Kultur / Federkiel / Flugzeuggeschichten
20.09.2020
In 40 Jahren 50 Mal nach Norwegen
Der Versuch eines Reiseberichtes.
von Johannes Nordmann
Letztes Jahr - 2012 - gab es, wie schon oft, mal wieder einen Wettbewerb mit dem Motto "Senden sie uns ihr schönstes Urlaubsfoto" und ich wurde gefragt, ob ich denn endlich einmal daran teilnehmen würde. Ich gab zu bedenken: „Wie denn bei ca. 20.000 Dias und ca. 10.000 Digitalfotos aus rund 45 Jahren globetrotten ?“
Ebenso habe ich wenig Zeit zum Schreiben, um ehrlicher zu sein, auch keine Lust, denn bisherige Versuche, einen Reisebericht zu verfassen, sind kläglich gescheitert.
Einen Anlass für einen Bericht dieser Art gab es im letzten Jahr, denn da habe ich die 50zigste Reise in 40 aufeinander folgenden Jahren nach Norwegen gemacht. Sicherlich erscheint es dem einen oder anderen merkwürdig, wenn es jemanden immer wieder in dieselbe Richtung zieht, das muss doch auf Dauer langweilig sein.
Dem ist aber nicht so, denn jede Reise hat ihren individuellen Charakter, der Weg sollte das Ziel sein. Nur die Vorbereitungen und das Packen bleiben gleich, sind jedoch den Reisebedingungen je nach Fortbewegungsmitteln und Jahreszeit auf dem jeweiligen Kontinent angepasst.
Jawohl, richtig gelesen, es gab und gibt nicht nur Norwegen für mich, nein ich bin "nebenbei" auch noch mindestens 5 mal auf jedem anderen bewohnten Kontinent gewesen, außer der Antarktis. Rund 250 Stempel in drei Reisepässen sprechen da ihre eigene Sprache. Das hat allerdings lange gebraucht, bis ich mich vom hohen Norden gelöst habe und wurde unter anderem durch einen Trip nach Island, dem entfernterem Europa ausgelöst.
Erst ein Jahr später, 1985, nach 16 000 Kilometern durch den nordamerkanischen Kontinent wurde der Hunger nach mehr geweckt und die anderen außereuropäischen Kontinente erfahren. Der Hintergrund, sozusagen das Ziel dieser ersten von vielen Reisen in die Natur der USA war die Gegend der Stadt Salinas in Kalifornien, wo mein Lieblingsautor John Steinbeck geboren ist und mehrere seiner Bücher von dieser Gegend berichten. Und sechzehntausend Kilometer sind ein sehr langer und unvergesslicher Weg.
Die Antarktis, in meiner Schulzeit noch nicht als Kontinent geführt, ist für den normal Sterblichen mehr oder weniger nur mit einem Kreuzfahrtschiff zu erreichen, was mir widerstrebt. Ich möchte einfach auch im gesetzten Alter von 63 Jahren nicht auf längere Zeit in einem goldenen Käfig mit was weiß ich für Mitmenschen unterwegs sein. Vielleicht muss ich es aus gesundheitlichen Gründen und dem fortschreitendem Alter noch tun, dann könnte es mich immer noch dorthin ziehen, denn wer von Kindheit an horizontsüchtig ist, wird wohl immer einen Grund finden, der „Krankheit“ Fernweh nach zu gehen.
Die Krankheit selbst ist unheilbar, gegen die Symptome gibt es nur ein Mittel – nämlich packen und los geht es. Was die Frage der Reiseutensilien betrifft, antwortete ich früher: „Kreditkarte und Zahnbürste“. Was inzwischen nicht mehr ganz so leicht genommen wird. Haftcreme, Medikamente und Stützstrümpfe müssen auch noch mit. :-)
So hat es mich im Laufe der Jahrzehnte an die Küsten der sieben Weltmeere, über Trecking im Himalaja, einigen Viertausendern in den Rockies der USA, extremes Bergwandern in 5 000 Metern des Andengebirges und nicht zuletzt auf den 6 088 m hohen Huanya Potosi bei La Paz in Bolivien getrieben. Dieses Abenteuer war allerdings nur mit fachlicher Begleitung möglich, Risikofreude ist nun mal Voraussetzung eines zumeist allein Reisenden, aber Leichtsinn kann da tödlich enden.
