Kultur / Rezensionen

10.03.2020

Am Ende bleibt ein übler Beigeschmack


Odium – 100 Horrorgeschichten von Oliver Erhorn

von Christian Dolle

Ein Mann tritt seinen neuen Job in einer großen Firma an. Alles erscheint vielversprechend. Ein schickes Büro, nette Kollegen und eine ihm wohlgesonnene Vorgesetzte. Sein Glücksgefühl hält bis zum Feierabend an, doch als er den Heimweg antreten will und mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss fährt, muss er feststellen, dass er offenbar vergessen hat, wo sich der Ausgang befindet. Wenig später findet er dann zu seinem Erschrecken heraus – es gibt gar keinen Ausgang.

Mit dieser Kurzgeschichte beginnt das Buch „Odium“ von Oliver Erhorn. Odium, das bedeutet so viel wie übler Beigeschmack. Genau der ist es, der nach der Lektüre jeder der 100 Horrorgeschichten zurückbleiben soll, so das Versprechen des Autors.
Oliver Erhorn ist südlich von Hamburg aufgewachsen und studiert in Düsseldorf Germanistik und Philosophie. Daneben arbeitet er als als Freelancer in den Bereichen Lektorat, Voice Over und Übersetzungen. Seine wahre Leidenschaft gehört vor allem dem Schreiben, insbesondere dem Schreiben von Horrorgeschichten bzw. Creepypastas. Die vertont er auch bereits seit einigen Jahren auf seinem Youtube-Kanal, ist also vielen vielleicht eher als Halverson bekannt.

Alles kann Horror sein

„Warum gerade Horror kann ich eigentlich schwer sagen. Ich mag es, dass es so vielfältig sein kann“, sagt er, „Jeder alltägliche Gegenstand, jede Situation, kann etwas Gruseliges an sich haben, wenn man es richtig in Szene setzt.“ Was er schreibt, sind im Grunde Gedankenspiele, erläutert er, ein Was-wäre-wenn, es gehe ihm primär um die Situation, nicht um die Frage, warum es passiert. So verkehrt kann er damit nicht liegen, denn immerhin mehr als 7000 Abonnenten hören sich seine Vertonungen regelmäßig an. Odium ist nicht sein erstes Buch, jedoch das erste, das in gedruckter Form überall erhältlich ist.

Doch was hat es nun auf sich mit dem bitteren Beigeschmack? Zunächst einmal ist Oliver Erhorns Schreibstil recht schlicht und sachlich, wodurch viele der Geschichten recht harmlos beginnen. Tatsächlich aber gelingt ihm in den meisten Fällen ein überraschender Twist, der die Geschichte in eine völlig neue Richtung oder auf eine unerwartete Pointe lenkt. Und die wiederum fühlt sich oft derart unangenehm an, dass sie auch über das Lesen hinaus Gänsehaut oder eben einen unangenehmen Beigeschmack verursacht.

Natürlich sind nicht alle Geschichten gleichermaßen gelungen. Dafür aber sind sie ja auch angenehm kurz und nach einer, die nicht so sehr den eigenen Geschmack traf folgt eine weitere, die wieder völlig anders ist. Insgesamt ist die Bandbreite dessen, was der Autor erzählt beeindruckend oder schlicht sein Ideenreichtum, der schier unerschöpflich scheint.

Klassische Schauergeschichten bis Dystopien

Mal sind es klassische Schauergeschichten von nebeligen Küstenorten mit einem düsteren Geheimnis, mal fast philosophisch anmutende Storys über Außerirdische, die Experimente an Menschen durchführen und oft sind es wie in der Eingangsgeschichte bitterböse Parabeln auf die Arbeitswelt. Diese haben dann einen klaren gesellschaftskritischen Charakter und lohnen sich durchaus mehrmals gelesen und interpretiert zu werden.

Insgesamt offenbart das Buch einen interessanten Einblick in Oliver Erhorns Gedankenwelt, die sich mit Fragen nach dem Wesen des Menschen, mit Gott, mit dystopischen Welten und auch mit der flachen Erde auseinandersetzt. Seine Charaktere sind nicht selten soziopathische Einzelgänger, die manchmal bemitleidenswert sind, häufiger aber Wesenszüge an den Tag legen, die jeder von uns lieber verborgen wissen möchte.

Zwischendurch war ich fast versucht, mich zu fragen, welche Meinung der gute Halverson eigentlich zum Leben oder zu seinen Mitmenschen hat, doch gerade im Horrorgenre ist es ja bekanntlich gefährlich, den Autor mit seinem Werk gleichzusetzen. Daher bleibt bei mir am Ende nur der Eindruck, dass Oliver Erhorn eine weitreichende Fantasie und wirklich etwas zu erzählen hat, dazu großes Talent, zumindest mich immer wieder zu überraschen und in die Irre zu führen und es erstaunlich häufig schafft, dass ich eine Kurzgeschichte oder Creepypasta nicht nur konsumiere und mich bestenfalls ein bisschen grusele, sondern tatsächlich noch lange darüber nachdenke und den üblen Beigeschmack erst einmal loswerden muss.
Daher wage ich die These, dass Odium selbst eingefleischte Horrorleser noch zu überraschen vermag und hoffe einfach, dass es nicht nur auf seinem Kanal Halverson noch viel neues geben wird, sondern vielleicht auch noch das eine oder andere weitere Buch.

 

 

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