Kultur / Rezensionen
09.01.2025
Soldaten sind Mörder?
„Die innere Führung“ von Lars Sommer ist ein Krimi mit gesellschaftlicher Brisanz
von Christian Dolle
„Die meisten Menschen werden nicht gewaltbereit geboren. Du musst es ihnen antrainieren“, schreibt Autor Lars Sommer in seinem neuesten Buch „Die innere Führung“. Er bezieht diesen Satz auf Soldaten, auch auf die der Bundeswehr.
Die Handlung des Kriminalromans beginnt auf der Hochzeit eines Elitesoldaten, auf der eine Autobombe explodiert und das Brautpaar tötet. Sind es persönliche Motive? Ein Anschlag auf die Bundeswehr? Ein leicht schrulliger Kriminalkommissar ermittelt, die Ex-Freundin des Bräutigams, die selbst bei der Bundeswehr war, will der Sache auf die Spur kommen, und dann ist da noch ein undurchsichtiger BKA-Mann, der ganz eigene Wege verfolgt.
Politische und gesellschaftliche Themen
Lars Sommer ist das Pseudonym des Thriller-Autors Lucas Fassnacht („Kill the Rich“), der eine literarische Brücke von Poetry Slams zu harten politischen Themen schlägt und gesellschaftliche Probleme aus einem intensiven eigenen Blickwinkel betrachtet. Das zeichnet auch dieses Buch aus.
Natürlich ist es in erster Linie ein Kriminalfall, der sich der Suche nach dem Täter und den Motiven widmet. Besonders wird er durch die drei Hauptfiguren, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dadurch natürlich immer wieder aneinandergeraten. Dadurch allein kommt Spannung auf, die Handlung ist temporeich erzählt und gekonnt auf die Auflösung hin geschrieben.
Doch das Genre Krimi ist ja oft auch ein Mittel, um brisante Themen aufzugreifen und sie durch die Augen verschiedener Figuren zu betrachten. Hier sind es natürlich die Soldaten, die damals im Einsatz in Afghanistan vieles erlebten, was sie geprägt hat und was zum Teil bis heute unter den Mantel des Schweigens gehüllt wurde.
Konträre Blickwinkel
„Bei den Amis feiern sie das Militär wie Popstars, und bei uns? Da sind wir die Wurzel allen Übels. Selbst für unsere eigenen Herrn und Meister. Putins Allmachtsfantasien hin oder her. Ich glaube kaum, dass sie eine Fliegerstaffel für die Beerdigung ordern werden“, lässt Sommer eine seiner Figuren die Stellung der Bundeswehr in unserer Gesellschaft bedauern.
Auf der anderen Seite ist der Vater der Braut ein humanistischer Professor, der sich sehr deutlich gegen jedes Militär ausspricht. „Nie wieder, haben wir gesagt nach den Grauen des Zweiten Weltkrieges, wir haben die Idee einer Inneren Führung erfunden und so getan, als lasse sich dem einzelnen Soldaten Verantwortungsbewusstsein auf dieselbe Weise verordnen wie Frühsport“, lässt der Autor ihn sagen, „Je rücksichtsloser der Gegner, desto unbarmherziger verteidigen wir uns. Wir sagen, wir verteidigen unsere Werte, aber mit jeder neuen Schlacht verwenden wir Mittel, die uns weiter von diesen Werten entfernen.“
Hinzu kommt in der Geschichte eine Journalistin, die nicht zurückschreckt, diesen Anschlag so reißerisch wie möglich auf die Titelseite zu bringen, und überhaupt die Reaktion der breiten Masse auf die brutale Tat. All das macht „Die innere Führung“ zu einem Krimi, der sich sehr gut und sogar manchmal mit einem Augenzwinkern lesen lässt, aber auch zu einem gesellschaftlich relevanten Buch, das Gedanken und Diskussionen anstößt, die brandaktuell sind und weit über die eigentlich Handlung hinausgehen.