Kultur / Federkiel

25.12.2016

Der Truthahn auf der Kreissäge



von Corina Bialek

(cb) Eigentlich fing alles mit der Reproduktionsfreudigkeit meiner Eltern an. Irgendwann saßen einschließlich Großeltern acht hungrige Mäuler am Tisch und wollten gefüttert werden. Da reichte am ersten Weihnachtstag eine Weihnachtsgans einfach nicht mehr aus. Als Alternative hatte mein Vater den Truthahn ins Auge gefasst. Nicht teurer in der Aufzucht und deutlich mehr Fleischertrag, so seine Kalkulation.

Meine Oma war im Hause die Federviehbeauftragte und ihr oblag nun die Aufzucht der Puter. Ein sensibles Viehzeug und wirklich hübsch fanden wir Kinder sie auch nicht. Zudem hatten wir vor den riesigen Hühnervögeln einen Heidenrespekt. Allerdings fangen auch Truthähne klein an und wenn es draußen nochmal empfindlich kalt oder nass wurde, dann packte meine Oma die ganze guggelnde Bagage in einen Wäschekorb und parkte sie in der Stube neben dem Ofen, damit sich die zimperlichen Küken nicht „verkühlen“.

Spielende Kinder plus guggelnde Puter - eine Geräuschkulisse, die eigentlich nur mit Oropax zu ertragen ist. Ich weiß jetzt warum mein Vater selbst bei solch unwirtlichem Wetter gerne zum Angeln ging.

Wir Kinder mussten für die Truthähne außerdem des Öfteren Brennnesseln sammeln, das machte die Tiere für uns nicht attraktiver. Die Brennnesseln wurden zusammen mit hartgekochte Eiern klein gehackt und bereicherten den Speiseplan der Puter. Wie gesagt, ein empfindliches Viehzeug, da war das Beste gerade gut genug.

Ansonsten guggelten diese Hühnervögel vor sich hin bis sie groß genug waren, um zwecks Verzehr verkauft zu werden. Einer blieb für uns übrig, für das weihnachtliche Festmahl. So wurde bei uns der Truthahn über Jahre zum traditionellen Weihnachtsgericht.

Irgendwann hatte meine Oma keine Lust mehr auf guggelnde Puten in der Stube und stellte die Aufzucht ein. Künftig bezogen wir unseren Weihnachtsputer von Bauer Haase. Eines Tages kam mein Vater mit einem wahren Prachtexemplar nach Hause. 27 Kilo wog der Vogel und die schlugen sich natürlich auch in seiner Größe nieder. Wie man ihn auch drehte und wendete, er passte einfach nicht in den Backofen.

Da war guter Rat teuer. Aber einer der Leitsätze meines Vaters war: „Geht nicht, gibt’s nicht“ und so hatte er auch für dieses Problem in kürzester Zeit eine Lösung parat. Der Riesenvogel wurde als erstes in der Kühltruhe auf Eis gelegt. In der Zwischenzeit hatte mein Vater seine Kreissäge gereinigt und als der Puter gut durchgefroren war, wurde er von ihm fachgerecht in zwei Teile zersägt. Mein Vater war nun mal ein Pragmatiker.

Meine Mutter konnte sich allerdings anfangs nicht so recht für seine Idee erwärmen, aber so passte der Vogel ins Ofenrohr und eine Hälfte reichte locker für beide Weihnachtsfeiertage. Außerdem war der Osterbraten damit auch gleich gesichert. Da kam bei ihr dann doch die wirtschaftlich denkende Hausfrau durch und schließlich hatte sie ja auch schon halbe Hühner in die Röhre geschoben. Diesmal war das Huhn einfach ein bisschen größer.



 

Anzeige