Kultur

22.05.2025

Angst auf dem Heimweg – für viele Frauen ein alltägliches Problem


Interview mit Harzer Hammer-Gewinnerin Hannah Essing zu ihrem neuen Thriller „Dein Heimweg“

von Christian Dolle

Im vergangenen Jahr gewann Hannah Essing den Krimipreis „Harzer Hammer“. Mit ihrem Debütroman „Die Tote von Nikosia“ konnte sie die Jury des Mordsharz-Festivals überzeugen und machte natürlich auch neugierig auf mehr von ihr. Jetzt ist ihr zweiter Krimi „Dein Heimweg“ erschienen, in dem die Protagonistin Emmy einen Job in einem aufstrebenden Start-Up bekommt und schon bald miterleben muss, wie Kolleginnen auf ihrem Heimweg ermordet werden.

- Hannah, hast du selbst auf deinem Heimweg schon einmal etwas erlebt, was dir Angst machte?

Auf jeden Fall – das ist auch der Grund dafür, warum ich das Buch geschrieben habe. Die Angst auf dem Heimweg ist für viele – gerade Frauen – ein alltägliches Problem. Das bekomme ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis immer wieder gespiegelt. Man hält den Schlüssel zwischen den Fingern, teilt den Standort, kauft sich Pfefferspray. Das kann doch nicht normal sein. Aber leider ist es das.

In „Dein Heimweg“ geht es um eine App, die Frauen helfen soll, sich nachts sicherer zu fühlen. Warum hast du ein Buch darüber geschrieben und dir nicht ein Team gesucht, um selbst dieses Start-Up zu gründen? ;-)

Die Start-Up-Welt ist nichts für mich – ich glaube, das merkt man in meinem Buch. Aber Literatur, auch Kriminalliteratur, gibt uns Schreibenden die Möglichkeit, wichtige und akute Themen in einem unterhaltsamen Rahmen zu bearbeiten. Das gefällt mir besser als ein Start-Up.

- Es geht eben auch um diese Firma und um die Strukturen dort, um Konkurrenzdenken oder auch Mobbing unter Kollegen. Dabei liebe ich deinen teils sarkastischen Schreibstil und deine sehr pointierte Figurenzeichnung. Gab es für einige Figuren reale Vorbilder?

Leider kennt jeder und jede Figuren wie sie in dem Buch auftreten. Sie sind ein Konglomerat aus vielen realen Personen und aus gesellschaftlichen Problemen. Es gibt zum Beispiel eine männliche Figur, die wohl die meistgehasste ist – da sind viele Frauen auf mich zugekommen und meinten, sie kennen Personen wie ihn und er hätte sich viel zu real angefühlt. Wir sind also wohl in unserem (Berufs-)Alltag alle schon jemandem wie ihm begegnet.

Glaubst du, dass Frauen es immer noch schwerer im Berufsleben haben? Wie ist das bei jungen Autorinnen, die sich in der Welt des Krimi behaupten wollen?

Es kommt natürlich auf Punkte wie Branche, Alter, Ausbildung, Umstände etc an. Aber ja – es gibt Probleme wie die Gender Pay Gap, Altersarmut bei Frauen, die „Teilzeitfalle“, und natürlich die ganze #metoo-Bewegung. In dem kapitalistischen System der Lohnarbeit haben alle Teilnehmenden es schwer, aber Frauen stehen nochmal vor besonderen Herausforderungen. Wie es in der Welt des Krimis ist, kann ich noch nicht genau sagen – alle Kolleginnen und Kollegen waren immer aufgeschlossen, freundlich und haben gerne unterstützt. Da habe ich bisher keine negativen Erfahrungen gesammelt.

Im vergangenen Jahr hast du für „Die Tote von Nikosia“ den Harzer Hammer des Mordsharz-Festival verliehen bekommen. Ebnet ein solcher Preis manche Wege in der Branche?

Er sorgt auf jeden Fall für Aufmerksamkeit und neue, auch freundschaftliche Kontakte in der Branche. Die Preisverleihung war ein ganz besonderer Abend für mich!

Wollen wir noch einmal auf Frauen als Opfer von Gewalt zu sprechen kommen: Laut Kriminalstatistik wurden 2023 insgesamt 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. Die Fallzahlen von häuslicher Gewalt, politisch motivierter Gewalt gegen Frauen und vieler anderer Delikte steigen dramatisch an. Hast du dein Buch auch geschrieben, um darauf aufmerksam zu machen?

Ja, darauf kann man nicht genug hinweisen. Deswegen erwähne ich in meiner Danksagung auch explizit die Nummer des Hilfetelefons für Frauen. Die weiblichen Charaktere in meinem Buch erleben Gewalt verschiedenster Art und müssen einen Umgang damit finden. Ich freue mich, dass Ullstein mir die Möglichkeit gegeben hat, diesem Thema Aufmerksamkeit zu schenken.

Du zitierst im Roman auch immer Social Media-Posts von Frauen, die Angst auf ihrem Heimweg haben etc. Alles erfunden oder hast du bei der Recherche zum Buch auch manches aufgeschnappt und gesammelt?

Es sind keine wortwörtlichen Zitate, aber alles realistische Situationen beruhend auf eigenen und Erfahrungen anderer Frauen.

Wie sind eigentlich bisher die Reaktionen auf „Dein Heimweg“? Und kommen die eher von Frauen oder auch von Männern?

„So ein wichtiges Thema!“ ist eigentlich meistens, was ich zuerst höre. Viel von Frauen, aber auch von Männern, die anerkennen, dass es für Frauen wichtig ist. Das gibt Hoffnung, dass das Thema ernstgenommen wird.

Zum Schluss noch die obligatorische Journalistenfrage: Schreibst du bereits an etwas Neuem und willst du schon verraten, um was es geht?

Noch kann ich dazu nichts sagen – das kennst du ja!

Versteh ich gut. Dann danke ich dir für das Interview.

Die folgenden Bilder können Sie vergrößern, wenn Sie ein Eseltreiber-Abo haben:


Hannah Essing bekam den Harzer Hammer von Andreas Gruber überreicht

 

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