Kultur / Rezensionen

14.06.2025

Quentin Tarantino und Stephen King in Neon


Die harte Cyberpunk-Welt von M. H. Steinmetz

von Christian Dolle

„New Babylon ist eine Stadt, in der organisches Leben pulsiert wie einst in Sodom und Gomorrha. Wo Türme erbaut werden, die dem Namen der Stadt mehr als nur gerecht werden, weil sie sich hoch in den Himmel recken. Nur noch von holografischen Werbebannern übertroffen, die neonschillernd bis ins Weltall reichen, um ihre Konsumbotschaften in flimmernden Endlosschleifen zu verkünden, die bis weit in die Badlands zu sehen sind.“

So erklärt M. H. Steinmetz jene Welt, in der seine Geschichten aus „Shinigami“ spielen. Eine Cyberpunk-Welt zwischen William Gibson und Quentin Tarantino, zwischen technischem Wunderland und Apokalypse. Oder wie der Autor selbst weiter beschreibt: „Wir schreiben das Jahr 2070, leben in einer zerstörten Welt, die von Megakonzernen regiert wird. Unterdrückung. Korruption. Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung. Das ungefilterte Sonnenlicht brennt in den Augen und der säurehaltige Regen schmeckt nach Chemikalien. Ätzend und schwer wie Blei sickert die von Abgasen verpestete Luft in die Lungen.“

Keine schöne neue Welt

Ja, es ist keine schöne neue Welt, in die wir da in der Short Story-Sammlung „Burning Chrome“ eintauchen. Auch keine ganz einfache, denn auch als Leser musste ich mich erst einmal zwischen tiefen Straßenschluchten und Bewohnern mit allerlei kybernetischen Implantaten zurechtfinden. 

So ist da beispielsweise eine Katze, die nachts auf dem Dach eines Wolkenkratzers sitzt und darüber sinniert, dass die Menschen den Glauben an die alten Religionen und sich im Cyberspace verloren haben. In den Katzen aber lebt das Wissen um Shinto-Geister und -Dämonen und so auch die Shinigami, die Todesgötter, fort. Außerdem gibt es die Edgerunner, also Menschen am Rande der Gesellschaft, die sich beispielsweise als Auftragskiller durchs Leben schlagen, oder die Netrunner, Hacker, die mehr in digitalen Welten als in der echten zu Hause sind. 

Vieles davon ist aus Cyberpunk-Welten und nicht zuletzt aus „Cyberpunk 2077“ durchaus bekannt, bei Shinigami kommen aber durchaus noch weitere Aspekte hinzu. Nun habe ich mit „K.C.P.D.“ eine eigene Geschichte, die in einer durchaus ähnlichen Welt spielt (auf dem Youtubekanal „CrYzZ Storys“), aber ich gebe zu, ich musste mich in diese trotzdem erst einmal einlesen. Dann aber funktioniert die Anthologie wie eine Einstiegsdroge.

Denn Steinmetz‘ Shinigami-Universum ist noch größer, heißt, es gibt weitere Bücher und einige der Figuren, die ich in „Burning Chrome“ kennenlernte, tauchen in anderen Werken wieder auf. Das macht extrem neugierig, weil sehr schnell deutlich wird, dass New Babylon und die Badlands noch sehr viel zu bieten haben - vor allem sehr düstere Abgründe.

Hikikomori und Kampfbot

Auf meine zwei Lieblingsgeschichten möchte ich kurz ein wenig näher eingehen. Zum einen gibt es eine über einen Jungen, der als Hikikomori bezeichnet werden kann. (Für diejenigen, die es nicht wissen: Als Hikikomori bezeichnet man in Japan Menschen, die sich in ihren eigenen vier Wänden geradezu verbarrikadieren und sämtliche sozialen Kontakte zur Außenwelt so gut wie möglich vermeiden.) Im Falle des Jungen, der sich Son-Goku nennt, ist das Verbarrikadieren eine sehr ernste Sache, denn draußen in der Stadt ist eine Massenpsychose und das totale Chaos ausgebrochen. Menschen drehen durch, auch seine Mutter wurde bereits in der Wohnung überfallen, riet ihm noch, er dürfe unter keinen Umständen die Tür öffnen. 
Allerdings hat Son-Goku eine Online-Freundin, die gar nicht mal weit von ihm entfernt lebt und die ebenfalls in Gefahr schwebt. Da er sich ja in amtliche Kameras des Mega-Wohnkomplexes hacken kann, kommt er auf die wahnwitzige Idee, seine Freundin durch die Apokalypse da draußen zu sich zu lotsen. 

Eine weitere Geschichte spielt in einem Diner in den sogenannten Badlands, wo die Protagonistin einfach nur froh ist, New Babylon und den ganzen Dreck der Stadt hinter sich gelassen zu haben. Dann aber fällt ihr am Handgelenk der Kellnerin eine fluoreszierende Nummer auf, die diese als Kampfbot identifiziert. Allerdings ein Kampfbot einer Baureihe, die ausgemustert wurde und von der nur noch wenige unentdeckt unter den Menschen leben. Diese KIs wiederum sind für Kopfgeldjäger und andere Glücksritter eine begehrte Beute. Kann es sein, dass es auch einige Gäste im Diner auf jene Kellnerin abgesehen haben?

Resignierte Wut

Es sei nur verraten, dass vom Diner am Ende nicht viel übrig bleibt und das dem ein Szenario irgendwo zwischen „From Dusk till Dawn“ und Stephen Kings „Trucks“ vorausgeht. Also die Verfilmung dieser Story würde ich wirklich gerne sehen. 

Ja, es passiert einiges in diesen Geschichten. Oft werden die Vorstellungen dessen, was an Symbiose aus Mensch und Technik möglich ist, ausgereizt, Horroraspekte kommen definitiv nicht zu kurz (immerhin ist Mario H. Steinmetz vor allem als Horrorautor bekannt) und über allem schwebt diese resignierte Wut, die das Cyberpunk-Genre ja auch irgendwie ausmacht. 

All das hat mir sehr gut gefallen und ich bin mir sicher dass es nicht mein letzter Besuch in New Babylon bzw. in der Shinigami-Welt war. Und ich bin mir auch sicher, dass die eine oder andere Idee sich so sehr in meinem Kopf festgesetzt hat, dass sie irgendwann auch eine meiner Geschichten beeinflussen wird. 

 

Diese Rezension gibt es auch als Video:


 

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