Kultur

25.09.2024

200 Jahre Heinrich Heine Harzreise - Lesung und Gespräch zum Buch »Harzwanderungen« von Paul Scraton


von links nach rechts: Krätzschmar, Scraton, Middleton

...von Volker Wilch

Im September 1824 trat Heinrich (Harry) Heine seine berühmte Harzreise an. Startort war Göttingen, einen Zwischenhalt mit Übernachtung gab es am 15. September im damaligen Englischen Hof (heute Rinne-Haus, Kornmarkt 12) in Osterode am Harz.

Knapp 200 Jahre später brach ein anderer Schriftsteller auf zu einer Wanderung von Göttingen über den Harz »auf Heines Spuren durch den deutschen Wald«, wie er es im Untertitel seines Buches »Harzwanderungen« nannte.

Michael Raab, 1. Vorsitzender der Interssengemeinschaft Kunstkreis Osterode e. V., begrüßte gut 35 Gäste und das Triumvirat um Paul Scraton. Er dankte der Buchhandlung Thalia, die angeboten hatte, die Veranstaltung in ihrem Hause abzuhalten.

Lutz Krätzschmar, Mitglied des Organisationsteams »200 Jahre Heinrich Heine Harzreise«, kannte das Buch und fragte im Vorfeld Paul Scraton, ob er nach Osterode kommen möge, um sein Buch hier vorzustellen und seine Eindrücke und Einsichten im Gespräch zu erläutern und zu vertiefen.

Lutz Krätzschmar entwickelte zusammen mit Clifford Middleton einen höchst subjektiven Ablaufvorschlag für den Abend. Krätzschmar und Middleton hatten drei Textpassagen aus Scratons Buch ausgewählt, die der Autor selbst vortrug:

Weil Heine es vor 200 Jahren nach der unglaublichen 40 km-Wanderung vergaß, Osterode ausführlicher zu würdigen, sollte Paul Scraton mit seiner Erzählung über einen äußerst regnerischen Abend zu Wort kommen. Scraton gefiel Osterode, das er Jahre zuvor bereits besucht hatte, und seine Eindrücke wurden durch die aktuellen Spätsommertage noch aufgebesserter.  Gleichwohl: es fiel ihm der Leerstand von Geschäften wie der Häuser insgesamt auf.

Der zweite Leseabschnitt bezog sich auf den Aufstieg Richtung Claustal-Zellerfeld und die Wahrnehmung der Folgen durch den  Borkenkäferbefall als eine der ökologischen Konsequenzen des Klimawandels.

Der dritte Teil schließlich bezog sich auf Heine als politischen und jüdischen Autor, der - anders als dies heute der Fall zu sein scheint - in den zurückliegenden Jahrzehnten ja ganz und gar nicht wohlgelitten war: bei den „Konservativen“ verhasst, weil er sich ironisierend über die Verhältnisse lustig machte und nicht nur seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu den rassistisch Diskriminierten und verbotenen deutschen Autoren gehörte.

Scraton thematisierte seine Wahrnehmung des Wandels der „Wertschätzungen“ Heines, der als Jude angefeindet und literarisch gemieden wurde und im preußischen Deutschland - tatsächlich ja bis weit in die Gründungsphase der Bundesrepublik - nicht den Platz fand, der ihm heute offenbar ganz selbstverständlich zugebilligt wird. Aus dem Pariser Exil beklagte er: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“.

Nachdenklich stimmte auch diese Information: Das Heinrich-Heine-Denkmal im New Yorker Bezirk Bronx hätte ursprünglich in Heines Heimatstadt Düsseldorf aufgestellt werden sollen. Antisemitische und nationalistische Agitation im Deutschen Reich verhinderte jedoch, dass es zu Heines 100. Geburtstag im Jahre 1897 fertiggestellt und eingeweiht werden konnte. Stattdessen wurde es 1899 in die USA verkauft und im New Yorker Bezirk Bronx enthüllt. So stand also das erste Heine-Denkmal nicht in Deutschland, sondern in der Bronx.

Nach jeder Passage wurden im Gespräch zwischen Scraton, Krätzschmar, Middleton und den anwesenden Gästen die Texte besprochen, hinterfragt und um jeweils eigene Gefühle, Erlebnisse und Geschichten ergänzt. Die Zuhörer haben sich an den Gesprächen engagiert beteiligt, und so kam es zu den Reiseerfahrungen Scratons in seinem Buch zu einem lebhaften Diskurs.

