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20.02.2018

Leserbrief zum Artikel „Schulstandort Wulften soll schließen“


– Ausgabe des HarzKurier vom 17. Februar 2018

„Distanzierte“ Entscheidung des Landkreises Göttingen – Schulschließung OBS Hattorf nicht begründet

Mit Fassungslosigkeit und Verständnislosigkeit haben Lehrerinnen und Lehrer, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler der OBS Hattorf am Wochenende auf die Planungen des Landkreises Göttingen reagiert, die OBS Hattorf aufzulösen, den Standort Wulften zu schließen und den Standort Hattorf mit der OBS Herzberg fusionieren zu wollen.

Bis dahin war über derartige Planungen, die ausweislich der Berichterstattung schon einen hohe „Reifegrad“ haben dürften, bei den Betroffenen nichts bekannt. Umgesetzt werden soll dieses Vorhaben allerdings schon in diesem Jahr mit dem Schuljahreswechsel im August. Entsprechend hoch schlugen am Wochenende die Wellen. Jetzt wird weit entfernt in Göttingen per Federstrich über die schulische Entwicklung unserer Kinder entschieden – nur auf welcher Grundlage? So die Frage Vieler.

Wenn ich diesen Vorgang zunächst etwas mit Distanz betrachte, kann ich feststellen:
Die Überprüfung von Schülerzahlen, Klassen- und Jahrgangsstärken muss sicherlich ständige Aufgabe des Schulträgers sein. Hier über notwendige Maßnahmen angesichts des demografischen Wandels, der insbesondere Südniedersachsen trifft, einen politischen Diskussionsprozess einzuleiten, ist Pflicht einer ordnungsgemäß funktionierenden Verwaltung, die letztlich für einen sparsamen Einsatz der Steuermittel zu sorgen hat. Dass dabei im Einzelfall auch Standort- oder sogar gesamte Schulschließungen in Betracht gezogen werden müssen, um sinkenden Schülerzahlen Rechnung zu tragen und Synergieeffekte zu erschließen, liegt nahe.

Wo liegt also hier das Problem?

Derart sinkende Schülerzahlen haben wir in der OBS Hattorf aktuell (noch) nicht.
Die Planungen beruhen lediglich auf vagen Prognosen, die der Landkreis – ausweislich der Vorlage für die politischen Gremien – aus den Ergebnissen einer Elternumfrage ableitet: „Schulentwicklungsplanung auf Basis der Elternbefragung“ nennt das der Landkreis.

Aus den Antworten der Eltern schulpflichtiger Kinder auf die Frage, welche Schulform die Erziehungsberechtigten für ihr Kind gerne wählen wollen, wenn sie die freie Wahl hätten, und an welcher der vorhandenen Schulen sie ihr Kind in Klasse 5 voraussichtlich anmelden werden, nunmehr seitens des Landkreises eine Entscheidungsvorlage zur Schließung des Standortes Wulften und Auflösung der OBS Hattorf abzuleiten, ist absolut nicht nachvollziehbar!

Je geringer die Zahlenbasis, desto weniger belastbar sind Prognosen. Das kann den Verantwortlichen im Landkreis jeder im Umgang mit Statistiken Vertraute erklären. Niedrige zweistellige Zahlenwerte selbst bei Rücklaufquoten von über 50 % hochzurechnen, muss zu kritischen Ungenauigkeiten führen. Die Umfrage mag in der Gesamtbetrachtung den Anspruch „repräsentativ“ erfüllen, in Bezug auf kleinräumige Betrachtungen gewiss nicht.

Das Kriterium der „Repräsentativität“ muss im Übrigen nicht zuletzt auch dahin gehend in Zweifel gezogen werden, als dass sicherlich bestimmte Teile der Gesellschaft eher überproportional an einer solchen Befragung beteiligt sein dürften.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier vielmehr die „geografische Regel“ greift: Je distanzierter die Entscheidung, desto geringer die Betroffenheit. Die Kritiker der Kreisfusion müssen sich hier bestätigt fühlen, dass „Göttingen“ den Blick für den Altkreis verlieren würde. Ich kann mir im Übrigen auch nicht vorstellen, dass der frühere Landrat des Kreises Osterode einen Entscheidungsfindungsprozess mit diesen Folgen vollzogen hätte, ohne die Lehrer- und Elternschaft entsprechend einzubinden.

Den Eltern dürfte und konnte die Tragweite der Beantwortung des Fragebogens im Übrigen kaum bewusst gewesen sein. Dass mit den Antworten derart kurzfristige Weichenstellungen verbunden werden könnten, war zumindest nicht erkennbar.
Es steht doch zu erwarten, dass Eltern beispielsweise von vornherein eher nicht geneigt sind, eine Schulform unterhalb des Gymnasiums für ihr Kind „prognostisch zu wählen“, wo doch Eltern eher dazu neigen, ihre Kinder höher einzuschätzen.

Es ist auch keine neue Erkenntnis, dass eine durchaus spürbare Zahl von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums gerade ab Klasse 7 die Schulform wechselt, wenn vielleicht doch eine überfordernde Schulform gewählt wurde. Derartige Einflussgrößen spielen bei den Betrachtungen aber bislang anscheinend keine Rolle, zumindest ist das nicht erkennbar.

Meine zweite Tochter war zum Zeitpunkt der Befragung in der zweiten Klasse. Ich durfte also zweieinhalb Jahre vorausschauen und das Leistungsniveau einer heute 8-Jährigen festlegen. Hoffentlich bleibt da bei mir nicht der Wunsch der Vater des Gedankens.

Der Landkreis bezieht sich in seiner Vorlage für die politischen Mandatsträger auf § 106 Abs. 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes, nach dem die Schulträger u. a. verpflichtet sind, Schulen zu schließen oder zusammenzulegen, wenn die Entwicklung der Schülerzahlen dies erfordert. Ich weiß nicht, ob der Gesetzgeber hier auch auf derart wackelige Prognosen abstellen wollte.

Zumindest halte ich es für angezeigt, eine derartige Entscheidung mit zeitlichem Vorlauf in der Umsetzung zu treffen und zugleich die tatsächlichen Schülerzahlen zur Validierung zu evaluieren. Schulleiter Klaus Wagner wird Recht haben, dass „… man die Schule noch mindestens vier Jahre so wie bisher weiterbetreiben …“ könnte.

Der Vorgang sorgt bei mir insgesamt für ungläubiges Kopfschütteln. Insbesondere die Samtgemeinde Hattorf zeichnet sich bislang durch eine vergleichsweise gesunde Infrastruktur und einen noch zu vernachlässigenden Leerstand an Immobilien aus, weil auch alte Immobilien durch zuziehende Familien bislang einer Nachnutzung zugeführt werden konnten. Es ist zu befürchten, dass Politik hier völlig falsche Impulse setzt.

Ich würde mir wünschen, dass der Landkreis und die politischen Gremien vor derartigen Entscheidungen die Betroffenen einbeziehen und mitnehmen. Diese Defizite sind es, die zu Politikverdrossenheit und Misstrauen gegenüber Verwaltungshandeln führen.

Für Sozialdezernent Marcel Riethig eine Orientierungshilfe: Die Samtgemeinde Hattorf liegt im Altkreis Osterode.
gez. Dirk Pejril, Hattorf, 18.02.2018

 

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