Obwohl da die Grenzen leicht verschwimmen können, denn sportliche Höhepunkte wie zum Beispiel die Marathonstrecke von den ca. 2 000 Höhenmetern auf den 4 300 m hohen Pikes Peak bei Boulder im Staate Colorado, USA und zurück in rund 13 Stunden war allein nicht nur wegen der Bären gefährlich.
Um zu klären, warum ich meist allein unterwegs war, gibt es verschiedene Gründe. Vorweg habe ich mich selten einsam gefühlt, denn ich hatte immer meinen besten Freund mit - nämlich mich. Einerseits halten manche Weggenossen meistens nur auf und von vielem ab, andererseits ist die Möglichkeit der Völkerverständigung mit der zunehmenden Anzahl der Reisenden geringer, egal welchem Geschlechts man ist.
Ja, auch als männlicher Vagabund kann man Freiwild sein und es gibt Momente, da sollte man einfach eher Gentleman sein als sich zu zieren...
Im Laufe der Jahre ist das Reisen auf Grund der zunehmenden Touristik immer einfacher geworden und ich schätze mich glücklich, zu einer Zeit angefangen zu haben, als es wirklich noch abenteuerlich war. Nach und nach nahmen in den Medien Reiseberichte berühmter Stars zu, ich wehre mich jedoch dagegen mit z.B. Hardy Krüger in der Rolle als Weltenbummler verglichen zu werden, bei meinen Abenteuern war keine vielköpfige Aufnahmecrew mit Regisseur dabei. Meine Mietwagen musste ich selbst bezahlen und ich wurde auch nicht von einem Autohersteller mit Stern, in dessen Fahrzeugen der jeweilige Star oft genug gezeigt wurde, gesponsert.
Aufgewachsen etwas weiter außerhalb meiner Heimatstadt Osterode am Harz wurde ich, wie schon erwähnt, als Kind auf den Feldern des benachbarten Landwirtes mit Rundblick auf den westlichen Harzrand, zur andern Seite zu den Göttinger Bergen, über dem Ort Düna Richtung Thüringen und zum Sonnenuntergang in nordwestlicher Richtung "horizontsüchtig". Wollte einfach wissen, ob es hinter dem Horizont weiter geht....
Später verschlang ich die Abenteuerromane von Jack London, was mich selbstredend 1998 genau 100 Jahre nach dem Klondike Goldrausch, nach Dawson City nicht zum ersten Mal in den hohen Norden des nordamerikanischen Kontinents trieb. Musste einfach sehen, wo seine Wirkungsstätte war und wie es dort jetzt wohl aussieht.
1967 mit kaum 18 Jahren, derzeit wurde man erst ab 21 Jahren volljährig, bin ich mal kurz in 52 Stunden nach Paris und zurück getrampt, um den Eiffelturm zu sehen. Durch diesen abenteuerlichen Start gestärkt, zog es mich immer wieder fort.
Die Zeit drängte damals, da 3 Tage später die erste Skandinavien-Reise anstand und von da an bin ich wegen der taghellen Nächte"vernordet". Was einige Jahre später, 1977, mit der Fahrt zum Nordkap mit 6-wöchigem Aufenthalt dort in Lappland den ersten Höhepunkt erreichte. Es ist nie einfach, mich wieder zu Hause an die mitteleuropäische nächtliche Dunkelheit zu gewöhnen.
Schon damals hatte ich keine Probleme, unter freiem Himmel zu schlafen. Das reizte mich auch am ersten Abend der jetzigen Reise an der südlichsten Spitze Norwegens, oben neben dem Leuchtturm "Lindesnes Fyr". Es war außergewöhnlich warm und trotz 23 Uhr noch genug Helligkeit, um die vorbeiziehende Schiff-Fahrt zu beobachten. Andererseits könnte man dann vom Sonnenaufgang geweckt werden. Irgendwie hatte ich dann jedoch keine Lust, die Utensilien wie Isomatte, Schlafsack und Kopfkissen die Anhöhe hoch zu schleppen. Diese Unterlassungssünde wurde dadurch belohnt, dass gegen Morgen ein kräftiges Gewitter meinen Schlaf in anderer bequemerer Umgebung nicht weiter störte.
