Kultur / Federkiel

24.12.2017

Das allerletzte Einhorn - Teil 4


Ein interaktives Weihnachtsmärchen zum Mitraten

Liebe Leser, am heutigen vierten Advent kommen wir zum letzten Teil unseres Weihnachtsmärchens. Da aber dieser vierte Advent auch auf den Heiligen Abend fällt, brauchen sie nicht mehr raten, sondern können das Finale der Geschichte um die Prinzessin und die verschwundenen Einhörner einfach nur genießen.

Viel Spaß dabei und natürlich frohe Festtage wünscht das Eseltreiber-Team.

Teil 4 – Die Rückkehr der Einhörner

von Christian Dolle

Die Prinzessin brauchte nicht lange zu überlegen. Viel zu lange schon war sie mit ihrer Fackel durch die Höhle gelaufen und hatte sich vor jedem Widerschein an den Felswänden erschrocken. „Du bist der Schatten“, rief sie den Wächtern entgegen, die daraufhin den Weg freigaben und in die Tiefen der Höhle entschwanden.

Mit ganzer Kraft stemmte sich die Prinzessin gegen die steinernen Flügel des großen Tores und es gelang ihr tatsächlich, sie langsam aufzuschieben. Hinter dem Portal erhoben sich die Felswände zu einer noch viel größeren Halle, deren Decke und deren Wände sie im schwachen Licht einiger Fackeln nicht zu erkennen vermochte.
Plötzlich zischte es und aus einem großen Felsblock, der wie ein Altar aussah stieg zunächst Rauch auf, dann Flammen und schließlich tausende und abertausende bunter Blitze. Aus diesen formte sich allmählich die Gestalt des bösen Zauberers, der das kleine Mädchen mit durchdringendem Blick ansah. „Du wagst es, dich mir entgegen zu stellen?“, fauchte er sie an.

„Gib mir meine Brüder zurück“, sagte sie mit leiser, aber fester Stimme, „und die Einhörner.“ Der Zauberer lachte auf, ließ noch mehr Blitze zucken und schwebte nun ganz nah über ihr. „Warum sollte ich das tun?“, fragte er. Dabei deutete er auf drei Nischen im Fels, in der gefesselt ihre drei Brüder, die Königssöhne standen. „Auch sie haben es gewagt, sich mit mir anzulegen. Jetzt sieh, was aus ihnen geworden ist.“ Die Stimme des bösen Zauberers wurde lauter und hallte schrill von den undurchdringlichen Felswänden zurück. „Dich aber, meine Kleine, werde ich nicht nur fesseln, sondern meine furchterregenden Drachen auf dich hetzen.“

Man kennt das ja. Wenn mächtige Menschen herausgefordert werden, reagieren sie oft cholerisch und drohen mit allem möglichen, bloß um zu zeigen, wie unbesiegbar sie doch sind. Das ist in der heutigen Politik nicht anders als im Märchen. Doch damals wie heute gilt eben auch, dass die größten Schreihälse nicht unbedingt die hellten Köpfe sind. Und im Märchen ist es nun einmal so, dass am Ende nicht der Stärkste und Mächtigste gewinnt, sondern der Klügere und derjenige, der nichts Böses im Schilde führt.

„Ach ja“, fragte die Prinzessin, „wo sind sie denn, deine Drachen? Du kannst sie nämlich gar nicht auf mich hetzen, weil ich nicht an Drachen glaube. Und wenn ich nicht an sie glaube, dann gibt es sie nicht und sie können mir auch nichts tun.“ Der Zauberer konnte nicht fassen, was sie sagte und überhaupt, wie mutig dieses kleine Mädchen war. Er plusterte sich mächtig auf, ließ noch mehr Blitze und nun auch Donner durch die Höhle zucken und grollen.

Ganz damit beschäftigt, möglichst furchteinflößend zu sein, bemerkte er nicht, wie das Mädchen zu ihren drei gefesselten Brüdern schlich und sie losmachte. Während der Zauberer noch donnerte und grollte, so dass Steinbrocken von der Decke zu stürzen begannen, flohen die vier Königskinder durch das Portal und dann durch die langen Gänge der Höhle bis nach draußen. Hinter sich hörten sie ein noch viel Mächtigeres Donnern und konnten sich gerade noch ins Freie retten, bevor der gesamte Berg hinter ihnen in ich zusammenstürzte und den bösen Zauberer und all sein Gefolge in einem riesigen Brocken aus Fels unter sich begrub.

Fortan wurde der so neu entstandene Berg einfach nur Brocken genannt und nach vielen Jahren und Jahrzehnten wusste niemand mehr, dass er einst ein noch viel höherer Berg gewesen war, in dem damals der böse Zauberer lebte. Doch in unserer Geschichte soll es ja nicht um den Berg gehen, sondern um die Prinzessin und die Einhörner.

„Uns hast du zwar gerettet und den bösen Zauberer besiegt“, sagte schließlich der älteste ihrer Brüder, „doch die Einhörner hast du nicht gefunden.“ Das Mädchen lächelte und nahm ihn und die beiden anderen Brüder bei der Hand. Sie zog sie zu der Wiese, auf der die Esel standen. „Doch, das habe ich“, sagte sie leise, „Sie sind alle hier. Ihr müsst nur daran glauben, dann könnt ihr sie auch sehen.“

Die drei Prinzen wollten ihre kleine Schwester zunächst auslachen. Dann aber rieben sie sich die Augen und sahen noch einmal zu den Eseln. Als das Licht der nun aufgehenden Sonne auf sie fiel, verfärbte sich ihr Fell schneeweiß und auf der Stirn jedes einzelnen Tieres konnten sie ein silbern schimmerndes Horn erkennen. Auch standen sie nicht mehr wie Esel herum, sondern galoppierten nun als stolze Einhörner in alle Himmelsrichtungen.

Vier von ihnen hielten vor den Geschwistern an, so dass sie aufsteigen und in ihre Heimat zurückreiten konnten. Dort neigte sich das Jahr mittlerweile dem Ende zu und der König und die Königin hatten schon nicht mehr mit der Rückkehr ihrer Kinder gerechnet. Als sie sie jetzt am Horizont die vier Einhörner sahen, konnten sie ihre Freude kaum fassen. Mit Tränen in den Augen liefen sie auf die Prinzessin und ihre Brüder zu und schlangen sie fest in die Arme. Nun konnten sie doch noch alle gemeinsam und in Frieden Weihnachten feiern.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann grasen die Einhörner noch heute irgendwo mitten unter uns und wir müssen nur an sie glauben, um sie zu sehen.



 

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