Panorama

20.01.2018

„Ich bin so privilegiert, ich scheiße in Trinkwasser“


Ein halbes Jahr in Afrika - jetzt soll daraus ein Film entstehen

Interview von Christian Dolle

Lena und Ulli waren im Urlaub. Ja und? Und sie haben eine Menge Urlaubsbilder gemacht. Ja und? Na ja, ihr Urlaub führte sie zwei Jahre durch Afrika. Ihre Urlaubsbilder sind bewegt und könnten sich zu einem Film zusammenschneiden lassen. Das sind definitiv zwei gute Gründe, um über diese Reise zu berichten. In dritter Grund ist, dass so eine Produktion Geld kostet, und das wollen Ulli und die in Osterode geborene Lena mit einer Crowdfunding-Aktion zusammenbekommen. Drei gute Gründe also, um die beiden Abenteurer mal ein bisschen näher kennenzulernen.

Wie kam es eigentlich zu eurem Trip? Habt ihr euch vorgenommen, eine filmreife Reise zu machen oder war es einfach der Wunsch mal den Horizont zu erweitern?

Ulli: Wir sind in den Trip, so wie er stattgefunden hat, total reingestolpert. Ursprünglich hatten wir die Idee, mit unserem Auto die Westküste Afrikas in sechs Monaten bis Südafrika zu fahren. Dort wollten wir eine Weile bleiben und Reisen und dann von dort aus mit dem Schiff nach Südamerika übersetzen, um auch diesen Kontinent unsicher zu machen. Allerdings ist da nicht mal im Ansatz etwas draus geworden. Dass der Plan nicht aufgeht, hat sich schon im ersten Land unserer Reise gezeigt: Marokko. Wir fanden es dort einfach so schön, dass wir allein da schon knapp drei Monate verbracht haben. Es hat uns dann auch ziemlich schnell gedämmert: mit dem halben Jahr wird das nichts. Ab dann sind wir immer nach Lust, Laune und Gültigkeit unseres Visums unterwegs gewesen. Haben uns immer danach gerichtet, wie wir uns gerade fühlen.

Lena: Die Idee, überhaupt mit dem Auto loszufahren, stammt von mir. Ich habe vor Jahren einmal eine Dokumentation über Gunther Holtorf  und „Otto“ seine Mercedes G Klasse gesehen. Er hat mit dem Wagen eine 26-jährige Reise um die Welt gemacht. Das hat mich total umgehauen. Das wollte ich auch! Damals dachte ich: wenn ich einmal eine Beziehung mit einem Partner habe, mit dem ich mir so eine Reise vorstellen kann, dann mache ich das.

Ulli: Ich hatte Anfang 2014 ein Burn-Out. Zuviel Arbeit, zuviel Pendeln, zu wenig bewusst sein. Damals kam ich zu der Erkenntnis: irgendetwas stimmt in einem Leben ganz und gar nicht. Was wusste ich aber nicht. Ich habe ein paar Wochen später meinen Job (9-to-5 Office) gekündigt, denn mit der Arbeit ging es so nicht weiter. Zu dem Zeitpunkt entstand dann die Idee: Los, Wir Nehmen Uns Jetzt Beide Eine Auszeit, Brechen Aus Unserem Gewohnten Leben Aus. Mit Dem Auto. Und Zwar Nach Afrika!


Gibt es so einen Satz, mit dem ihr beschreiben könnt, was diese Reise in euch verändert hat?

Ulli: Die Reise hat mich gelehrt, bewusster zu sein. Auch wenn mir das immer noch vielfach schwer fällt. Aber das Bewusstsein bewusst zu sein ist jetzt da. Herrlicher Satz.

Lena: Am Ende wird immer alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende!

Was ist für euch der größte Unterschied zwischen den Menschen hier und den Menschen in Afrika? Oder überwiegen am Ende vielleicht doch die Gemeinsamkeiten zwischen uns allen?