Wen verwundert es dann, wenn ich gerade jetzt endlich einmal genug Zeit und Muße habe, diese Zeilen in einer Hütte mit Blick auf den Nordatlantik, 130 Km südlich von Bergen in Norwegen, zu schreiben, mag es auch noch so sprunghaft und holprig wirken.
Vor kurzem verstarb Herr Oberstudienrat Werner Litzen im Alter von 91 Jahren. Herr Litzen unterrichtete mich Anfang der 60ziger Jahre im Fach Erdkunde am damaligen Gymnasium Osterode. Die Art und Weise, wie er die derzeit interessanten Superlative dieser Welt beschrieb, verstärkte in mir ebenfalls den Wunsch nach dem Dort.
Ein Satz von ihm brannte sich tief in mein Gedächtnis ein: "Es kommt selten vor, dass jemand nicht beruflich so viel reisen kann, dass er auf eigene Faust seinen Fuß auf alle Kontinente setzt und etwas von der Welt sieht." Damals gab es noch keinen Charterflugtourismus.
An dieser Stelle ist jedoch zu erwähnen, dass vor wenigen Jahren durch seine scharfsinnigen Leserbriefe im Harzkurier, der örtlichen Zeitung, aufmerksam geworden, ich ihn angerufen habe und wir ein langes interessantes Gespräch geführt haben. Zu guter Letzt habe ich mich bei ihm für seine Motivation bedankt, was ich an dieser Stelle noch einmal wiederholen möchte: Werner "Bubi" Litzen ist für mich unvergessen.
Es war in einer Kneipe in Adelaide im Süden Australiens, als mir 1988 bewusst wurde, dass ich das Ziel alle Kontinente zu bereisen, innerhalb von nur 3 Jahren nunmehr erreicht hatte. Musste wohl etwas nachdenklich gewirkt haben, als mich ein junger Australier deswegen ansprach. Ich erklärte ihm das Problem, wonach er mir auf die Schulter schlug und mir enthusiastisch riet: "Do it again, Mate!!!!"
Das ist inzwischen noch mehrmals gelungen, obwohl Nord- und Südamerika jetzt als 2 Kontinente gelten Unter anderem bin ich dabei auch mit 4 Reisen mit Greyhound-Bussen, je 2 in Nordamerika und 2 rund um Australien, insgesamt gleich der Strecke rund um den Äquator gefahren, was ungefähr der Strecke von 40 000 Kilometern entspricht.
Den Äquator selbst gab es in Ecuador, den Polarkreis mehrmals in Europa und Nordamerika. Die nördlichste Stadt der Welt (Hammerfest, Norwegen), die südlichste (Ushuaia, Argentinien) und nun sitze ich schreibend am Fenster in einer Hütte in Südwest-Norwegen mit Blick aufs Meer, brauch mal eine Pause. Schließlich reise ich derzeit, es ist gleich Mittag und ich war noch nicht mal am Wasser.
Soll ich weiter schreiben? Denn wenn dieses ein Reisebericht über die 50zigste, nein wohl eher die 51zigste Reise nach oder in Norwegen sein soll, dann würde der Erdkundelehrer Litzen als Deutschlehrer wohl eher so beurteilen: "Thema verfehlt, Nordmann setzen Sie sich, wie schon so oft, mal wieder nur eine 5. Sie sind und bleiben eine fauler Schüler!" Es scheint wohl eher eine Art Reise-Lebenslauf zu werden? Obwohl das Wort Faulheit vielleicht nicht ganz zutrifft, eher gewitzt genug, um mit Minimalaufwand ans Ziel zu kommen.
Wenn man das in frühester Jugend lernt, ist das später nicht nur im Reiseleben von Vorteil und wer sich auch ohne Abitur inzwischen in 7 Sprachen auf dem Globus ohne allzu große Schwierigkeiten bewegen kann, sollte ja nun nicht ganz so dämlich sein.
Na gut, Herr Lehrer Litzen, ich gehe jetzt sowieso lieber runter ans Wasser, an die Nordsee, die hier Westsee genannt wird und eine Fortsetzung ist danach fraglich........
