließen in Leine-Solling bleibt, ins Harzer Land zurückkehrt, darüber macht sie sich erst einmal keine Sorgen. Gott wird schon wissen, was er mit ihr vorhat. 

 

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