Scratons Wunsch war es, lieber eher wenig zu lesen als ins Gespräch über seine Eindrücke dieser Wanderung zu kommen. Mit den  ausgewählten Textstellen - neben anderen ebenso eindrücklichen zum Harz und zur Harz-Historie - gelang das ganz gut. Aus dem Publikum kamen Nachfragen und es gelang Scraton ganz souverän, sich zu positionieren.

Sehr nachvollziehbar war dabei die Beschreibung seines generellen Herangehens: nicht mit vorgefertigten Erwartungsmustern und gefestigten Meinungen ein Vorhaben anzugehen, sondern die Eindrücke wirken zu lassen, mit den unterschiedlichen Menschen zu sprechen und ernst zunehmen. Das man in der Gesamtbetrachtungen zu Bewertungen gelangt, bleibt dann dem Betrachter vorbehalten.

Im übrigen erwies sich das wunderbare Spätsommerwetter als deutlicher Bewertungs-Booster: OHA wurde als angenehmer - und am sonnabendlichen Markttag - sehr lebendiger und freundlicher Ort wahrgenommen. Allerdings: der wachsende Leerstand von Geschäften wie Wohngebäuden fiel auf. „Da muss doch was zu machen sein, wenn man mal die Köpfe zusammensteckt und vielleicht Lösungen findet,“ sagte dies und eilte mit der Bahn zurück nach Berlin.

Einige biographische Anmerkungen:

Paul Scraton, geboren 1979 in Lancashire, England, studierte International Studies an der University of Leeds, bevor er 2001 nach Berlin zog. Er ist Herausgeber des Magazins Elsewhere und Autor mehrerer Bücher (»Harzwanderungen«, »Am Rand«) über verschiedene Landstriche in Deutschland. Auf Englisch erschienen u. a. Erzählungen über Berlin sowie seine Erkundungen der Ostseeküste: Ghosts on the Shore. Travels Along Germany's Baltic Coast (2017).

Clifford Middleton ist gebürtig aus der Grafschaft Derbyshire in Mittelengland. Er lebt seit 1983 in Deutschland – seit 2011 in Hahnenklee. Er fing in den 1960ern an Lyrik zu schreiben. Seine Gedichte erscheinen regelmäßig in englischsprachigen Lyrikzeitschriften und deutschen Anthologien. Er ist Mitglied des Plesse Autorenkreises Bovenden und Gründungsmitglied des Vereins Lyrik lebt e.V.

Eine Kunstausstellung zum Thema Harzreise gab es von Montag, 16.09. bis Sonntag, 22.09.2024 in der Freimaurerloge im Rinne-Haus, Kornmarkt 12, bei freiem Eintritt.

Einige dieser Bilder waren zu dieser Veranstaltung in den Verkaufsraum der Buchhandlung Thalia für ein paar Stunden umgezogen.

Ab dem 1. Oktober 2024 ist die Kunstausstellung zum Thema Harzreise in der Stadtbibliothek zu sehen:

Die Veranstaltungsreihe wurde organisiert und gefördert von:

  • Heimat- u. Geschichtsverein Osterode e.V.
  • Lyrik lebt e.V.
  • Landkreis Göttingen
  • Sparkasse Osterode am Harz
  • Loge «Zum Tempel der Eintracht»
  • Buchhandlung Thalia
  • Allianz Osterode: Generalvertretung Tim Launhardt
  • Verein Tourismus und Marketing Osterode am Harz e. V.
  • Harzklub Osterode/Lerbach e.V.
  • Stadt Osterode am Harz
  • … und von engagierten Osteroder Bürgerinnen und Bürgern.

Besucher

Besucher

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Paul Scraton und Clifford Middleton

Frank Borchers - »Die wunderlichen Gruppen der Granitblöcke ...«

Christina Wilch - »Und nun soll man auf allen vieren hinab klettern ...«

Ina Hoxhold - «Den anderen Morgen musste ich meinen Ranzen nochmals erleichtern ...»

Michael Raab - «Ich schoß meine Pistolen ab, doch es kam kein Echo.»

Cordula Gaebel - «Bald empfing mich eine Waldung himmelhoher Tannen ...»

Jasmin Kuntze - «Nachdem ich Kaffee getrunken, ... verließ ich Osterode»

 

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