Kultur / Rezensionen

10.04.2025

Freiheit für die Leopardenfrau


Eine mit dem Seraph ausgezeichnete Science Fiction-Novelle

von Christian Dolle

Ashari ist eine anthropomorphe Leopardin. Ein durch Gentechnik erschaffenes Mischwesen aus Mensch und Tier, das vom Konzern Anthrotec an gut zahlende Kunden verkauft wird. Ihren Namen trägt sie zunächst nicht, denn sie ist ja nur eine Ware. Erst ihr Käufer und Meister David Blake, ein prominenter Schriftsteller, lässt sie diesen Namen wählen. Überhaupt möchte er Ashari Freiheit gewähren, obwohl sie kaum erahnt, was das eigentlich bedeutet, und die Welt für selbstbestimmte Morphs noch längst nicht bereit ist. 

„Der salzige Geschmack unserer Freiheit“ ist eine Science Fiction-Novelle von Christopher Abendroth, die mit dem deutschsprachigen Literaturpreis für Phantastik, dem Seraph, der jährlich auf der Leipziger Buchmesse verliehen wird, ausgezeichnet wurde. Jetzt ist das Buch auch als Hörbuch erschienen, gelesen von Markus Sellmann. 

Autor Christopher Abendroth schreibt seit den 1990er Jahren, „Der salzige Geschmack unserer Freiheit“ aber ist sowas wie eine Initialzündung, der bereits jetzt vier weitere Veröffentlichungen folgten. Markus Sellmann ist professioneller Sprecher, aber wohl auch eher einem Nischenpublikum bekannt. Umso mehr ein Grund, das gemeinsame Projekt mal genauer zu betrachten. 

Sklavin ohne Namen

Es geht also um anthropomorphe Tiere, was ja eher nach Kink und verborgener Leidenschaft klingt. Genau das sind die Morphs in der Geschichte auch. Sie werden von ihren Meistern wie Sklaven gekauft und größtenteils auch so behandelt. Umso erstaunter ist Ashari, als David sie nicht nur bittet, sich einen Namen auszusuchen, sondern ihr auch noch deutlich macht, dass er nichts von ihr fordern wird, was sie nicht will. 
David hat sich mit dem Thema theoretisch schon lange auseinandergesetzt, schließlich engagiert er sich auch in der Organisation Morph Freedom, die für die Rechte der Tierwesen eintritt. Für Ashari widerspricht das Konzept der Freiheit allem, was sie gelernt hat und wofür sie bei Anthrotech zum Teil qualvoll trainiert wurde. Freiheit ist gar nicht so leicht, wenn man sie nicht kennt. 

Unter diesem Aspekt wird die Novelle zur Parabel und steht im Kontext aller Literatur, die sich mit Sklaverei und Befreiung oder Rechten von Minderheiten befasst. Ein breites Feld. Eines, das zeigt, wie Ashari an einer Stelle sagt, dass die Menschen sich nie verändert haben, immer über andere Herrschen wollen. 

Freiheit und Selbstbestimmung

Die besondere Qualität der Geschichte zeigt sich in vielen fast kammerspielartigen Konfliktsituationen zwischen Ashari und David und in soziologisch-philosophischen Diskussionen. So wird es zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem, was Freiheit eigentlich mit sich bringt und dem Grad der Selbstbestimmung eines jeden Individuums. Diese Szenen sind hervorragend unaufgeregt und nachdenklich geschrieben und im Hörbuch ebenso eindringlich gelesen. 

Überhaupt gelingt es Christopher Abendroth und Markus Sellmann, diese zunächst typische Geschichte aus der Phantastik in ein sehr literarisches, dabei aber nie langweiliges Sinnieren über Menschen und andere Lebensformen fließen zu lassen. Auch in Bezug auf KI sind das ja Diskussionen, die wir früher oder später auch in der Realität führen werden. 

Für Ashari und David gipfelt alles in einer Fernsehtalkshow, die auf eine gewisse Weise sogar aktuelle Polittalks persifliert, vor allem aber verschiedene Blickwinkel sehr pointiert (und natürlich mit einem deutlichen Ergebnis) darstellt. Das ist wirklich sehr gut gemacht, toll geschrieben und zudem so gelesen, dass die jeweiligen Charaktere sehr subtil unterstrichen werden. 

Was ich nicht gebraucht hätte – Achtung: an dieser Stelle muss ich ein wenig spoilern – ist in einem knapp sechst Stunden langen Hörbuch eine halbstündige Sexszene. Gar nicht mal, weil ich noch nicht bereit bin für Erotik zwischen Mensch und Tierwesen, sondern vielmehr, weil es sich für mich ein wenig platt im Gegensatz zur übrigen Atmosphäre der Erzählung anfühlte. Die dankbare Sklavin, die sich in ihren Erretter verliebt ist jetzt ehrlich gesagt ein Element, das aus anderen Kontexten viel zu ausgelutscht ist. 

Aber das ist letztlich nur ein Kritikpunkt, der mir umso mehr bewusst macht, wie gut mir alles andere gefallen hat. Eine Geschichte im Stile ganz großer Literatur, dazu durch die Figur der Leopardin etwas relativ Neues, ein sehr realistischer Blick, wie wohl die Öffentlichkeit reagieren könnte, all das hat mir ausgesprochen gut gefallen. Es ist ein Buch, das sich zu lesen bzw. ein Hörbuch, das sich zu hören lohnt, sei es nun aus Interesse an Mischwesen oder eben an typisch menschlichen Reflexen und Reaktionen, wenn eine Gruppe, die zuvor keine oder wenige Rechte hatte, diese plötzlich zugesprochen bekommen soll. 

Mehr zu Christopher Abendroth gibt es hier.

Die folgenden Bilder können Sie vergrößern, wenn Sie ein Eseltreiber-Abo haben:


Verleihung des Seraph

 

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