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11.04.2019

Zwei mutige Frauen in Dorste


Mühlenbach Brücke

von Armin Uhe 2019

Folgendes ereignete sich vor 74 Jahren, also im Frühjahr 1945. Der schreckliche Weltenbrand neigte sich immer mehr dem Ende zu. Die noch verbliebenen Soldaten
der Wehrmacht, Angehörige der Waffen-SS und der Volkssturm (alte Männer und Jugendliche), sollten die herannahenden Truppen der Alliierten aufhalten.

Dieses geschah oft durch sinnlose Zerstörung von Brücken, wobei oft viele naheliegende Häuser durch eine unkontrollierte Sprengung mit zerstört wurden. In der Umgebung von Osterode ist vielen Menschen die Sprengung der Johannistor-Brücke (Söse) zum Ende des 2. Weltkrieges bekannt. Dort wurden vor allem die anliegenden Häuser zerstört, die Brücke hingegen blieb stehen.

Auch die Dorster Mühlenbach-Brücke in der Burgstelle (heute „An der Bundesstraße“) sollte einer Sprengung zum Opfer fallen. Hierbei wären bestimmt die anliegenden sechs Häuser mit den Scheunen beschädigt worden und nicht mehr bewohnbar gewesen. Die Bewohner, unter ihnen auch viele Flüchtlinge aus dem Osten und den zerbombten Städten, wären somit obdachlos geworden.

Doch bevor zwei mutige Frauen (Nachbarschaftskinder Edith und Lucie), damals achtzehn und neunzehn Jahre alt, die Sprengung verhinderten, sollte noch Einiges im Dorf geschehen.

Zuerst lagerte ein Sprengkommando der Wehrmacht mehrere Kisten mit Sprengstoff in die Scheune von Haus Nr. 138 ein. Nachdem die Soldaten weiter Richtung „Festung Harz“ gezogen waren, wurde zwischen Dorste und Osterode in der „Wüste Breite“ (vor dem ehemaligen Dorster Schuttplatz) noch ein Panzergraben von Jugendlichen, Frauen und dem Volkssturm errichtet.

Inzwischen waren die ersten Apriltage 1945 vergangen. Im Dorf sprach man bereits unter vorgehaltener Hand von den heranrückenden Amerikanern und dem verlorenen Krieg. In der Nachbarschaft der Mühlenbach-Brücke machten die Bewohner sich noch ganz andere Sorgen. Man sprach über die vorgesehene Sprengung der Brücke. Einige Leute äußerten sich offen darüber, dass das Zeug (Sprengstoff) aus der Scheune Nr. 138 weg müsse. Aber keiner der alten Bewohner und die einquartierten Flüchtlingen fassten den Mut.

Auch die beiden jungen Nachbarsfrauen unterhielten sich über den Abtransport der Sprengstoffkisten, aber über die Gefährlichkeit ihres Unternehmens machten sie sich erst viel später Gedanken. Sie waren davon ausgegangen, dass sich keine Soldaten der Wehrmacht und Angehörige der Waffen-SS mehr im Dorf befanden und sich diese auf dem Weg zur „Festung Harz“ in Richtung Osterode bewegten. So setzten sie ihre Gedanken in die Tat um. Unterstützung erhielten sie durch einen jungen polnischen Kriegsgefangenen mit Vornamen Johann. Dieser half Edith und Lucie den Einspänner in der Scheune mit den Sprengstoffkisten zu beladen und mit alten Jutesäcken abzudecken.

In der Dämmerung spannte Johann eine Kuh vor den Einspänner und die beiden Frauen begaben sich auf eine gefährliche Fahrt mit einer noch gefährlicheren Fracht. Aus der Scheune in der Burgstelle, über die Mühlenbach-Brücke, am Fohlenmarkt vorbei, hinauf durch die Wedde und weiter Richtung Söse. Sie ahnten aber nicht, dass sich noch einige Angehörige der Waffen-SS in der Schlehkuhle, nahe beim Gasthof Schaumann befanden. Doch sie konnten ihre gefährliche Fahrt mit den Sprengstoffkisten, unbemerkt von den Soldaten, Richtung Söse fortsetzen. Die Kisten wurden von ihnen in der Nähe zur Söse abgeladen und sie fuhren wieder mit dem Einspänner ins Dorf zurück, ohne dass man auf sie aufmerksam wurde.

Allen Bewohnern aus den anliegenden Häusern der Burgstelle und besonders den beiden Frauen fiel ein dicker Stein vom Herzen. Das Bangen war aber noch nicht vorüber. Es bestand immer noch die Gefahr, dass nachrückenden Soldaten in den Harz den Abtransport des Sprengstoffes entdeckt könnten, man musste hier immer noch mit dem Schlimmsten rechnen.

Am 11. April 1945 konnte aber aufgeatmet werden, denn im ganz Dorste wehten aus allen Häusern weiße Tücher und Laken, als amerikanische Soldaten in das Dorf zogen. Der Spuck der „Naziherrschaft“ war nun auch hier in Dorste zu Ende. Viele Männer des Dorfes, als Soldaten gefallen oder vermisst, kehrten aus diesem unsinnigen „Weltenbrand“ nicht zurück.

Die beiden mutigen Frauen leben heute noch:
Edith mit 92 Jahren im Altenheim in Osterode und Lucie mit 93 Jahren in Hannover. Zuletzt trafen sie sich beim 90.Geburtstag von Edith in Dorste und erzählten von ihrer mutigen Aktion zum Wohle der Anlieger zur Mühlenbach-Brücke in Dorste.


Bundestraße 1973

Lucie und Edit mit 88 Jahren

Edith 1944

Edith heute

 

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