Kultur

18.10.2019

Klimawandel: Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ im neuen Gewand


Das Göttinger Barockorchester war mit einer Neuinterpretation von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zu Gast in der Villa Gyps

Das Göttinger Barockorchester interpretierte das Meisterwerk neu, begleitet von wissenschaftlichen Erklärungen

(hn) „Die vier Jahreszeiten“ („Quattro Staggioni“) sind wohl das bekannteste Werk des Komponisten Antonio Vivaldi, erstmals veröffentlicht im Jahr 1725. Damals war an einen Klimawandel noch nicht zu denken. Heute ist dieser doch fast täglich gegenwärtig. Inzwischen beginnen sich die Jahreszeiten zu verschieben. Das Göttinger Barockorchester hat dies in einer neuen Fassung nun auch hörbar gemacht: „Vivaldis `Vier Jahreszeiten` in Zeiten des Klimawandels“, präsentiert in einem Salon in der Osteroder Villa Gyps.

Durch die erklärenden Sonette, die Vivaldi dem Frühling, Sommer, Herbst und Winter vorangestellt hat, weiß der Zuhörer, wie und wo der Komponist das Zwitschern der Vögel, das Summen der Insekten, die klirrende Kälte oder die Gewitter in sein Werk eingearbeitet hat. Und hier setzt die Idee an, die aktuellen Klimaveränderungen hörbar zu machen.

Verdeutlicht haben dies der Orchesterleiter Hans-Henning Vater und der Projektleiter Antonius Adamske vom Göttinger Barockorchester in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Alexander Knohl (Abteilung für Bioklimatologie der Universität Göttingen).

In dem Konzert am Sonntagabend vereinten sich Wissenschaft und Kultur auf gelungene Weise. Die wissenschaftlichen Informationen kamen von Prof. Dr. Knohl, gefolgt von dem musikalischen Beitrag. Jede Jahreszeit für sich. „Wir haben angefangen, das Klima zu verändert“, so Knohl, der die deutlichen Temperaturanstiege der vergangenen 50 Jahre anhand einer Präsentation deutlich machte. Am Beispiel des vergangenen Extrem-Jahres erklärte Knohl die Verschiebung der Jahreszeiten. Der Frühling habe in 2018 bereits im Februar begonnen, also eigentlich noch zum astronomischen Winter, und der Sommer bereits im Mai. Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) verdeutlichten die These. Auch habe laut einer Studie seit 1970 die Vogelpopulation in Nordamerika um rund 30 Prozent abgenommen, vergleichbare Studien gebe es auch für Europa.

Musikalisch umgesetzt hieß das: eine deutliche Reduzierung der Vogelmotive im Frühling, mit dem doch jeder normalerweise das ausgelassene Zwitschern der Vögel verbindet. Auch haben Hans-Henning Vater und Antonius Adamske drohende Gewitter mit eingebaut.

Die Jahre 2003, 2018 und 2019 hätten zudem seit Aufzeichnungen des DWD die heißesten Sommer geliefert, so Knohl weiter. Mit normalen Wetter-Variationen sei dies auch nur bedingt zu erklären, sollten solche gravierenden Wetter-Extreme eigentlich nur alle 10.000 Jahre vorkommen. Ursachen seien dafür auch im Jetstream zu sehen, der über der Nordhemisphäre bewegt. Ein verstärkender Effekt sei, dass sich die Arktis durch das Abschmelzen stärker erwärme und der Jetstream dadurch schwächer werde, größere Wellen schlage und auch stationär werden könne. Ein stationärer Jetstream verursache die Hochdruckgebiete, die deswegen über viele Wochen lang vorherrschen. Auch mit der Zunahme von starken Gewittern müsse gerechnet werden. Die Ursache sei zwar noch unklar, so Knohl, aber auch die Anzahl von Insekten sei um 75 Prozent zurück gegangen.

„Am Sommer von Vivaldi mussten wir am wenigsten ändern“, so Adamske, denn hier habe man die unangenehmen Strukturen der Winde nur verstärkt. Was den Herbst anginge, habe schon Vivaldi zweigeteilte Stimmung in seinem Werk aufkommen lassen. Die habe man verstärkt, beziehungsweise durch langsamere Tonfolgen verdeutlicht. Zum Winter verdeutlichte Knohl, dass die Winterniederschläge zugenommen hätten, weniger in Form von Schnee sondern in Form von Regen.

Wer dieses großartige Werk von Vivaldi jedoch nicht bis zur allerletzten Note auswendig kannte, der wird wohl nur an wenigen Stellen einen Unterschied in der neuen Version des Göttinger Barockorchesters vernommen haben. Wie bei einigen wenigen Passagen, an denen vielleicht auch der Laie aufhorcht, weil zum Beispiel ein Regenschauer zu einem Starkregen-Ereignis wird. Dennoch war es ein Konzert-Abend auf höchsten Niveau, bei dem man dem Göttinger Barockorchester seine Hochachtung aussprechen muss. Das Ensemble spielte brillant, fein akzentuiert und mit höchster Spielfreude.


Vor jeder Jahreszeit erläuterte Prof. Dr. Alexander Knohl die wissenschaftlichen Hintergründe zum Klimawandel

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