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19.01.2021

Notfallseelsorge: Erste Hilfe für die Seele


Mit lila Einsatzjacke und Einsatzrucksack fährt die Notfallseelsorge Harzer Land zu Einsätzen, in denen Menschen akut Hilfe und seelischen Beistand brauchen.

Im Altkreis Osterode sind elf Männer und drei Frauen als Notfallseelsorger im Einsatz

von Herma Niemann

Hattorf/Osterode. Wenn der Pieper losgeht, kommt es auf jede Minute an. Denn dieses Alarmsignal bedeutet, dass ein Mensch akut Hilfe und Beistand benötigt. Meistens handelt es sich um Situationen, bei denen jemand zu Tode gekommen ist. Selbstmord, plötzlicher Kindstod, tragische Verkehrsunfälle, ein plötzlicher Todesfall innerhalb der Familie, Gewaltverbrechen oder die Überbringung einer Todesnachricht.

All das sind schreckliche Vorstellungen, die die Menschen in ihrem normalen Alltag am Liebsten ganz weit von sich schieben möchten. Doch im Altkreis Osterode sowie in Duderstadt und Umgebung gibt es seit 2002 Menschen, die darauf vorbereitet sind, anderen Menschen in solch extremen Lagen zur Seite zur stehen. Es ist das Team der Notfallseelsorge Harzer Land (NFS), bestehend aus elf Männern und drei Frauen. Das Team besteht aus Pastoren und ehrenamtlichen Notfallseelsorgern, die durch den Superintendenten für ihren Dienst beauftragt werden.

Voraussetzung für die ehrenamtliche Mitarbeit in der Notfallseelsorge ist eine einjährige Ausbildung. Dazu gehören Lehrgänge in der Basis-Seelsorgeausbildung und im Grundmodul der Notfallseelsorge. Weitere Voraussetzung ist die Mitgliedschaft in einer der christlichen Kirchen. Das Notfallseelsorge-Team arbeitet ökumenisch mit der Katholischen Kirche zusammen, in der Verantwortung des Kirchenkreises Harzer Land. Die Leitung unterliegt derzeit Pastor Dr. Till Engelmann aus Wulften. Die Hilfe geschieht unabhängig von Konfession oder Religion. Bei Bedarf werden die muslimischen Notfallbegleiter dazu gerufen, mit denen eine Kooperation besteht. Aufgebaut wurde die Notfallseelsorge von Pastor Horst Reinecke aus Osterode.

Elisabeth Hille aus Hattorf hat vor kurzem ihre Ausbildung als Notfallseelsorgerin beendet und berichtet in einem Gespräch mit unserer Zeitung über die Arbeit des Teams. Neben den Grundvoraussetzungen gehöre natürlich auch eine entsprechende Eignung dazu, das beinhalte ein Mindestalter von 25 Jahren. Die Lebenserfahrung ist hier das Stichwort, denn als Notfallseelsorger muss man sich auf die unterschiedlichsten Menschen einstellen können. „Jeder Einsatz ist anders und man muss sich immer wieder neu einlassen und individuell auf sein Gegenüber einstellen“, betont Elisabeth Hille. Die Worte Einfühlsamkeit, aber auch die nötige Distanz spielen eine wichtige Rolle. „Wichtig ist, Ruhe im Chaos auszustrahlen und der Lage Herr zu sein“.

In 2020 habe es rund 30 Einsätze für das NFS-Team gegeben. Dabei läuft ein Einsatz so ab, dass die Leitstelle der Feuerwehr den diensthabenden Notfallseelsorger alarmiert und beauftragt, wenn die Angehörigen des Verstorbenen diesen Wunsch äußern oder wenn Notarzt, Feuerwehr oder Polizei den Eindruck haben, dass die Betroffenen seelischen Beistand brauchen. Auch bei der Überbringung einer Todesnachricht können Polizeibeamte von einem Notfallseelsorger begleitet werden. Es besteht eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Polizei, mit der es seit 2002 eine Sicherheitspartnerschaft gibt, aber auch mit der Feuerwehr und dem Rettungsdienst. Ob Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst, jede Organisation hat im Ernstfall ihre Aufgaben. Und die Betreuung der Angehörigen ist eine ganz wichtige Entlastung der Einsatzkräfte.

