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10.01.2018

Hurra, die Gittelder Maulesel kommen


Warum die Gittelder Maulesel stolz auf ihren Spitznamen sein können

von Herma Niemann

Spitznamen haben auf dem Lande eine besondere und alte Tradition. Es waren alte Gewohnheiten, dumme Streiche, körperliche Gebrechen oder oft genannte Familiennamen, aufgrund dessen den Betroffenen von ihren Mitmenschen ein Spitzname gegeben wurde. Teilweise sollte es nur eine kurze Anerkennung oder Verspottung sein. Doch diese „Spitze“ blieb meistens über Generationen an der Familie hängen und der eigentliche Grund wurde vergessen, weiß der Heimatchronist Bodo Biegling aus Gittelde. Genauso ist es mit den Spitznamen, die die Bewohner einiger Dörfer in der Region erhalten haben.

Da sind zum einen die „Schwiegershäuser Jälbeine“ (Gelbbeine), denen man nachsagt, dass sie den Inhalt ihrer Kiepen, der für den Osteroder Markt bestimmt war, mit den bloßen Füßen herunter stampften und dabei vergaßen, dass darin Eier waren. Das Ergebnis waren quittengelbe Füße. Oder die Bewohner von Förste, die durch die vielen Gräben und Quellen im Dorf ständig durch Schlamm und Matsch laufen mussten und deswegen „Muhntramper“ (Matschtramper) genannt werden.

Die Gittelder Bürger müssen seit eh und je mit dem Spitznamen „Die Gittelder Maulesel“ leben. Ein Spitzname, der zunächst beim Leser böse Gedanken aufkommen lässt oder als arge Beschimpfung beziehungsweise Beleidigung klingt. „Der Spitzname verdient jedoch höchste Würdigung und Respekt, wenn man den geschichtlichen Hintergrund betrachtet“, so Bieglling. Dieser Hintergrund ist in der großen Zeit der Harzer Eseltreiberei und Kiepenfrauen zu finden.

Bekannt sind diese Berufsgruppen seit dem Mittelalter, als im Harz eine neue Bergbauepoche begann. Durch die erschöpften Bergwerke, Pestepidemien und furchtbare Hungersnöte war der Harz fast menschenleer. Um den Bergleuten und Handwerkern die schwere Arbeit in den Bergwerken schmackhaft zu machen, wurden ihnen von den herzoglichen Landesherren in Braunschweig und Hannover großzügige Bergfreiheiten versprochen. Die noch kleinen Bergarbeitersiedlungen wurden ebenfalls mit großzügigen Freiheiten ausgestattet und zu freien Bergstädten ernannt. Viele Bergleute aus anderen Regionen, wie etwa aus dem Erzgebirge, Böhmen und Tirol, folgten diesem „Harzer Bergschrei“ und übersiedelten mit ihren Familien in den Harz. Jetzt musste die schnell gewachsene Bevölkerung ausreichend versorgt werden. Zeitweise lebten in der Berghauptmannschaft Clausthal (im Jahr 1821 waren es 24.462 Einwohner), mehr Einwohner als in der Residenzstadt Hannover (1811 – 16.816 Einwohner).

Der adlige Bergamtmann war für die Versorgung der großen Zahl von Bergleuten und deren Familien verantwortlich. Er achtete streng darauf, dass es zu keiner Beeinträchtigung der Arbeitskraft der Bergleute kam. Zur Sicherung des sozialen Friedens, Verbesserung der schwierigen Lebenssituation der Harzbewohner und Überbrückung von Missernten und Teuerungen wurden Grundnahrungsmittel großzügig subventioniert oder durch freies „Herrenkorn“ überbrückt. Der ohnehin schon witterungsbedingt eingeschränkte Ackerbau mit Weide- und Viehwirtschaft sowie neue Handwerksbetriebe wurden durch strenge Vorschriften geregelt.

Die Versorgung der Harzbewohner mit Lebensmitteln und den bescheidenen Dingen des täglichen Bedarfs war dadurch nicht einfach. Es gab nur wenige befestigte Straßen- und Wegeverbindungen, die mit Pferdefuhrwerken befahren werden konnten. Eine große Hilfe waren die Eseltreiber mit ihren Eselkarawanen, die Kiepenfrauen aus den Dörfern am Harzrand und die Landgängerinnen aus den Oberharzer Orten, die wiederum in das Harzvorland gingen. So wurden die schweren Lasten und Lebensmittel aus den Orten des Harzrandes in den Oberharz gebracht.