Ulli: Die Menschen in den Ländern Afrikas, die wir bereist haben, leben viel mehr im Hier und Jetzt, im Heute, und sind deswegen für mich gefühlt nicht so gehetzt. Innerlich ausgeglichener als wir hier in unserem durchtakteten Leben. Wir „nehmen uns die Zeit“ oder „schaffen uns Zeit", um mal für uns zu sein. Das geschieht aus einem Mangel an Zeit heraus. Die Kultur und innere Einstellung in Westafrika ist da eine andere. Die Zeit ist schon da, ich muss sie mir nicht erst nehmen. Im Inneren überwiegen für mich die Gemeinsamkeiten zwischen uns. Wir sehen uns alle nach den selben Dingen im Leben, die selben Dinge machen uns traurig oder froh. Wir sind alle aus dem selben Holz geschnitzt.

Lena: Unsere Kulturen sind zu 1000 Prozent unterschiedlich. Ein schönes Beispiel ist die Privatsphäre. Die gibt es in Afrika einfach nicht. Wenn du mit sechs Geschwistern und deinen Eltern in einer Hütte wohnst, wo soll die stattfinden. Meine Großeltern sind noch ähnlich aufgewachsen aber heute bestehe ich als Europäerin auf Raum für mich. Wenn Menschen mir zu Nahe kommen, dann überkommt mich sofort ein unangenehmes Gefühl. Als hätte diese Person kein Recht dazu. Das hat in Afrika keinen Platz, weil meist immer von irgendwo jemand angelaufen kommt und dir Fragen stellt oder einfach nur neben dir sitzt und guckt was du so machst, auch wenn du gerade mal für dich sein wolltest.

Umgekehrt hat ein Freund aus Ghana erzählt, der jetzt in Ulm studiert, dass er oft weint, wenn er abends in seiner WG sitzt und alle seine Mitbewohner die Türen hinter sich zu machen und er alleine ist.

Ein riesiger Unterschied ist auch das sehr deutsche Bedürfnis nach Sicherheit und der ja fast schon Zwang immer produktiv zu sein und bei allem zu glänzen, das wird in Afrika fast zur Lächerlichkeit. Sicherheit existiert einfach nicht, vielleicht als Traumblase für Einige im Westen, aber bei den meisten Menschen die wir in Afrika kennengelernt haben ist jeder Tag geprägt von rauen Realitäten. Und die werden so genommen wie sie kommen. Sicher war all das bei uns vor noch gar nicht allzu langer Zeit sehr ähnlich. Aber heute geht es uns so gut, ich habe manchmal das Gefühl dieser Teil der Welt ist so weichgebügelt. Alles wird mir abgenommen, leicht gemacht, ich kann gar nichts mehr selbst, traue mir nichts mehr zu. Für alles gibt es Maschinen, Apps oder es wird ausgetauscht, wenns nicht mehr passt.
Das wäre in Afrika sicher nicht anders, wenn die meisten Menschen nicht mit grundsätzlichem zu kämpfen hätten.

Gemeinsam haben wir, das wir alle Menschen sind. Mit Gefühlen, Wünschen und dem Streben nach mehr. Mehr Komfort, mehr Wohlstand, mehr Sicherheit. Nur das ich mir Luxusprobleme leisten kann und Freunde von mir sich nichts mehr Wünschen als irgendeine Arbeit und irgendein Dach über dem Kopf. Ich dagegen bin so privilegiert, ich scheiße in Trinkwasser.


Wie stehen denn die Chancen, dass wir den fertigen Film irgendwann auch in den Kinos in Herzberg oder in Göttingen sehen können?