Bei außerhäuslichen Einsätzen fährt der Dienst habende Notfallseelsorger direkt zum Einsatzort, bei innerhäuslichen Einsätzen, wird zunächst versucht, den zuständigen Ortspastor zu erreichen. Wenn dieser übernimmt, ist der Einsatz für die Notfallseelsorge beendet. Für die Notfallseelsorger gibt es einen Dienstplan mit einer jeweils 24-Stunden-Bereitschaft. Dennoch ist der Dienst freiwillig, erklärt Hille, denn ein Notfallseelsorger könne seine Arbeit nicht machen, wenn er durch verschiedene Umstände möglicherweise selber betroffen sei. Auch entscheidet der Dienst habende Notfallseelsorger je nach Angaben der Leitstelle, ob er noch Kollegen zur Verstärkung braucht, zum Beispiel bei Unfällen mit mehreren Verletzten oder vielen beteiligten Zeugen. „Unser Team ist das zentrale Element. Wir können uns aufeinander verlassen“, betont Hille „das Team schenkt uns Rückhalt, auch nach schwierigen Einsätzen, auch wenn es morgens um 3 Uhr ist“.

Oftmals sind es Traumata oder auch psychische Schockzustände, die die Betroffenen lähmen. Die Notfallseelsorger helfen diesen Menschen, aus diesem Zustand heraus zu kommen und sich wieder zu stabilisieren. Das kann dadurch geschehen, indem man den Betroffenen zuhört, mit ihnen redet, vielleicht auch die nächsten Schritte klärt. Manchmal sei auch ein Gebet willkommen. Notfallseelsorger ermutigen in solch schwierigen Momenten die Betroffenen auch dazu, Abschied zu nehmen, um den wichtigen Trauerprozess anzustoßen. Kirchliche Rituale können dabei helfen, in der Situation zu bestehen.

Notfallseelsorger helfen den Betroffenen, sich zu orientieren und die Gefühle einzuordnen. Die NFS ist auch Psychosoziale Notfallversorgung Plus (PSNVP) und arbeitet zum Beispiel bei Großschadenslagen mit anderen Organisationen zusammen. Der Einsatz ist jedoch zeitlich begrenzt und bezieht sich ausschließlich auf die akute Krisenintervention. Konkrete Hilfsangebote für die Langzeitunterstützung werden mit an die Hand gegeben, wie zum Beispiel von Hilfs-Organisationen, Selbsthilfegruppen oder andere fachkundige Ansprechpartner.

Beim Einsatz dabei ist nicht nur die Einsatzjacke oder die Weste in der Farbe Lila und dem NFS-Logo, auch Sicherheitsschuhe, der Dienstausweis und der Einsatzrucksack gehören dazu. Der Rucksack ist in verschiedene Module unterteilt. Für die Betreuung von Kindern gibt es Malsachen und einen Teddybären. Für kirchliche Rituale befinden sich unter anderem ein Kreuz und ein Gebetsbuch. Mit dabei sind auch eine Verbandstasche, Taschentücher, Mineralwasser, Traubenzucker und falls jemand braucht, sogar Zigaretten. Da in der akuten Situation die Stressbewältigung ganz vorne steht, haben die Notfallseelsorger auch Kaugummi und einen Knetball dabei. „Durch motorische Reize kann der Stress besser bewältigt und auch verhindert werden, dass sich die schlimmen Eindrücke zu sehr festsetzen“, so Hille.

 

Die Notfallseelsorge Harzer Land braucht für ihren Dienst Ausbildung und Ausrüstung. Dafür werden Spenden benötigt.
Wer spenden möchte kann dies auf eines der folgenden Konten veranlassen:

Kirchenkreisverband Harzer Land und Leine-Solling

Sparkasse Osterode IBAN DE 76 2635 1015 0004 0239 58, BIC NOLADE21HZ

Volksbank im Harz: IBAN DE14 2689 1484 1960 2251 00, BIC GENODEF1OHA

Verwendungszweck: Notfallseelsorge Harzer Land


Der Einsatzrucksack ist in Module unterteilt. Mit dabei ist auch Teddybär für Kinder...

... und kirchliche Utensilien.

 

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