Kultur

30.09.2024

200 Jahre Heinrich Heine Harzreise - Lyrik lebt e.V. liest aus Heines »Harz-Reise«


Daniel Stryczek (von links), Rüdiger Aboreas, Renate Riehemann

...Volker Wilch

Im September 1824 trat Heinrich (Harry) Heine seine berühmte Harzreise an. Startort war Göttingen, einen Zwischenhalt mit Übernachtung gab es am 15. September im damaligen Englischen Hof (heute Rinne-Haus, Kornmarkt 12) in Osterode am Harz.

200 Jahre später, am 25. September 2024, fand in der Freimaurerloge im Rinne-Haus vor 45 Gästen eine Lesung aus Heines Büchlein »Harz-Reise« statt, durchgeführt von Lyrik lebt e. V.

Michael Raab, 1. Vorsitzender der Interssengemeinschaft Kunstkreis Osterode e. V., begrüßte die Gäste. Er dankte Reiner Semm, dem Meister vom Stuhl der Freimaurerloge «Zum Tempel der Eintracht», dass auch diese Veranstaltung im festlichen Saal der Loge stattfinden konnte.

Danach übergab Michael Raab das Mikrofon an Renate Riehemann, 1. Vorsitzende von Lyrik lebt e. V.

Nach ihrer kurzen Begrüßung, in dem sie auch das Konzept der Veranstaltung vorstellte, sang zunächst Daniel Stryczek zur Einleitung das Lied Der Lindenbaum (Am Brunnen vor dem Tore). Er begleitete sich dazu mit Gitarre und Mundharmonika. Die Musik war der Melodie von Franz Schubert nachempfunden aber verfremdet, der Text ist nicht von Heinrich Heine, sondern seinem Zeitgenossen Wilhelm Müller.

Frau Riehemann stellte sodann bibliographische Bezüge von Heines »Harz-Reise« zum Umfeld her. Heine äußerte immer wieder Kritik an der Gesellschaft und lebte und forderte eine Hinwendung zu den Menschen. Das genaue Datum seiner Harzreise und der einzelnen Etappen ist nicht ganz klar. Auch mag es sein, dass er durchaus mehrere Reisen unternommen hat, die er in einem Büchlein zusammengefasst hatte.

Die erste Etappe führte Heine von Göttingen bis Osterode, was auch damalige und auch heutige Verhältnisse eine sehr lange Strecke war. Erste Teile seiner Harzreise veröffentlichte Heine zunächst in Zeitschriften, bevor es dann zu einer Buchausgabe kam.

In seinen Beschreibungen wird klar: Heine mochte Göttingen nicht.

Rüdiger Aboreas war das dritte Mannschaftsmitglied an diesem Abend. Er übernahm die Aufgabe Textstellen aus der »Harz-Reise« zu lesen: »Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh, welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläuftig; auch sind mir in diesem Augenblicke nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der Göttinger Philister muß sehr groß sein, wie Sand oder, besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte.«

Frau Riehemann ergriff wieder das Wort und erzählte von seiner Kindheit und Jugend in Düsseldorf. Als Jude war das Leben nicht leicht für ihn. Er begann später ein Jura-Studium, das ihm keine Freude bereitete. Durch die Taufe zum christlichen Glauben erhoffte sich Heine eine gesicherte gesellschaftliche Stellung. Dieser Traum ging allerdings nicht in Erfüllung. Aufgrund von Streitigkeiten zwischen Burschenschaften sollte es zu einem Duell kommen, das Heine gefordert hatte. Er wurde daraufhin der Universität in Göttingen verwiesen.

1821 erschien Heines erster Gedichtband, ab 1827 wurden viele seiner Werke zensiert und Heine entschied ins Exil nach Frankreich zu gehen. In vielen Texten und Briefen beschreibt er sein Heimweh nach Deutschland.

Heine erkrankte und lebte acht Jahre in der Matrazengruft, wie er es nannte. 1856 starb Heine im Pariser Exil.

Frau Riehemann erläuterte, dass Heines Harzreise für die damalige Zeit keine originelle Idee war, das war modern. Aber die Art, wie er seine Eindrücke beschrieb, das war einzigartig. Das kam auch in seinem Prolog der  »Harz-Reise« zum Ausdruck:

Auf die Berge will ich steigen,
Wo die frommen Hütten stehen,
Wo die Brust sich frei erschließet,
Und die freien Lüfte wehen.

Auf die Berge will ich steigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen,
Bäche rauschen, Vögel singen,
Und die stolzen Wolken jagen.

Lebet wohl, ihr glatten Säle!
Glatte Herren! glatte Frauen!
Auf die Berge will ich steigen,
Lachend auf euch niederschauen.

