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12.12.2016

Redseliger Bartträger ohne beige Hose


Im Spiegelartikel wurde überwiegend der Verfall dokumentiert

Spiegel-Bericht über den Strukturwandel in Zorge sorgt für Protest

von Christian Dolle

Zorge ist ein Ort, wie es einige im Harz gibt: landschaftlich wunderschön gelegen, doch seit vielen Jahren ziehen die Jungen weg und viele der Älteren beklagen den Niedergang. Der demografische Wandel ist nicht nur gefühlt, sondern auch faktisch zum Problem geworden, leerstehende Gebäude prägen mehr und mehr das Bild. Das griff jetzt auch eine Reportage des Spiegel auf, allerdings sehr einseitig, wie der langjährige Bürgermeister Harald Bernhardt bedauert.

„Wir sind so aufgestellt, dass uns die Demografie nicht umwirft“, sagt er mit einigem Selbstbewusstsein, genau das habe er auch dem Kollegen des Spiegel zu verdeutlichen versucht. Dass die positiven Aspekte im Artikel schließlich nur am Rande genannt werden, empfinde er als schmerzlich, noch mehr allerdings, wie die Menschen beschrieben werden. „Die Stimmung in der Bäckerei Werner war sicher auch schon mal besser. Gemächlich schlurft eine Dame mit Gehstock und weißem Haar in den Laden, sie ist die vierte hochbetagte Kundin binnen 20 Minuten.“ So beginnt der Text von Peter Maxwill, der ein paar Tage in Zorge verbrachte, um über die Strukturkrise in Deutschland zu berichten.


Osteroder mögen sich an einen Artikel erinnert fühlen, in dem von beigen Hosen die Rede war, ganz ähnlich geht es nun Harald Bernhardt, wenn er sieht, wie er und „seine“ Zorger dargestellt werden. Damit, dass er selbst als „redseliger Bartträger“ beschrieben wird, könne er als Politiker umgehen, er habe da ein dickes Fell, nur wenn andere, die sich durchaus für den Ort engagieren als ein wenig hinterwäldlerisch hingestellt werden, tue ihm schon weh.


Bernhardt selbst machte sich als Bürgermeister von 2001 bis vor einem Monat für Zorge stark. Seit dem 1. November bilden Walkenried, Wieda und Zorge jedoch eine Einheitsgemeinde, einen eigenen Rat gibt es damit nicht mehr und eben auch keine Eigenständigkeit und statt eines Bürgermeisters nur noch einen Ortsbürgermeister. Dabei hatte gerade Zorge lange einen ausgeglichenen Haushalt und stellte sich auch schon früh den Bedingungen für die Eigenentschuldung.


Bernhardt propagierte die Fusion mit Bad Sachsa und begleitete über Jahre den später gescheiterten Fusionsprozess. „Dabei habe ich immer versucht, die Leute mitzunehmen“, sagt er, erläuterte die Notwendigkeit von Steuererhöhungen und setzte manches um, was andernorts auf deutlich mehr Widerstand traf. „Was wir jetzt haben, wird auf Dauer nicht reichen“, räumt er ein, doch das liegt nicht mehr in seiner Hand und auch nicht in der Hand der Zorger.


Anderes hingegen konnte die Gemeinde bewegen, wie beispielsweise den Erhalt des Schwimmbades, das mit viel Bürgerengagement und Unterstützung der örtlichen Vereine gerettet und herausgeputzt werden konnte und selbst in Braunlage und Bad Sachsa wieder einen guten Ruf genießt. „Gut, jetzt im Dezember hat so ein Freibad wenig Anziehungskraft“, spielt Bernhardt den Erfolg herunter und erinnert stattdessen an den Verkauf des Kurhauses, für den es von der ortsansässigen Spirituosenmanufaktur Hammerschmiede ein gutes Konzept gab und das so einer neuen zukunftsfähigen Bestimmung zugeführt werden konnte. Außerdem kümmerte man sich um den Betreiber der in die ehemalige Schule verlegten Arztpraxis, die inzwischen gut angenommen wird und im Ort sehr beliebt ist.


Das nächste größere Projekt ist der Sportplatz, der ganz entgegen demografischer Klischees ebenfalls erhalten werden soll und für den sich wiederum viele Zorger stark machen. „Er ist schließlich eine der zentralen Begegnungsstätten hier und damit wichtig für den Ort“, stellt Bernhardt fest und ist überzeugt, dass auch diese Maßnahme erfolgreich sein wird.


All dies kommt im Spiegel-Artikel nur am Rande vor. Dort heißt es: „In dem Dorf ist zu sehen, was mit einer überalterten Gesellschaft fern urbaner Zentren passiert: eine ganze Region, mitten in Deutschland, die überaltert, schrumpft, verfällt.“ Es geht Peter Maxwill also nicht darum, Bewohner als Hinterwäldler darzustellen und zu diffamieren, er benötigte vor allem ein Beispiel für die Aussage, die sein Artikel haben sollte.

Gegenüber dem Eseltreiber erläuterte er: „Wir haben uns für Zorge entschieden, weil es nicht nur mitten in Deutschland und an der ehemaligen Grenze zur DDR liegt - sondern weil sich dort auf sehr kleinem Raum ein deutschlandweites Problem sehr deutlich zeigt: Obwohl das Dorf idyllisch in einer schönen Landschaft liegt und sich noch immer viele Menschen dort engagieren, droht ein rapider Verfall.“


Dennoch offenbart ein solcher Bericht, dass dies eben nur eine Seite dessen ist, was im Harz derzeit passiert. In Zorge steigen die Touristenzahlen wie in den meisten anderen Orten der Umgebung seit einigen Jahren wieder kontinuierlich und deutlich an und es gibt einige Ideen und Konzepte, wie man dem demografischen Wandel begegnen kann. Zudem zeigt die Reaktion vieler Zorger auf diesen Artikel bzw. die vieler Osteroder auf die fast schon sprichwörtlichen beigen Hosen, wieviel Potenzial in den Harzern steckt und was mit Zusammenhalt, Kreativität und vielleicht auch ein wenig Harzer Sturheit erreicht werden kann.

Den Artikel von Peter Maxwill gibt es unter www.spiegel.de.


Harald Bernhardt kämpft für sein Zorge

Zorges schöne Seiten kamen nach Meinung von Harald Bernhardt zu kurz





Zorges schöne Seiten...




















 

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