Ulli: Sehr gut! Wir möchten mit dem Film in die kleineren Kinos und Programmkinos. Momentan arbeiten wir an der Realisierung des Films an sich. Wie genau es später mit der Vermarktung aussieht, ist noch nicht ausgeplant. Wir werden mit dem Film aufs Festival gehen und danach beginnen, ihn in Kinos auszustrahlen. Dabei versuchen wir natürlich in so viele Kinos wie möglich zu kommen. Letztlich fällen die Betreiber eines Kinos die Entscheidung, ob ein Film bei ihnen ausgestrahlt wird oder nicht. Wenn Interesse seitens des Publikums da ist, dann läuft der Film.

Wenn man nach einer solchen Reise an einem Film arbeitet, was ist da eigentlich das größere Abenteuer?

Ulli: Haha, super Frage. Die Arbeit am Film ist für mich völliges Neuland. Ich lerne in allen Bereichen, mit denen ich gerade zu tun habe jeden Tag so viel. Das ist genau wie auf der Reise. Ich habe aus der Reise mitgenommen genau damit umzugehen, bin nicht mehr so leicht überfordert. Kann das „neue“ Abenteuer und all die neuen Dinge genießen und freue mich über all das, was ich lerne. Insofern ist die aktuelle Arbeit ein genauso großes Abenteuer. Eine Gewichtung möchte ich dem gar nicht geben.

Lena: Westafrika in seiner Darstellung gerecht zu werden, ist die größte Herausforderung.

Zum Crowdfunding: Wieviel braucht ihr? Wieviel habt ihr schon? Und was passiert eigentlich, wenn ihr euer Ziel nicht erreicht?

Ulli: Berechtigte Frage. Der Film wird uns insgesamt ca. 40.000 Euro kosten (mit Puffer/Sicherheiten, ohne Bezahlung für uns selbst). Diese Zahl wirkt auf der ersten Blick ziemlich hoch. Ich habe auch erst große Augen gemacht, dachte „Oh Mann ist ein Film teuer“. Aber sie relativiert sich für mich ziemlich schnell, je mehr Erfahrung ich im Gebiet Filme machen sammle. Verglichen mit „normalen“ Filmproduktionen ist das sehr sehr wenig Geld. Wir sammeln beim Crowdfunding eine Teilfinanzierung dieses Budgets ein, da uns klar war, dass eine solch Riesen-Summe aus der Finanzierung durch hauptsächlich unsere Freunde, Verwandten und Bekannte (was die meisten privaten Crowdfunding Projekte letztlich sind) nicht zusammen kommen kann.

Deswegen haben wir für das Crowdfundingziel 24.000 Euro angesetzt. Den restlichen Betrag zahlen wir aus dem Rest unseres Ersparten. Momentan liegen wir knapp über der Hälfte, bei ca. 12.500 Euro. Die 24.000 Euro zu schaffen, wird, wenn nicht noch ein finanzielles Wunder geschieht, schwierig. Leider lassen sich vor allem interessierte Firmen auf das aufgrund des „All-Or-Nothing“ Prinzips nicht auf Sponsoring per Crowdfunding ein. Wir haben über das Crowdfunding viele neue Kontakte geschlossen, so dass wir außerhalb des Crowdfundings noch Finanzierungsquellen auftun konnten. Das heißt, die Finanzierung der Kernarbeiten des Films ist, bei aktuellem Stand des Crowdfundings, zum Glück schon gesichert.

Das ist super für alle unsere Unterstützer, denn wir werden nun vermutlich in Absprache mit dem Betreiber Startnext des Fundingziel herunter setzen, so dass die Kampagne erfolgreich abgeschlossen wird. Jeder Unterstützer erhält sein erworbenes Dankeschön, und wir können das gesammelte Geld für die Kernarbeiten nutzen wie geplant. Lediglich der Projektplan (für Farbkorrektur und Tonarbeiten) wird sicher vermutlich etwas verzögern. Nichts destotrotz zählt weiter jeder Euro. Denn es ist einer, um den wir uns dann keine weiteren Gedanken machen müssen!


Noch mehr zum Projekt gibt es unter: www.abgefahrenderfilm.de






 

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