Frau Riehemann meinte dazu, dass Heine sehr von sich eingenommen war.

Nun kam wieder Rüdiger Aboreas zu Wort. Er las die Passagen vor, in denen Heine seine Erlebnisse in Nörten-Hardenberg schildert: »... Im Wirtshause zu Nörten traf ich die beiden Jünglinge wieder. Der eine verzehrte einen Heringssalat, und der andere unterhielt sich mit der gelbledernen Magd, Fusia Kanina, auch Trittvogel genannt. Er sagte ihr einige Anständigkeiten und am Ende wurden sie handgemein. Um meinen Ranzen zu erleichtern, nahm ich die eingepackten blauen Hosen, die in geschichtlicher Hinsicht sehr merkwürdig sind, wieder heraus und schenkte sie dem kleinen Kellner, den man Kolibri nennt. Die Bussenia, die alte Wirtin, brachte mir unterdessen ein Butterbrot, und beklagte sich, daß ich sie jetzt so selten besuche, denn sie liebt mich sehr.«

Da haben wir es wieder: Heine ist nicht nur von sich eingenommen, er ist auch ein Schwerenöter.

Die Harzreise konnte sich Heine auch deshalb leisten, weil er finanzielle Unterstützung von einem Onkel aus Hamburg bekam.

Herr Aboreas las weiter über die Nacht in Osterode mit dem bösen Traum über die Universtät Göttingen und seine Ankunft in Klausthal im Gasthaus Krone bei der Marktkirche.

In Klausthal blieb Heine mindestens zwei Nächte. Heine besuchte dort die Münze, aber besonders interessierte ihn der Bergbau. Eindrücklich und ausführlich beschrieb er seine Erlebnisse dort: »Eine halbe Stunde vor der Stadt gelangt man zu zwei großen, schwärzlichen Gebäuden. Dort wird man gleich von den Bergleuten in Empfang genommen. Diese tragen dunkle, gewöhnlich stahlblaue, weite, bis über den Bauch herabhängende Jacken, Hosen von ähnlicher Farbe, ein hinten aufgebundenes Schurzfell und kleine grüne Filzhüte, ganz randlos wie ein abgekappter Kegel. In eine solche Tracht, bloß ohne Hinterleder, wird der Besuchende ebenfalls eingekleidet, und ein Bergmann, ein Steiger, nachdem er sein Grubenlicht angezündet, führt ihn nach einer dunkeln Öffnung, die wie ein Kaminfegeloch aussieht, steigt bis an die Brust hinab, giebt Regeln, wie man sich an den Leitern festzuhalten habe, und bittet, angstlos zu folgen. [22] Die Sache selbst ist nichts weniger als gefährlich; aber man glaubt es nicht im Anfang, wenn man gar nichts vom Bergwerkswesen versteht. Es giebt schon eine eigene Empfindung, daß man sich ausziehen und die dunkle Delinquententracht anziehen muß. ...«

Herr Aboreas gab dann noch abseits vom Heine-Text, dass die Gruben Karolina und Dorothea zu den ertragreichsten Gruben im Harz gehörten. Außerdem waren sie technisch auf höchstem Niveau und deshalb Ziel zahlreicher Besucher. Man schätzt, dass mehr als 20.000 Personen die Gruben im 19. Jahrhundert besucht haben. Die Dorothea füht 480 m in die Tiefe, die Karolina 570 m.

Woher weiß Herr Aboreas das alles? Frau Riehemann verriet, dass Herr Aboreas sich sehr für die Oberharzer Bergbaugeschichte interessiert und viel Wissen darüber angehäuft hat.

Während seines Besuches in Klausthal besuchte Heine einfache Bergarbeiterfamilien und beschrieb sehr genau seine Empfindungen.

Vor der Pause trug Daniel Stryczek Kein schöner Land in einer Improvisation über Silchers Melodie vor. Auch dieses Lied stammt nicht von Heinrich Heine, aber es passt in die damalige Zeit.

In der Pause konnten sich die Gäste die Beine vertreten und sich über ihre Eindrücke und Gedanken austauschen.

Das Ende der Pause markierte der Vortrag der »Lore-ley« ebenfalls in einer Improvisation über Silchers Melodie. Die Melodie ist allseits bekannt und der Text »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten« stammt von - Heinrich Heine.

Renate Riehemann berichtete, dass Heine von Klausthal nach Goslar weiterzog. Er wusste aber nicht, wie er dorthin gelangt war. Heine war - wie schon oben erwähnt - den Frauen sehr zugetan. Die Textstellen, die von Herrn Aboreas vorgetragen wurden, berichten von seinen unerfüllten romantischen Träumen, aber auch von Heines Verhalten gegenüber Frauen, das damals als vollkommen normal angesehen war, aber keineswegs in die moderne Auffassung von Frauenrechten passt.

