29.11.2024
„Wir kommen oft auf Ideen, die eine allein vielleicht gar nicht gehabt hätte“
Interview mit den Autorinnen Melissa C. Hill und Anja Stapor
von Christian Dolle
Eine Halloweenparty in einer obskuren Villa am Brocken gerät zur Geiselnahme für sechs der Besucher und später zu einer Art Schnitzeljagd in der Umgebung. „Villa Obscura“ ist ein spannender Jugendthriller von Melissa C. Hill und Anja Stapor. Warum der ausgerechnet im Harz spielt, verraten die beiden fränkischen Autorinnen im Interview.
Wie kamt ihr auf den Harz als Handlungsort? Gibt es etwas, was euch mit der Region verbindet?
Melissa: Tatsächlich war das eine sehr pragmatische Wahl: Wir wussten genau, was unser Schauplatz zu bieten haben musste, damit unsere Geschichte so funktionieren konnte, wie wir sie geplant hatten. Die Gegend rund um den Brocken erfüllte nicht nur alle Kriterien, sondern passte mit ihrem Sagen- und Legendenreichtum auch perfekt für einen Thriller. Die Entscheidung war innerhalb weniger Minuten gefällt.
Anja: Wir haben uns nach und nach auch immer mehr in den Schauplatz verliebt. Als wir herausgefunden haben, dass Goethe den Brocken nicht nur in seinem “Faust” erwähnt, sondern selbst hochgewandert ist, haben wir einen Pudel namens Mephisto mit in unseren Plot eingebaut.
Im Buch werden unter anderem die Rübeländer Tropfsteinhöhlen, die Rappbodetalsperre und natürlich der Brocken angesprochen. Wart ihr zu Recherchen dort und was macht gerade diese Orte für euch so interessant?
Anja: Nachdem wir festgelegt hatten, wo unser Buch spielen sollte, habe ich unseren Familienurlaub spontan in den Harz verlegt. Beim vorherigen Buch, “Tristan Mortalis”, ist Melissa nämlich zur Recherche an die Nordsee gefahren, und diesmal war ich an der Reihe. Mein Auftrag war es vor allem, gruselige und stimmungsvolle Orte zu finden, da hat sich beispielsweise die Hermannshöhle natürlich angeboten. Von unterwegs aus habe ich Melissa mit Fotos und Videos versorgt. Ich bin auch auf den Brocken hochgewandert, natürlich auf dem “Knochenbrecherweg”.
Gibt es für die Villa selbst auch ein reales Vorbild?
Melissa: Oh ja, das liegt allerdings weder im Harz noch ist es ein Fotostudio!
Anja: … sondern ein sehr harmlos scheinendes Hotel im schönsten Jugendstil. Dort haben wir 2022 während der Frankfurter Buchmesse übernachtet und da uns während dieser Zeit die Idee für die “Villa Obscura” kam, haben wir das Gebäude spontan mit eingebaut.
Woher kennt ihr euch eigentlich? Wart ihr zusammen auf einer Halloweenparty in einer gruseligen alten Villa?
Melissa: Bisher noch nie, aber danke für diese Idee - das sollten wir nachholen! Tatsächlich kennen wir uns schon seit mehr als zwei Jahrzehnten, nämlich aus der Schule. Wir waren ab der siebten Jahrgangsstufe in derselben Klasse, saßen miteinander im Deutsch-LK und haben anschließend beide in Würzburg Germanistik studiert.
Anja: Beim Schreiben dachte ich mir so oft, dass es genial wäre, an dieser Halloweenparty teilzunehmen. Melissa und ich haben uns sogar schon überlegt, welche Kostüme wir wohl tragen würden. Das liebe ich am Schreiben: Dass man sich so spannende Figuren, Orte und Handlungen ausdenken kann und wenn das Buch dann gedruckt ist, wird damit die Fantasie ein kleines Stück realer.
Melissa: Obwohl wir uns schon so lange kennen, hat es Jahre gedauert, bis wir uns endlich an ein gemeinsames Buchprojekt gewagt haben. Nachdem ich schon einige Jugendbücher und Anja mehrere Krimis veröffentlicht hatte, haben wir uns mit unserem ersten Jugendthriller “Lupus Noctis” dann quasi in der Mitte getroffen.
