Kultur

01.01.2019

Böses Bärchen - Wer hört denn heute noch CDs?


Beim Konzert von Melanie Mau und Martin Schnella in der Stadthalle hatte auch das aus dem Eseltreiber bekannte Böse Bärchen einen Auftritt. Die bis dahin unveröffentlichte Geschichte gibt es jetzt hier noch einmal zum Nachlesen:

Böses Bärchen - Wer hört denn heute noch CDs?

von Christian Dolle

Wo war diese blöde CD? Sie konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! Gut, ich bin vielleicht nicht der Ordentlichste, aber Bücher, Filme und CDs waren bei mir durchaus geordnet. Doch jetzt war nur noch die leere Hülle im Regal. „Melanie Mau & Martin Schnella – The Oblivion Tales“, sogar mit persönlicher Signatur. Nur eben ohne die CD. Im Player war sie nicht, im Computer und Laptop auch nicht, sogar im Auto hatte ich nachgesehen.

Doch außer einem schwarzen Loch, das sie eingesogen hatte, einem verrückten Fan, der überall einbrach und CDs von Melli und Martin klaute oder dass sie plötzlich zum Leben erwacht und davongelaufen war, gab es ja noch eine weitere Erklärung. Die war pelzig, ziemlich vorlaut und grundsätzlich zu allem fähig. Zu allem!

Blöd nur, dass ich auch ihn nirgendwo fand. Weder hatte er sich im Waschbecken ein Schaumbad eingelassen, noch ging er im Kühlschrank auf Beutejagd und auch Karussellfahren in der Waschmaschine schien heute nicht angesagt. Dann aber hörte ich ein rhythmisches Wummern aus dem Schlafzimmer. Ich ging dem Geräusch nach und blickte schließlich unters Bett. Dort saß er, Kopfhörer auf den Ohren, doch die elektronischen Bässe waren trotzdem noch gut zu hören. Vor allem aber hatte er sich meine Schreibtischlampe mit dem Wackelkontakt geholt und überall unterm Lattenrost CDs aufgehängt.

„Hey, komm rein, das fühlt sich genau an wie im Club“, brüllte er gegen die Musik an, während ich noch bemüht war, die Situation zu verarbeiten. „Ach nee, geht ja nicht, du bist ja zu dick...“, kam es daraufhin von ihm. Dick war vor allem mein Hals und ich hätte nicht übel Lust gehabt, ihn an den Beinen unterm Bett vorzuziehen. Aber ging nicht, ich passte leider nicht drunter.

Also begnügte ich mich damit, das Kopfhörerkabel aus der Stereoanlage zu ziehen und ihm dann eine Strafpredigt zu halten. „Was machst du so einen Aufstand wegen so ein paar blöder silberner Scheiben?“, fragte er. „Es sind keine silbernen Scheiben und auch keine Deko für deine Disco, das sind meine CDs!“ Mein Wutausbruch entlockte ihm nur ein müdes Augenrollen. „CDs“, äffte er mich nach, „Wer hört denn heute bitte noch CDs? Schon mal was von Spotify gehört? Und heute geht auch keiner mehr in die Disco, sondern in einen Club.“

Das reichte. Solche Belehrungen musste ich mir von ihm nicht anhören. Ich hatte zwar in den 90ern auch illegal Musik runtergeladen, aber immerhin hatte ich niemandes Lieblings-CDs als Deko missbraucht. „Dein Club wird jetzt jedenfalls von der Obrigkeit geschlossen“, schimpfte ich, „und sieh zu, dass du jede CD wieder in ihre Hülle packst!“ Er schmollte zwar, kam der Aufforderung schließlich aber doch nach. Wahrscheinlich kannte er mich inzwischen gut genug, um zu merken, wann der Bogen überspannt war. Und wenn ich mir Melli und Martin anhören wollte, um mich auf ihr Konzert in der Stadthalle zu freuen, dann brauchte es nun mal nicht viel, um den Bogen zu überspannen.

Eine halbe Stunde später saß ich im Wohnzimmer und hatte „The Oblivion Tales“ voll aufgedreht, da stand er wieder vor mir und brachte mir einen ganzen Stapel CDs. „Hier, jede in ihrer richtigen Hülle. Spotify macht das übrigens ganz von selbst...“, stichelte er. „Musik ist Kunst und Kunst sollte eben auch etwas Physisches sein, nicht nur digital. Naja, oder eben live.“, belehrte ich ihn. Wie so oft hörte er mir schon längst nicht mehr zu.

„Hey, das ist gar nicht mal schlecht“, stellte er stattdessen fest. Gerade lief „Die Zwerge vom Iberg“ mit den Textzeilen „Kleingewachsen, schlau und von übermenschlicher Macht...“ und „Mit euch Menschen treiben wir Schabernack, nehmt euch in acht.“ Kein Wunder, dass ihm das gefiel. Doch selbst die anderen Songs mochte er und hörte sie sich bis zum Ende mit mir an.

Das stimmte mich milde und irgendwann zog ich den CD-Stapel zu mir rüber. Tatsächlich waren es überwiegend jene von ganz hinten aus dem Regal. Snap, 2 Unlimited, Urban Cookie Collective, Charly Lownoise & Mental Theo und sogar Scooter. Jugendsünden nennt man das wohl. Am Ende schob ich ihm den Stapel rüber und erklärte großzügig: „Hier, kannst deinen Club von mir aus wieder einrichten.“
Wenige Tage später war es dann endlich soweit. Das große Konzert von Melli und Martin in der Stadthalle stand an. Ich hatte einen Platz in der ersten Reihe, eine Pressekarte eben, schließlich kann ich in meinem Job das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Der Saal war dann auch echt voll, das Publikum gut gelaunt und ich freute mich schon riesig auf das Konzert. Nur warum um alles in der Welt fühlte sich mein Kamerarucksack so leer an?

In wilder Panik zog ich den Reißverschluss auf, ein pelziges Gesicht grinste mir entgegen und schwupps saß er auch schon auf dem Platz neben mir. „Gut, dass wir ganz vorne sitzen“, freute er sich, „weiter hinten hätte ich auch gar nichts gesehen.“ Mir hingegen blieb fast die Luft weg und ich fragte ihn nur, wie ich denn jetzt Fotos machen sollte. „Ach, wer braucht schon digitale Aufnahmen? Du hast doch selbst gesagt: gute Musik muss man live hören...“

Die folgenden Bilder können Sie vergrößern, wenn Sie ein Eseltreiber-Abo haben:





 

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