Panorama

28.03.2019

Roma, schwul, Großvater – auch das ist Deutschland


Die vermutlich einzigartige Lebensgeschichte von Gianni Jovanovic

von Christian Dolle

Gianni Johannes Jovanovic ist Deutschlands jüngster Großvater. Im zarten Alter von 32 wurde er zum ersten Mal Opa, was letztlich auch daraus resultierte, dass er selbst bereits im Alter von 14 Jahren verheiratet wurde. Seine Geschichte, die eigentlich alles andere als boulevardesk ist, erzählte er in der vergangenen Woche beim Showtalk und vertiefte sie anschließend im Gespräch mit dem Eseltreiber.

„Mir war das mit 14 schon klar, dass das nicht richtig war, was da passierte“, erzählte er Moderator André Holst ganz offen auf der Bühne im Hotel Mühl. Gianni ist Roma, eine Volksgruppe, die ursprünglich vermutlich von der indischen Halbinsel stammt, aber seit etwa 700 Jahren in Europa und auch in Deutschland beheimatet ist. Damit sei er eindeutig Deutscher, auch wenn viele Deutsche ihn von frühester Jugend an etwas anderes haben spüren lassen.

„Die Mehrheit in diesem Land hat es mir und meiner Familie nicht leicht gemacht“

Bereits als Kind lernte er, was Rassismus und auch Extremismus ist, Erfahrungen, über die er heute zwar spricht, auch wenn ihm das sichtlich schwer fällt. „Die Mehrheit in diesem Land hat es mir und meiner Familie nicht leicht gemacht“, beschreibt er eine Situation, die wohl alle Roma kennen. Daher spiele die Familie auch eine so große Rolle, erläutert er, sie müsse groß sein, damit sie sich in diesem Land behaupten kann und damit alle abgesichert sind.

Das sei noch lange keine Entschuldigung für die Zwangsehe, in die er gedrängt wurde, vielleicht aber eine Erklärung, denn ganz untypisch wuchs er als Einzelkind auf. „Wenn man bedenkt, wie Roma noch heute stigmatisiert sind, habe ich Verständnis für vieles“, sagt er nachsichtig.

Weniger nachsichtig zeigt er sich bei Worten wie „Zigeuner“ oder auch „Zigeunerschnitzel“, die er als sprachliche Diskriminierung empfindet. „Sieh mal, das Wort bedeutet eigentlich 'ziehender Gauner'“, führt er im Interview im Anschluss an die Show aus, „und im Dritten Reich wurden Roma gezielt verfolgt und ebenso Opfer des Völkermordes wie die Juden.“

„Meine Homosexualität hat mir den Arsch gerettet“

Okay, das leuchtet ein. Selbst heute noch gibt es Statistiken, die besagen, dass sich jeder dritte Deutsche Sinti und Roma nicht als Nachbarn wünscht. „Ich bekomme das regelmäßig zu spüren und wünsche mir einfach, dass Menschen sich auch in ihrer Wortwahl mit dieser Diskriminierung auseinandersetzen.

(An dieser Stelle sprechen wir eine Weile über Peter Hahne und sein Buch „Rettet das Zigeunerschnitzel – Werte, die wichtig sind“, doch das würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, Anm. d. Verf.)

Gianni jedenfalls blieb nicht dabei, nur einer Minderheit anzugehören, sondern stellte nach der Geburt seiner zwei Kinder fest, dass er eigentlich schwul ist und somit selbst innerhalb der Minderheit wiederum zu einer sehr überschaubaren Minderheit gehört. „Es war ein schwieriger Prozess, doch meine Homosexualität hat mir den Arsch gerettet.“ Wie das denn? Nun ja, weil er sich plötzlich selbst fand, für sich akzeptierte, dass er nun mal anders ist und daraus ein Selbstbewusstsein entwickelte, das ihm heute sogar die Kraft gibt, seine Geschichte auf Comedybühnen zu erzählen und damit selbst in der Hand zu haben, wie Menschen darüber lachen.

„Ich habe das Privileg, in Deutschland geboren worden zu sein“

„Es ist nicht schlimm, Vorurteile zu haben“, erläutert er, „wir müssen nur auch bereit sein, sie zu hinterfragen.“ Er hat inzwischen gelernt, dass er eben ein gutaussehender schwuler Roma ist, sagt er lächelnd, hat ein gutes Verhältnis zu seinen Kindern und auch seinen Enkelkindern und muss sein Geld nicht einmal mit Comedy oder seiner außergewöhnlichen Lebensgeschichte verdienen, sondern ist inzwischen auch Diplom-Dentalhygieniker mit eigener Praxis.

Und nicht nur mit sich, sondern auch mit seinem Heimatland ist er im Reinen. „Ich habe verstanden, dass ich das Privileg habe, in Deutschland geboren worden zu sein. Hier hat nämlich jeder das Recht, so zu leben, wie er will.“ Bleibt also nur zu hoffen, dass unser Land noch lange eines bleibt, in dem homosexuelle Roma, die Deutschlands jüngste Opas und auch noch stolz darauf sind, für ihren Auftritt bei einer Unterhaltungsshow von allen Zuschauern Applaus bekommen.


Gianni im Gespräch mit André Holst

 

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