Kultur / Rezensionen

22.11.2024

Schnall dich gut an


„Nachtfahrt“ - rasanter Thriller voller überraschender Wendungen

von Christian Dolle

Das Wichtigste beim Thriller ist auf jeden Fall die Spannung. Sie sollte sich von Anfang an aufbauen, fesseln, nicht mehr loslassen. Ein Einstieg, der neugierig macht, ein Setting, das es so noch nie gab, dazu Figuren, die mitleiden lassen und Entwicklungen, die zwar immer ein wenig mehr Licht ins Dunkel bringen, aber dennoch nicht zu viel verraten. Über 300 oder 400 Seiten ist das eine große Kunst, die nur wenige Autorinnen und Autoren wirklich beherrschen.

Annika Strauss ist genau das mit „Nachtfahrt“ gelungen. Es ist ihr erster Thriller, der aber gleich viele Fans des Genres begeisterte und tatsächlich mit vielen anderen Pageturnern mithalten kann. Das gelingt ihr, weil sie eben vieles richtig macht. 

Alles beginnt mit einer Fahrschul-Fahrt, der Fahrschüler auf dem Motorrad auf kurviger Strecke, der Fahrlehrer auf dem eigenen Bike dahinter. Plötzlich taucht ein Auto auf, drängt den Fahrlehrer von der Fahrbahn ab, ohne dass der Fahrschüler etwas mitbekommt. Für die Tochter steht schnell fest, dass es kein Unfall gewesen sein kann, jemand es auf ihren Vater abgesehen haben muss. Damit reiht sich dieser Mord ein in andere schreckliche Ereignisse in ihrer Familie, die immer wieder Todesopfer forderten. 

Es geht also um Familiengeheimnisse, um schreckliche Dinge, die eigentlich in der Vergangenheit liegen sollten. Damit muss die junge Frau sich einerseits um die Fahrschule kümmern, andererseits um ihre Nichte, die bei ihrem Vater wohnte, weil auch ihre Eltern zu Tode kamen, und dazu eben um die Frage, wer solchen Hass auf einen Fahrlehrer hat, dass er ihn umbringt. Dass sie dazu ihre eigene Vergangenheit aufarbeiten muss, macht es nicht eben leichter. 

Also gut, die einzelnen Elemente sind nicht neu, was daran liegt, dass gewisse Bausteine des Thrillers eben immer wieder verwendet werden müssen. Neu ist allerdings das Setting in einer Fahrschule, das irgendwie für Dynamik sorgt. Gerade diese Eingangsszene hätte ich eigentlich gerne als Hörbuch während einer langen Autofahrt gehört. 

Aber auch darüber hinaus macht Annika Strauss vieles richtig. Sie schafft es, ihre Haupt- und auch die Nebenfiguren vorzustellen, ohne Tempo aus der Erzählung zu nehmen. Es gibt nichts, das ausbremst, Erklärungen und Hintergründe werden immer so eingewoben, dass es dennoch weitergeht. Später im Buch schildert sie – nein, kein Spoiler – eines der großen Mysterien ihrer Familiengeschichte über mehrere Kapitel, die immer wieder mit einem Cliffhanger enden und bei denen immer wieder eine Nebenhandlung zwischengeschoben wird, die aber nicht nur verzögert, sondern ebenfalls wichtig ist. Die kurzen Kapitel wirken dabei wie schnelle Schnitte im Film, bei dem das Wegschauen gerade unmöglich ist. 

Eigentlich kein Wunder, denn die Autorin kommt eigentlich vom Film. Sie hat Rhetorik und Germanistik studiert, aber eben auch eine Schauspielausbildung und Erfahrung aus zahlreichen Filmproduktionen. Dass es sich dabei zu einem großen Teil um Independent-Horrorfilme handelt, merkt man dem Buch mitunter an. Auf keinen Fall negativ, nein, ganz im Gegenteil. 

Gerade zum Ende hin gibt es Szenen, die durchaus an Splatter oder Torture Porn erinnern, dabei aber immer absolut glaubwürdig in die Geschichte passen. Es gibt dem Buch die nötige Würze, deutet aber immer nur an und gleitet nie in Trash ab. Damit erreicht Annika Strauss den Stil eines Andreas Gruber oder Sebastian Fitzek, kreiert das absolut Böse, das aber dennoch in jeder Nachbarschaft lauern könnte. 

Für mich war dieses Buch damit eine starke Mischung aus atemloser Spannung ohne jegliche Längen und dabei totaler Glaubwürdigkeit, die eben auch einen guten Thriller ausmacht. Das Buch einer Autorin, von der ich unbedingt mehr lesen möchte, da sie tolle Ideen und einen unverbrauchten und fesselnden Schreibstil hat.  


 

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