Kultur / Rezensionen

16.01.2025

Ode an die Menschlichkeit


„Celestial Brothers“ von Lea Ansmann ist eine Cyberpunk-Story für Herz und Verstand

von Christian Dolle

Ruben lebt in einer futuristischen Großstadt, in der das Leben weitgehend von KI bestimmt wird. Eines Nachts will sein Bruder Josh ihm erklären, warum er in letzter Zeit so selten zu Hause ist, wo er sich stattdessen herumtreibt. Als Ruben ihm folgt, bricht für ihn die Welt zusammen, denn in einem der armen, heruntergekommenen Viertel der Stadt wird Josh kaltblütig erschossen.

Die Cyberpunk-Szenerie, die Lea Ansmann in ihrem Buch „Celestial Brothers – Aufbruch ins Menschsein“ aufbaut, ist geradezu typisch für dieses Genre, es braucht nicht viele Beschreibungen, um deutliche Bilder zu erzeugen. Auch die grobe Handlung mutet erst einmal typisch an, denn Ruben findet heraus, dass sein großer Bruder Teil einer Gruppierung war, die sich dem System nicht unterwerfen will. 

Superhelden-Story

So weit, so vertraut. Was diese Erzählung nun aber besonders macht, ist die übersinnliche Bindung, die die beiden Brüder auch nach dem Tod des einen immer noch haben. Josh ist für Ruben da, weist ihm Wege und verleiht ihm in Extremsituationen sogar unerklärliche Fähigkeiten. Dieser Aspekt könnte „Celestial Brothers“ zu einer Superhelden-Story machen, einige Entwicklungen halten dieser Beschreibung durchaus stand. 
Viel mehr aber ist es ein Buch über Trauer, über den Schmerz des Verlustes, über einen Jugendlichen, der sich plötzlich völlig allein in einer viel zu kalten Welt fühlt. Dass er auf die irgendwie als Hippies beschriebenen Freunde seines Bruders trifft, wird für ihn zur Chance, aus dem technisierten Alltagstrott auszusteigen und dabei sich selbst zu finden. Aber auch die Betrachtung als Adoleszenzroman wird der Geschichte nur zum Teil gerecht. 

Letztlich ist es nämlich die Geschichte eines Suchenden. Im Angesicht des Todes seines Bruders sucht Ruben nach einem Sinn des Lebens und findet ihn in der vor zu viel Technisierung kaum noch erkennbaren Menschlichkeit. Eine Menschlichkeit, die verbindet, sogar über die Grenzen des Lebens hinweg, und die rein logisch nicht zu erklären ist. In der (sorry, der Spoiler muss jetzt sein, verrät aber meiner Meinung nach nicht zu viel) Konfrontation mit der KI versucht Ruben das, was uns Menschen als Menschen ausmacht zu fassen. 

Es ist die Nächstenliebe

Es ist die Nächstenliebe, die sich in der Liebe zwischen den Brüdern, aber auch einer Verbundenheit aller Menschen zeigt. Angesichts der Probleme die Menschen einander bereiten ist sie für eine rationale KI definitiv nicht erkennbar. 

Damit ist nichts konkretes Verraten, nichts, was die Spannung nimmt, nur will ich deutlich machen, dass es auch eine spirituelle, vielleicht eine religiöse Geschichte ist, die die junge Autorin erzählt. Es wirkt fast, als habe sie sich beim Schreiben selbst auf die Suche gemacht, was das im Untertitel erwähnte Menschsein eigentlich ausmacht. 

Genau das macht dann auch die Intensität ihres Erzählens aus. Rein objektiv ist der Schreibstil an manchen Stellen nicht perfekt. Die Welt hätte ich mir manchmal noch deutlicher herausgearbeitet gewünscht und das endgültige Ende war mir ein wenig zu schwarz-weiß gedacht.

Gerne mehr

Aber es ist ein Buch, das etwas zu sagen hat, ein Buch, das all dem, was wir momentan über KI zu lesen bekommen, eine neue Facette hinzufügt, und ein Buch, das wirklich mit Herzblut geschrieben ist. Wenn ich auch am Anfang ziemlich literaturwissenschaftlich klang, so muss ich euch auch gestehen, dass ich beim Lesen schon lange nicht mehr so oft Tränen wegblinzeln musste. 

Lea Ansmann ist Mediengestalterin, Künstlerin, Mutter und eben Autorin. Sie ist 25 Jahre alt und „Celestial Brothers“ ist ihr erstes Buch. Als Selfpublisher bekommt Lea leider nicht die Aufmerksamkeit, die das Buch verdient hätte. Aber ich bin wirklich begeistert von ihrer frischen, emotionalen und straffen Art, Geschichten zu erzählen. Daher wünsche ich mir, die eine oder den anderen auf diese Cyberpunk-Story für Herz und Verstand aufmerksam machen zu können, so dass wir hoffentlich noch mehr von dieser Autorin zu lesen bekommen.

 

Die Rezension gibt es auch als Video:


 

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