Kultur / Rezensionen
16.04.2019
Mehr als nur das Buch zum Film
Lena Wendt veröffentlichte die Erfahrungen ihrer Afrikareise auch als Buch
von Christian Dolle
Manche Menschen müssen erst einmal Grenzen überschreiten, um ihre eigene Mitte zu finden. Oft sind das geografische Grenzen, da es in fremden Ländern und Kulturen nun einmal besonders leicht fällt, das eigene Ich losgelöst vom alltäglichen Umfeld zu betrachten. So entstehen prägende Erfahrungen, in erster Linie ganz individuell, darüber hinaus aber durchaus lehrreich für andere, um die Welt aus einer gewissen Distanz zu betrachten.
Lena Wendt und ihr Freund Ulli brachen 2014 zu einer Reise durch Westafrika auf. Sie, weil sie ferne Länder entdecken wollte, er nach einem Burnout, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. In zwei Jahren und auf 46 000 zurückgelegten Kilometern stellten sie fest, dass es nicht eben leicht ist, wenn zwei Menschen aus unterschiedlichen Beweggründen auf einer solchen Tour so eng aufeinander hocken. Vor allem aber lernten sie viel über sich selbst, über den anderen und über ihre Beziehung.
„Reiss Aus“ von Lena Wendt ist somit nur vordergründig ein Reisetagebuch. Es geht viel tiefer, ist emotionaler und intensiver als viele andere Erzählungen aus fernen Ländern. Andererseits ist es als Beziehungsdrama ungewöhnlich substanziell und spannend, weil es eben ganz nebenbei den Blick für die Probleme und auch die Schönheit Westafrikas weitet.
Letzteres ist es auch, was das Buch am meisten von vielen anderen dieses Genres unterscheidet. Zwar beendet die Autorin jedes Kapitel mit einer „Lebensschlauheit“ des Tages, doch sind dies Ratschläge an sie selbst und keine plakativ an den Leser gerichteten Weisheiten eines jetzt erleuchteten Weltenbummlers. Genau dieser belehrende Ton, den es ja insbesondere im Bezug auf unser Bild Afrikas in der Literatur häufig gibt, fehlt in diesem Buch völlig. Es ist die persönliche Reiseerzählung einer jungen Frau, die, wie es im Untertitel heißt, auszog, um leben zu lernen.
All die Einblicke in das Leben jener Menschen, das so grundverschieden von unserem scheint, passieren nebenbei, ergeben sich aus Begegnungen heraus, sind zwar emotional und engagiert, doch nie aufgesetzt und besserwisserisch. Alles wird deutlich aus Lenas subjektivem Blickwinkel beschrieben, hat nie den Anspruch einer weltverbessernden Erklärung.
Natürlich dreht sich die Erzählerin damit vor allem um sich selbst, was sicher nicht jedem gefällt. Doch schließlich hat sie auch für sich selbst auf diese Reise begeben und nicht, um das europäische Verhältnis zu Afrika zu analysieren oder neu zu ordnen. Diesen Anspruch kann das Buch nicht erfüllen, weil es ihn eben gar nicht erfüllen will. Trotzdem sensibilisiert es insbesondere zwischen den Zeilen aber für so vieles und regt eigentlich vor allem dazu an, eigene Erfahrungen zu sammeln oder weitere Bücher zu lesen.
All das gelang auch schon dem gleichnamigen Film von Lena und Ulli, der ja gerade erst in den Kinos lief. Auch der erzählte nicht dokumentarisch, sondern mutete fast schon wie ein Spielfilm um zwei Hauptfiguren an, deren Innenleben der Zuschauer im Laufe der gemeinsamen Reise sehr nahe kommt.
Nun hat der Film gegenüber dem Buch allerdings den entscheidenden Vorteil, dass auch Ullis Perspektive berücksichtigt wird. Die kommt im Buch leider nicht vor. Dafür aber geht die Erzählung natürlich noch einmal viel tiefer und ist somit auch für alle, die den Film kennen, eine lohnende Ergänzung. Um die Sache also richtig rund zu machen, müsste Ulli im Grunde seine Sicht der Dinge auch noch zu Papier bringen. Die Geschichte über die Reise der beiden ist groß genug, um durchaus noch ein weitere Buch zu verkraften. Also, Ulli, wenn du das hier liest...