Regionales / Stadt Bad Lauterberg / Bad Lauterberg

09.09.2019

„Behindert sein ist unglaublich teuer“


Bereits ein Jahr nach einem schweren Unfall kann Agnes Czosnykowski wieder unterrichten

von Christian Dolle

Mit den Schicksalsschlägen des Lebens geht jeder anders um. Manchen werfen sie vollkommen aus der Bahn, andere mobilisieren ungeahnte Kräfte, um sich dagegen zu stemmen. Zu letzteren gehört auch Agnes Czosnykowski, Lehrerin an der Kooperativen Gesamtschule in Bad Lauterberg. Sie erlitt einen schweren Unfall, der ihr Rückenmark verletzte und sie an den Rollstuhl band. Doch schon nach einem knappen Jahr unterrichtet sie wieder und strahlt so viel Positives aus, dass es beinahe unglaublich erscheint.

Dabei war es nicht nur ihr Beruf als Lehrerin für Englisch, Werte und Normen und Sport, der auf der Kippe stand, der Sport nämlich war zugleich ihr Hobby, Agnes Czosnykowski war begeisterte Läuferin. Ein Freund erzählte mir von ihrer Geschichte, zeigte mir Handyfotos, bei denen sie die Freundin samt Rolli mit ihm Team hatten und gemeinsam eine Marathonstrecke absolvierten, dem Schicksal zum Trotz und irgendwie als Beweis, wozu menschlicher Wille doch fähig ist. Natürlich nutze ich die erste Gelegenheit, um diese Frau kennenzulernen.

Über besagtes Marathonwochenende möchte die junge Lehrerin lieber nicht reden, es ruft wohl zu viele ambivalente Gefühle hervor. Doch eines ist ihr ganz wichtig. Sie möchte nämlich der KGS danken bzw. sämtlichen Kollegen und so letztlich auch den zuständigen Behörden, die es möglich machten, dass sie ihren Beruf ohne zusätzliche Hürden ausüben kann. Die KGS wurde nämlich in der Zeit bis zu ihrem Wiedereinstieg vollkommen rollstuhlgerecht bzw. inklusionsfähig, wie es korrekt heißt, umgebaut und vor allem hat sie auch einen Klassenraum, der perfekt auf sie zugeschnitten ist.

Ein komplett neuer Arbeitsplatz

„Ich kann ja nun mal nicht mehr an der Tafel stehen“, erklärt Agnes Czosnykowski mit charmantem Galgenhumor. Daher gibt es nun einen höhenverstellbaren Schreibtisch und darauf einen Arbeitsplatz, an dem sie alles machen kann, während es live über einen Beamer an die Wand projiziert wird. Klingt im ersten Moment ein wenig nach Science Fiction, sollte im Grund doch aber im Jahr 2019 zur Standardausstattung eines jeden Klassenraumes gehören, oder nicht?

Ob Standard oder nicht, die junge Lehrerin ist jedenfalls froh, dass sie auf diese Weise normal mit ihrer Klasse arbeiten kann. Weiterhin musste sie sich selbst ein neues Auto für die tägliche Fahrt zwischen Nordhausen und Bad Lauterberg zulegen, muss ausgenommen von ihrem VIP-Parkplatz an der Schule darauf achten, genug Raum für sich und den Rollstuhl zum Ein- und Aussteigen zu finden, zudem verfügt die Schule über Rampen, elektrisch öffnende Türen und natürlich auch über eine Behindertentoilette, die selbstverständlich auch von Schülern genutzt wird.

„Behindert sein ist unglaublich teuer“, fasst Agnes Czosnykowski augenzwinkernd zusammen, daher sehe sie all dies auch nicht als Selbstverständlichkeit an. Vor allem nicht, weil sie schon sehr früh die Zusage bekam, ihr Arbeitsplatz hier sei sicher und es werde alles Nötige getan. „Als Sportler brauche ich ein Ziel“, erläutert sie, warum sie sich – kaum von der Intensivstation runter – sicher war, ihrerseits den Job auch wieder aufnehmen zu können.

Kein Mitleid bitte

So mutmachend sie ihre Geschichte aber erzählt, so ehrlich ist sie dann auch. Zum Beispiel nervt es sie, wenn ihr in ihrem Umfeld immer wieder Leistungsfähigkeit aberkannt wird. Mit den sprichwörtlichen Samthandschuhen möchte sie also nicht angefasst werden. „Kinder gehen viel natürlicher damit um“, erläutert sie. Auch unter diesem Aspekt ist sie der Schule dankbar, dass sie all ihre Fächer wieder unterrichten kann, darf und muss. Beim Sport mache die Schule es möglich, auch wenn sie natürlich nichts mehr vorturnen kann. Auch hier lasse sich mit Videos arbeiten und zur Not sind ja auch noch die Kollegen da, die gerne mal einspringen.

Und im Fach Werte und Normen, ganz konkret, wenn es um das Thema Tod und Sterben geht, dann unterrichte sie durch die persönlichen Erfahrungen heute natürlich anders als früher, könne den Schülern insbesondere in Sachen Umgang mit Erfolg und Misserfolg vermutlich mehr mitgeben als manch anderer.

Dann eben Handbiking statt Joggen

„Bei dem ganzen Mist habe ich wirklich noch viel Gutes abgegriffen“, zieht Agnes Czosnykowski. Das jedenfalls ist ihre Sichtweise, sie kann jedoch auch verstehen, wenn jemand deutlicher mit seinem Schicksal hadert und solche Zuversicht nicht aufbringen kann. Ihr nächstes Ziel ist es jedenfalls, auch privat wieder so viel Sport wie möglich zu machen, dann eben Handbiking statt Joggen. Macht ja vielleicht auch Spaß.

Mich jedenfalls hat dieses Gespräch beeindruckt – sorry, dass ich die letzten Worte nicht der Protagonistin überlasse – solcher Lebensmut, solche Lebenskraft nötigt mir größten Respekt ab. Vielleicht auch deshalb, weil ich nicht sagen kann, wie stark ich nach einem solchen Schicksalsschlag wäre. Wissen Sie es?



 

Anzeige