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22.02.2018

Zeitgeschichte aus luftiger Höhe


Dokumentenkapsel in St. Marien offenbart älteste Urkunde aus dem Jahr 1745

...KKHL - Christian Dolle

Wie angekündigt wurde in St. Marien am vergangenen Sonntag nach dem Gottesdienst die zweite Zeitkapsel aus der Kirchturmspitze geöffnet. Diese und eine weitere werden dort verwahrt und nur alle paar Jahrzehnte zu Renovierungen in Augenschein genommen.

Bereits im Januar öffneten Pastor Michael Bohnert und der Kirchenvorstand die erste Dokumentenkapsel aus dem Jahr 1965 (wir berichteten), gemeinsam mit den Gottesdienstbesuchern wurde nun der Inhalt der zweiten, auf das Jahr 1820 datierte und mit Walzblei ummantelte Box in Augenschein genommen.

Bevor es aber soweit war, stimmte Pastor Bohnert auf diesen Blick in die lokale Zeitgeschichte ein, indem er erinnerte: „Wir leben nicht im Paradies, auch wenn uns das immer wieder versprochen wird – in der Werbung und von manchen Ideologen ziemlich schamlos.“ Tatsächlich hält das Leben aber immer wieder Katastrophen für uns bereit, globale und persönliche. Seine erlebte er damals in der Studienzeit, erzählte er, als er sich in Göttingen mit einer „Sintflut“ konfrontiert sah, die sogar sein Auto verschluckte. Damals fühlte er sich an Noah erinnert und konnte nach der Überschwemmung dessen gutes Gefühl nachvollziehen, wenn das Wasser langsam wieder sinkt und wieder Land zu erkennen ist.

Von Noah könnten wir lernen zu warten, fuhr er fort, nicht zu resignieren, unablässig Ausschau nach Hoffnung zu halten. „Dieses aktive Warten steht uns gut an“, so Bohnert, zumal Gott uns verspricht, uns nicht im Regen stehen zu lassen. Seine kleine Hoffnung an diesem Abend sei, dass die Kirche auch künftig nicht nur so voll ist, wenn Dokumentenboxen geöffnet werden.

Dann hatte das Warten für die Gemeinde ein Ende und der Pastor tauschte das Mikrofon gegen eine Zange und machte sich daran, der fast 200 Jahre alten Box zu Leibe zu rücken. Unter dem Walzblei verbarg sich eine Kiste aus Holz und darin etliche Schriftstücke unterschiedlichen Datums.

Eines, so stellte er fest, war ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1911. Somit muss es auch zu dieser Zeit Renovierungsarbeiten gegeben haben, bei denen die Kapsel geöffnet worden war. Ein weiteres, vergilbtes Schriftstück, dem die Jahrhunderte durchaus anzusehen waren, entpuppte sich als Urkunde aus dem Jahr 1745. Weiterhin gab es noch Dokumente aus den Jahren 1820 und 1839.

1911, so offenbarte der Zeitungsausschnitt, wurde die Kugel abgenommen, weil sie herunterzufallen drohte. 1820 und 1839 wurden an der Marienkirche Renovierungen vorgenommen und dabei einige Betrachtungen über die Zeit hinzugefügt. Von der asiatischen Cholera sei Osterode weitestgehend verschont geblieben, wurde berichtet. Zu jener Zeit gab es immer wieder Pandemien, zu Beginn des 19. Jahrhunderts überwiegend in Asien, ab 1830 war aber auch Deutschland betroffen.
Weiterhin war man stolz, dass der Wohlstand in der Stadt wuchs. In den Jahren zuvor jedoch habe es häufig Missernten gegeben, aufgrund derer die Unzufriedenheit gegen die Regierung zunahm und schließlich sogar zu Aufständen führte. Menschen wurden zur Steuerverweigerung aufgewiegelt, doch auch in Osterode wurden die „Ausbrüche der Gesetzlosigkeit“ niedergeschlagen. Im Jahr 1826 war die Stadt von gleich fünf Feuersbrünsten heimgesucht worden, bei denen Brandstiftung vermutet wurde, die allerdings nicht nachgewiesen werden konnte.

Weiterhin gab es noch ein Schriftstück, aus dem hervorging, dass die Stadt für die Unterhaltung der Kirche zuständig sei, wobei frühere Reparaturen wohl von den Gemeindegliedern finanziert worden waren. Die älteste Urkunde aus dem Jahr 1745 gab keine weiteren Einblicke in die damalige Zeit preis, sondern war nur ein von den hohen Herren der Stadt unterzeichnetes Dokument über damalige Reparaturen am Kirchturm.

Die stehen auch jetzt wieder an und Pastor Bohnert dankte hier insbesondere der Sparkasse, namentlich dem Vorstandsvorsitzenden Thomas Toebe, Erika Hüsing, Peter Zakar und Matthias Dittmar für großzügige finanzielle Unterstützung. Weitere Spenden sind selbstverständlich willkommen. Ansonsten, so Bohnert, muss er sich jetzt mal Gedanken machen, wie er einen Text über die Situation in Osterode und in der Gemeinde im Jahr 2018 für nachfolgende Generationen formuliert.







 

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