Regionales / Harz

17.11.2018

Wertvolle Chronik mit Einblick in das harte Leben der Bergarbeiterfamilien


Treffen der Beteiligten im Stadtarchiv Goslar: Dr. Hans-Georg Dettmer Weltkulturerbe Rammelsberg, Urich Reif Bergbaumuseum Zellerfeld, Ulrich Albers Stadtarchiv Goslar, Thomas Gundermann OGMV Clausthal-Zellerfeld, Peter Reimer Heimatchronist Langelsheim und Bodo Biegling Heimatchronist Gittelde (von links).

Veröffentlichung wird gefördert vom UNESO- Weltkulturerbe und dem Oberharzer Geschichts- und Museumsverein

...von Herma Niemann und Thomas Gundermann

Wie das Leben der Menschen im 19. Jahrhundert gewesen sein muss, kann man sich aufgrund alter Schriften dennoch wohl nur ansatzweise vorstellen. Deshalb kann man den Fund einer Lesegruppe, bestehend aus erfahrenen Heimatchronisten aus der Region , als einen wahren Schatz bezeichnen.

Es fing eigentlich alles ganz harmlos an, wie der Heimatchronist Bodo Biegling humorvoll in einem Gespräch mit unserer Zeitung sagt, als man in dieser Gruppe im Stadtarchiv Goslar unter Leitung von Stadtarchivar Ulrich Albers eine alte Chronik aus dem Oberharz in die Hände bekam. Die Projektgruppe „Deutsche Schrift Lesen“ am Stadtarchiv Goslar ist eine kleine Gruppe interessierter Heimatchronisten aus der Region und begeisterten Lesern historischer Handschriften. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, aus dem großen Bestand der Archivalien interessante Akten und Urkunden zu lesen und zu transkribieren, d. h. in die heutige lateinische Schrift zu übertragen.

Schnell entdeckten die Leser, dass sie hier nicht nur ein altes Werk mit vielen interessanten Ereignissen aus alten Zeiten aus dem Oberharz vor sich hatten, sondern auch eine einmalige Chronik von hohem geschichtlichen Wert aus der früheren Oberharzer Zeitgeschichte.

Werk soll transkribiert und veröffentlicht werden
Die beiden Hauptakteure dieses Unternehmens, die Heimatchronisten Peter Reimer aus Langelsheim und Bodo Biegling aus Gittelde, waren sich schnell einig, dass dieses einmalige Werk mit vielen geschichtlichen Ereignissen aus dem Oberharz und dem Harzvorland von Goslar über Seesen und Osterode bis Nordhausen nicht nur gelesen und dann wieder auf immer und ewig im Archiv verschwinden sollte, sondern auch transkribiert und unbedingt veröffentlich werden muss.

Diese „Harz-Chronica“ wurde einst von dem Münzmeister Johann Julius Hille, der von 1767 bis 1859 in Zellerfeld lebte, geschrieben.
Das bisher unveröffentlichte Werk sei ein wahrer Schatz, so Biegling, und stamme aus einem Privatbesitz. Vor vielen Jahren hatte die Chronik über verschlungene Wege den Weg in das Stadtarchiv Goslar gefunden. „Die Chronik beginnt im Jahr 1809, wurde mit Gänsefeder und Tinte per Hand geschrieben und ist im wahrsten Sinne einmalig“. Verfasst wurde sie in der damaligen deutschen Kurrentschrift, ergänzt durch Überschriften in der lateinischen Schrift. Der Autor berichtet aber auf den rund dreihundert Seiten nicht nur über Ereignisse aus seinem Leben, sondern geht mit seinen Beobachtungen und Bemerkungen zunächst bis in das Jahr 1621 zurück. Äußerst redegewandt, beziehe sich Hille dabei auf ältere, nicht näher beschriebene Quellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, so Biegling. Bei der Chronik handelt es sich um eine Form eines privaten Tagebuches, angefangen bei chronologisch aufgeführten Tagesereignissen aus der Lebenswelt des Oberharzes und interessanten Beschreibungen des damaligen Weltgeschehens aus dem 18. und 19. Jahrhundert, bis hin zu detaillierten Ereignissen aus dem Vorharz von Goslar über Seesen, Osterode bis Nordhausen.

Neben den zahlreichen tragischen Unfällen in den Harzer Gruben, Pochwerken und Hütten aller Bergstädte berichtet er über die großen und kleinen Haus- und Hüttenbrände. Dabei vergisst er nicht, auf die dadurch entstandenen Schicksale und in Not geratenen großen Bergarbeiterfamilien hinzuweisen. Auffallend häufig finden sich Berichte über Bestechungen, Spitzbübereien, detaillierte Morde und gruselige Selbstmorde mit vielen Einzelheiten und Gerichtsurteilen in den Aufzeichnungen.
Aufschlussreich sind die regelmäßigen Berichte über die Naturereignisse und die Entwicklung der Lebensmittelpreise. „Es ist eine unerschöpfliche Quelle von Informationen, die das Verständnis des Lebens in der damaligen Zeit, ganz besonders der damaligen Bergbaumetropolen Clausthal und Zellerfeld, erweitert“. Die Gestaltung und die Veröffentlichung dieser Handschrift wird sachlich und finanziell gefördert vom UNESO- Weltkulturerbe Rammelsberg und dem Oberharzer Geschichts- und Museumsverein. In einer Besprechung im Stadtarchiv Goslar waren sich die Vertreter der beteiligten Institutionen und die beiden Protagonisten einig, dass diese Chronica in der Schriftenreihe des Oberharzer Geschichts- und Museumsvereins erscheint und ausdrücklich als Gemeinschaftsprojekt des OGMV, des Weltkulturerbes Rammelsberg und des Stadtarchivs Goslars betrachtet wird.

Im Advent könnte die Chronik als Buch erscheinen
Gedacht ist an eine Veröffentlichung, in der die transkribierten Texte mit Beispielen von Originalseiten und historischen Bildern aus der langen Harzer Bergbaugeschichte verbunden werden. Gewiss kann auf der Basis dieser Veröffentlichung auch eine spätere kommentierte wissenschaftliche Ausgabe erfolgen. Diese Handschrift, so die Hoffnung aller Beteiligten des Unternehmens, soll bis zum Advent 2018 als Buch herausgegeben werden.

Die Veröffentlichung würde sich nahtlos in eine ganze Reihe anderer Veröffentlichungen zum gleichen Zeitraum einreihen. Hier sei insbesondere auf das Buch Johannes Lauffers („Lebenswelten und Lebenswege“) sowie auf das in Arbeit befindliche Briefprojekt des OGMV hingewiesen, in welchem rund 2500 Briefe aus dem Umfeld Robert Kochs eine digitale Veröffentlichung erfahren sollen.
Das Stadtarchiv Goslar zählt, sowohl was Alter, Inhalt und Umfang betrifft, zu den bedeutendsten deutschen Stadtarchiven. Aufgrund des herausragenden Bergbaus am Rammelsberg werden hier seit vielen Jahrhunderten einmalige und bedeutende Urkunden, Gerichts- und Reichstagsakten aus den verschiedensten Institutionen gesammelt. Im Bestand befinden sich aber auch umfangreiche Nachlässe, Bilder und Karten aus allen Epochen der Zeitgeschichte.


Titelseite der Chronik. Die „Harz-Chronika“ gibt detaillierte Einblicke in das harte Leben der Berarbeiterfamilien im 18. und 19 Jahrhundert

 

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