…....Nun gut, die Pause am Meer war nötig und eigentlich ist es müßig, den Reisebericht " 50" vom letzten Jahr in Norwegen zu schreiben. Gestern ist vorbei, morgen noch nicht da, heute sollst du leben. Und ich bin "Heute" hier.
Im Zeitalter des Internets und reichlicher Reportagen im öffentlich rechtlichen Fernsehen kann jeder sowieso genug über ein Land erfahren. Da kann ich mir viele Fakten und Details sparen.
Im vergangenem Jahrzehnt hatte ich auch oft Reisebegleitung aus meinem Umfeld, erst mit meinem ebenfalls allein globetrottenden Sportfreund Arne, später dann mit meiner Partnerin, wobei sich mit ihr die Ziele auf Europa, selbstredend meist der Norden beschränkte.
Die letzten 3 Jahre, inklusive dem Jetzt, waren geprägt zum einen von einer, ich hoffe geheilten Krebserkrankung und zum anderen von den kurz hintereinander verstorbenen skandinavischen Freunden. Auch durch Ähnliches im engsten Familienkreis war es mir ebenfalls nicht möglich, mal dem Alltäglichen zu entfliehen, was im zunehmenden Alter durch diese Umstände immer seltener wird. Jetzt treiben mich wie jedes mal die Ruhe, die endlose Weite und die lange Mitsommerhelligkeit wieder hierher.
Aber auch im Frühjahr zum Skilaufen und im bunten Herbst gibt es hier eine angenehme Einsamkeit, die ich auch in den letzten schon frühlingshaften Tagen genießen konnte.
Wenn man erst einmal, meist in der späten Nacht, durch den Elbtunnel in Hamburg ist, beginnt die Urlaubsstimmung. Die ersten Halte sind dann schon am Nordostseekanal und/oder bei den Städten Schleswig und Flensburg.
Soll heißen, ich bin genau so gern in Deutschland und selbstredend auch in meinem heimatlichen Harz unterwegs. Der ruhigste Platz ist sowieso das Wohnzimmer, vorausgesetzt die Klingel und das Telefon sind abgestellt!
Nun denn, wegen des Pfingstwochenendes war es bis nach Norddänemark etwas hektischer als gewöhnlich, der 2-tägige Aufenthalt im "Land des Lichts" zwischen Hirtshals und Skagen sucht immer wieder seinesgleichen und sorgte für den Ausgleich. Danach gab es eine Reiseneuigkeit in Form einer anderen Fährverbindung und zwar der schnellsten nach Südnorwegen. Ich kam mir auf dem kleinem Katamaran vor wie in einer Sardinenbüchse, es war aber schon nach kürzester Zeit vorüber.
Bis in den späten Abend trieb es mich weiter den Nordseeweg nordwestlich entlang der Küste. Bei besten Wetterbedingungen bis hierher zum Jetzt und Heute. Auch der Rückweg zum "Europa unten", wie man hier sagt, soll eine Neuigkeit beinhalten. Es soll mit der Fähre von Bergen an der norwegischen Küste über die Stadt Stavanger zurück nach Hirtshals in Dänemark gehen, was mit 20 Stunden Fahrt ziemlich lang werden kann. Vielleicht ist es die Generalprobe für eine Reise in die Antarktis, wer weiß das schon.
Wissen? Ganz ehrlich, wer kann schon von sich sagen, dass er nicht mehr genau weiß, wie oft er am Grand Canyon stand und da erst in seinen Dias nachschauen muss, während die meisten nur davon träumen können. Ja, ich durfte, was das Reisen betrifft, danach leben: "Träume nicht dein Leben, lebe deine Träume !"
Ob es eine Fortsetzung nach der heute anstehenden Weiterfahrt zur Stadt Bergen oder irgendwann gibt, glaube oder weiß ich nicht. Bin diesbezüglich aber froh darüber, meinen Lieblingsautor, den Friedensnobelpreisträger John Steinbeck aus seinem Reisebericht durch die USA in Buchform – Meine Reise mit Charley (Hund) - besser verstehen und zitieren zu können :
„You dont take a trip, the trip takes you !“
"Nachdem ich dieses niedergeschrieben habe, ist mir wohler, wenn es auch nur der verstehen wird, der es erfahren hat“.