Alte Flurbezeichnungen, wie etwa Eselhay, Eselsplatz und Eseltränke verweisen auf die alten Wege der Eseltreiber. Zu erkennen waren die Eseltreiber an ihren blauen, mit Stickerei versehenen Kitteln, mit einem roten Halstuch, braunen Manchesterhosen und einem schwarzen Hut. Ein Harzchronist beschrieb sie als Originale besonderer Art und Klugheit sowie mit einem geradlinigen Charakter. Eigenschaften, mit denen sie im gesamten Harz bekannt und geschätzt waren. Sie galten ebenso als ehrbare Händler und Kaufleute und hielten bis zu 60 Esel, die in kleinen Karawanen in den Harz zogen. In einigen Gemeinden hatten sie sich in Eseltreiber-Gilden vereint.

Der beschwerliche Weg mit den schwer beladenen Eseln führte mehrmals in der Woche über unbequeme Pfade, durch Ländereien, Wiesen und Wälder und begann vor Sonnenaufgang. Die Rückkehr endete am späten Abend oder auch erst am nächsten Tage. Teilweise kamen die Eseltreiber mit ihren Waren weit aus dem Harzer Vorland. Diese Strecken wurden zwei bis dreimal in der Woche gegangen, ganz gleich welches Wetter herrschte. Besonders im Winter behinderten Eis und Schnee die teils tagelangen Märsche. In alten Bergchroniken wird von Raubüberfällen, Mord und üblen Streitigkeiten berichtet, die auf den Treiberwegen passierten.

Genau wie die Eseltreiber zogen die Kiepenfrauen weit aus dem Harzvorland regelmäßig in den Harz und verkauften dort ihre Waren. In einfacher, robuster Bekleidung, bei Wind und Wetter wurden die Strecken täglich gegangen. Trotz Kleinkindern und Schwangerschaften mussten die Frauen den schweren Weg gehen. Sogar zu Geburten soll es auf den Wegen gekommen sein. Von einem Harzreisenden wurden diese Frauen vor 200 Jahren „als unglaublich zähe, duldsame und anspruchslose Frauen“ beschrieben. Er nannte sie „Kamele des Oberharzes“. Dazu gehörten auch die sogenannten Landgängerinnen, die aus den Harzer Bergstädten kamen und neben ihren Einkäufen auch mit vertraulichen Botengängen, Briefen und Wertsendungen betraut wurden. Ihre Wege führten sie sogar bis in die Städte Braunschweig und Hannover. Nach Einführung des staatlichen Postverkehrs war es ihnen jedoch unter Strafe verboten, bei ihren Botengängen Postgänge zu erledigen.

Die Arbeit der Eseltreiber veränderte sich, nachdem in Osterode in den Jahren 1719 bis 1722 das Kornmagazin errichtet wurde. Darin konnten bis zu 40.000 Zentner Brotgetreide zur Versorgung der Oberharzer Bevölkerung eingelagert werden. Von hier aus verteilten die örtlichen Eseltreiber im Auftrage und auf Rechnung der Oberharzer Bergverwaltung das Getreide im Oberharz.

Die große Zeit der Eseltreiber und Kiepenfrauen im Harz endete mit dem Beginn des ersten. Weltkrieges. Das Eseltreiberdenkmal in der Osteroder Innenstadt erinnert an diesen herausragenden Abschnitt der Harzer Bergbaugeschichte.

Die Harzer Eseltreiberei wurde in der Regel mit Eseln ausgeführt. Nur die Gittelder Eseltreiber machten da eine Ausnahme. Als Lasttiere setzten sie Maulesel ein, dies ist eine Kreuzung zwischen Esel und Pferd, die als besonders kräftig, ausdauernd und trittsicher gilt.

Die Gittelder Land- und Gastwirtsfamilie Tolle betrieb dazu im Ort eine große Mauleselzucht. Diese befand sich auf dem Steinhof an der Thüringer Straße, ehemals Gaststätte Kronprinz/ Landwirt Mai. Von hier starteten die Maulesel- Karawanen mit ihren Waren in den Harz. Wenn die Gittelder Händler dann mit ihren beladenen Tieren in den Harzer Orten erschienen, wurden sie von den Bewohnern schon sehnsüchtig erwartet und besonders von den Kindern begeistert gefeiert. Es hieß dann überall: „ Die Gittelder Maulesel kommen“. Diese, inzwischen zum geläufigen Spitznamen der Gittelder erkorene Redewendung sollte also nicht abwertend ausgelegt werden. Sie ist eher ein Ausdruck der Freude und Respekt vor der schweren Arbeitsleistung.


Die durch den Bergbau schnell gewachsene Bevölkerung im Harz wurde durch Eseltreiber, Eselkarawanen und den Kiepenfrauen mit Lebensmitteln versorgt.

Anlässlich der 1050-Jahrfeier von Gittelde begrüßte am Ortseingang ein Esel die Besucher.

 

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