Herr Aboreas las dann Textstellen über den Weg von Goslar nach Bad Harzburg zum Bruder eines Bergarbeiters. Später ging es zum Brocken, wo Heine Kommilitonen trag, die ebenfalls von Göttingen zum Brocken gewandert waren: »... Ich schoß meine Pistolen ab, doch es gab kein Echo. Plötzlich aber höre ich bekannte Stimmen, und fühle mich umarmt und geküßt. Es waren meine Landsleute, die Göttingen vier Tage später verlassen hatten, und bedeutend erstaunt waren, mich ganz allein auf dem Blocksberge wieder zu finden. Da gab es ein Erzählen und Verwundern und Verabreden, ein Lachen und Erinnern, und im Geiste waren wir wieder in unserm gelehrten Sibirien, wo die Kultur so groß ist, daß die Bären in den Wirtshäusern angebunden werden, und die Zobel dem Jäger guten Abend wünschen. Im großen Zimmer wurde eine Abendmahlzeit gehalten. Ein langer Tisch mit zwei Reihen hungriger Studenten. Im Anfange gewöhnliches Universitätsgespräch: Duelle, Duelle und wieder Duelle.«

Herr Aboreas zitierte auch Textstellen über die Nacht auf dem Brocken und den Sonnenaufgang und später die Wanderung zum Ilsenstein. So manches Gedicht aus der »Harz-Reise« wurde vorgetragen.

Die letzte gelesene Textpassage »Ich rate aber jedem, der auf der Spitze des Ilsensteins steht, weder an Kaiser und Reich, noch an die schöne Ilse, sondern bloß an seine Füße zu denken. Denn als ich dort stand, in Gedanken verloren, hörte ich plötzlich die unterirdische Musik des Zauberschlosses, und ich sah, wie sich die Berge ringsum auf die Köpfe stellten, und die roten Ziegeldächer zu Ilsenburg anfingen zu tanzen, und die grünen Bäume in der blauen Luft herum flogen, daß es mir blau und grün vor den Augen wurde, und ich sicher, vom Schwindel erfaßt, in den Abgrund gestürzt wäre, wenn ich mich nicht in meiner Seelennot ans eiserne Kreuz festgeklammert hätte. Daß ich, in so mißlicher Stellung, dieses letztere gethan habe, wird mir gewiß niemand verdenken.« ist auch fast das Ende des Buches, wenn nicht noch der Epilog käme.

Renate Riehemann beendete die biographische Lesung mit der Feststellung, dass die Harzreise ein Fragment ist und bleibt. So hatte es auch Heine im Epilog geschrieben.

Daniel Stryczek trug dann Die Gedanken sind frei in einer improvisierten Fassung vor und dann noch als Zugabe Wir sind durch Deutschland gefahren.

Zum Schluss bedankte sich Michael Raab, 1. Vorsitzender der Interssengemeinschaft Kunstkreis Osterode e. V., bei Daniel Stryczek für die musikalische Begleitung und bei Lyrik lebt für die eindrücksvolle Gestaltung des Abends.

Eine Kunstausstellung zum Thema Harzreise gab es von Montag, 16.09. bis Sonntag, 22.09.2024 in der Freimaurerloge im Rinne-Haus, Kornmarkt 12, bei freiem Eintritt.

Einige dieser Bilder waren zu dieser Veranstaltung in den Verkaufsraum der Buchhandlung Thalia für ein paar Stunden umgezogen.

Ab dem 1. Oktober 2024 ist die Kunstausstellung zum Thema Harzreise in der Stadtbibliothek zu sehen:

Die Veranstaltungsreihe wurde organisiert und gefördert von:

  • Interessengemeinschaft Kunstkreis Osterode e. V.
  • Heimat- u. Geschichtsverein Osterode und Umgebung e. V.
  • Lyrik lebt e.V.
  • Landkreis Göttingen
  • Sparkasse Osterode am Harz
  • Loge «Zum Tempel der Eintracht»
  • Buchhandlung Thalia
  • Allianz Osterode: Generalvertretung Tim Launhardt
  • Verein Tourismus und Marketing Osterode am Harz e. V.
  • Harzklub Osterode/Lerbach e.V.
  • Stadt Osterode am Harz
  • … und von engagierten Osteroder Bürgerinnen und Bürgern.


Michael Raab begrüßt die Gäste

Der Saal ist voll.

Der Saal ist immer noch voll.

Der Saal ist immer noch voll.

Rüdiger Aboreas

Renate Riehemann

Daniel Stryczek

 

Anzeige