Wie arbeitet ihr als Autorinnenduo zusammen? Die eine recherchiert und die andere schreibt oder wie muss ich mir das vorstellen?
Melissa: Ob das wohl gutgehen würde? Wir haben für uns eine Strategie gefunden, die bisher sehr gut funktioniert hat. Wir legen miteinander die gesamte Handlung sehr detailliert fest, teilen dann aber erst mal die Figuren untereinander auf. Das heißt, Anja bekommt die Hälfte von ihnen und ich die andere. Jede schreibt dann die Szenen, die aus Sicht ihrer Figuren erzählt werden.
Anja: Bei “Villa Obscura” hatte ich das Model Linda, den DJ Émile, der sich unter falscher Identität Zutritt zur Villa verschafft, und die literaturbegeisterte Jane.
Melissa: Und aus meiner Feder stammen die Kapitel der absolut liebenswerten Sarah, des Fotografen Kiyoshi und die von Amadeus. Er war übrigens der erste Charakter, bei dem wir eine Weile diskutieren mussten, um festzulegen, wer ihn schreiben darf.
Anja: Wir werden auch oft gefragt, ob wir uns beim Schreiben nicht ständig streiten. Tun wir aber nie, oder Melissa?
Melissa: Bisher nicht! (Weil ich Amadeus bekommen habe.) Nein, tatsächlich läuft das Schreiben zu zweit erstaunlich harmonisch ab und wir kommen oft auf Ideen, die eine allein vielleicht gar nicht gehabt hätte. Sehr praktisch ist auch, dass wir unsere Kapitel immer sehr zeitnah gegenseitig korrekturlesen können. So ist unser erster Entwurf meist schon recht ausgereift.
Macht es einen Unterschied, ob ihr einen Thriller oder einen Jugendthriller schreibt?
Anja: Eher nicht. Bei Jugendthrillern sind die Figuren insgesamt jünger, aber davon abgesehen gehen wir genauso ans Schreiben wie für einen Thriller primär für Erwachsene.
Melissa: Vielleicht mit dem einzigen Unterschied, dass unsere Bücher ein bisschen weniger blutig oder brutal sind, als ein Thriller für Erwachsene es mitunter ist. Bei uns ergibt sich die Spannung dann eher durch die Geheimnisse der Figuren, die vielen Wendungen, die ständig präsente Bedrohung oder das insgesamt schaurige Setting der Villa Obscura und der Orte rund um den Brocken.
Anja: Wir sehen unsere Bücher eigentlich sowieso als All-Age-Thriller.
Was aber ist der Reiz daran, vor allem für ein recht junges Publikum zu schreiben?
Anja: Wir sind der Meinung, dass gerade Bücher für Kinder und Jugendliche sehr wichtige Bücher sind. Denn wenn man mal überlegt, wer die Erwachsenenbücher kauft, dann sind das Erwachsene, die schon als Kinder gerne gelesen haben und die diese Liebe zu Büchern nie verloren haben. Und deshalb finden wir es sehr wichtig, dass wir auch gerade für Kinder und Jugendliche spannende und abwechslungsreiche Bücher bieten können.
Melissa: Was uns deshalb auch richtig viel Spaß macht, sind Lesungen an Schulen. Bei diesen kommen wir mit den Jugendlichen ins Gespräch und haben neben unserem Buch auch immer persönliche Einblicke in die Recherche und das Schreiben zu zweit sowie eine zum Thema passende Fotostation im Gepäck.
Anja: Außerdem ist es natürlich eine große Ehre, für einen so renommierten Kinder- und Jugendbuchverlag wie Oetinger zu schreiben.
Arbeitet ihr schon an neuen Projekten?
Anja (lacht): Wir arbeiten immer!
Melissa: Zumindest ist das der Ruf, der uns vorauseilt! Aktuell schreiben wir zwar erst mal an Einzelprojekten - also getrennt voneinander - aber wir basteln natürlich auch schon am Plot unseres vierten gemeinsamen Thrillers. Der spielt zwar nicht im Harz, aber auf jeden Fall auch wieder an einem spannenden und stimmungsvollen Ort!
Danke für das Interview.