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27.09.2019

Wer Augstein sagt, muss auch Blome sagen


v. l.: Jakob Augstein und Nikolaus Blome

Jakob Augstein und Nikolaus Blome diskutierten in Bad Sachsa über Klimaschutz, Migrationspolitik, soziale Ungerechtigkeit und den Riss, der durch unsere Gesellschaft geht

von Christian Dolle

Die Journalisten Jakob Augstein und Nikolaus Blome betrachten unsere Gesellschaft in vielen Punkten völlig unterschiedlich. Beide jedoch sehen sie, dass ein Riss hindurch geht, der verhindert, dass beide Seiten miteinander reden, und der letztlich die Demokratie gefährden kann. In Bad Sachsa diskutierten beide am Dienstag über Klimaschutz, Migrationspolitik und viele weitere Themen. Zuerst konfrontativ miteinander, dann mit dem Publikum im Kursaal.

Ebenso wie in ihrem Buch „Oben und unten“ wollten sie auch auf der Bühne der Frage nachgehen, ob die Spaltung unserer Gesellschaft eher eine soziale Frage oder doch eine Sache der Migration sei. Ganz aktuell, so stellte Blome eingangs fest, komme auch die Klimaschutzfrage hinzu. „Auch das ist in Wahrheit oben und unten“, erklärte er, „die Demonstranten kommen aus einem gehobenen Gesellschaftsniveau und erklären dann den anderen, wie das gehen soll mit dem Klimaschutz.“ Er jedenfalls fühle sich dadurch zwanghaft erzogen, nicht zuletzt durch die Galionsfigur Greta Thunberg, die er offenbar nur schwer ertragen kann.

Augstein sah das natürlich anders, betonte, dass jede Bewegung nun einmal ein Gesicht brauche und warf die Frage auf: „Was ist, wenn die Demokratie nicht mit dem Klimaschutz fertig wird?“ Dazu betonte Blome, es seien ja die Staaten Westeuropas, die am meisten für den Klimaschutz tun. Dabei könnten sich schon bei uns die ärmeren Schichten den Klimaschutz, den die oberen Schichten fordern, gar nicht leisten.

„Die Radikalität der Thunberg-Generation entspringt der Passivität der Merkel-Generation“

Ebern deshalb, so Augstein, sei es Aufgabe der Politik, den Menschen klar zu machen, warum wir kräftig umdenken müssen, ebenso wie in der Migrationspolitik habe Kanzlerin Merkel das allerdings nicht getan, sie habe in beiden Punkten viel zu lange nichts getan. „Die Radikalität der Thunberg-Generation entspringt der Passivität der Merkel-Generation“, behauptete er.

In dieser Manier lieferten sich beide ein lebhaftes Wortgefecht, mal faktenorientiert, mal überspitzt, doch immer rhetorisch brillant und vor allem trotz aller konträren Positionen immer auf dem Boden einer Sachdiskussion. Wenn sie sich also inhaltlich auch ordentlich fetzten, so zeigten sie auf einer Metaebene eben, dass es dennoch möglich ist, miteinander im Diskurs zu bleiben, ohne dabei ausfallend oder extremistisch zu werden und die Gräben zu tief werden zu lassen.

Zum Thema Migration vertrat Blome die Auffassung, wir müssten die Frage stellen, was das mit der Gesellschaft macht, worauf Augstein konterte, wir wirkten dem Pflegenotstand entgegen, wenn wir Fachkräfte aus dem Ausland zu uns holen. Es müssten aber Menschen sein, die sich hier integrieren wollen und können, räume Blome ein, „viele, die herkamen, haben noch keine Arbeit hier – das darf sich nicht verfestigen.“ Zudem müssten wir uns fragen, wie viel kulturelle Ungleichheit unser Land verträgt.

„Als Merkel sagte 'Wir schaffen das', hat sie uns nicht gefragt, ob wir es schaffen wollen“

In einer globalisierten Gesellschaft gehe es gar nicht anders als mit Multikulturismus, so Augstein, natürlich sei das anstrengend, aber der einzige Weg. „Als Merkel sagte 'Wir schaffen das', hat sie uns nicht gefragt, ob wir es schaffen wollen“, hielt Blome dagegen und bekräftigte dies als eine legitime Position, was sein Kollege ihm als zynische Kälte auslegte und konstatierte: „Was daraus erwächst, spüren wir dann bei der AfD.“

Ans Publikum gewandt fragte er dann: „War die Politik machtlos dagegen, dass die Kluft zwischen oben und unten immer weiter auseinander driftet? Darüber wollen wir gerne mit Ihnen diskutieren.“ Auch hier halte Blome sofort ein, bestritt erst einmal, dass es dieses Auseinanderdriften überhaupt gebe. Das wiederum rief bei Augstein ein Kopfschütteln hervor und er kritisierte ein System, „dass die Reichen reicher und die Normalen ärmer macht.“ Natürlich gab es erneut Widerspruch von der anderen Seite und Blome betonte, der Staat habe noch nie so viel Geld eingenommen wie jetzt, doch natürlich müssten die Leute auch lernen, mit Geld umzugehen und es nicht nur auf einem Sparkonto zu haben. Das sei überholt, heute müsse man es nun einmal anlegen, und Aktien kaufen könne heute wirklich jeder.

Ist der Klimawandel menschengemacht?

Wenn auch die Veranstaltung von der Sparkasse unterstützt wurde, so kamen die ersten Fragen dann doch nicht zum Thema Geld, sondern zum Klimaschutz. Ob Nikolaus Blome denn glaube, dass der Klimawandel menschengemacht sei, wollte ein Zuhörer wissen. „Ja, das glaube ich, aber ebenso auch, dass wir es wieder heile machen können.“ Jakob Augstein sah das erwartungsgemäß etwas anders und hält die Schäden, die wir der Welt zufügen, für irreparabel.

Helene Hofmann, Vorsitzende des Kulturforums, das zu dieser spannenden Diskussion eingeladen hatte, koordinierte die Fragen der Gäste, die sich nun noch um soziale Ungerechtigkeit, um Politikverdrossenheit, die „schwarze Null“ und auch um Investitionsrückstau in ländlichen Gebieten wie auch Bad Sachsa drehten. Auf alles hatten die beiden Journalisten meist konträre Antworten, die zu jedem Thema ein Spektrum aufzeigen, über das diskutiert werden darf und sollte.

Somit bot dieser Abend keine einfachen Lösungen, sondern war in gewisser Weise ein Lehrstück zur Diskussionskultur und zeigte auf, dass es möglich ist, komplexe Sachverhalte immer aus mehreren Perspektiven zu betrachten und darüber zu debattieren, ohne sich hinter vorgefertigten Argumenten zu verschanzen und in Hass und Hetze zu verfallen.



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