Kultur / Federkiel / Flugzeuggeschichten
27.09.2024
Liebhaberstück
Eine vor Jahrzehnten geschriebene nicht ganz ernst gemeinte Geschichte, aus einer Zeit, als Messer in erster Linie beruflich und als Küchengeräte benutzt wurden. Es war kaum unvorstellbar, dass es einmal Waffenverbotszonen auf Grund von zunehmenden Messerattacken geben würde.
von Johannes Nordmann
Im Grunde genommen ist mein derzeitiges Domizil recht gemütlich, ein rechtwinkliger Raum, ca. 2m x 2m. Das Mobiliar besteht aus einem Stuhl, einem kleinen Tisch und einer Liege, alles recht solide. Das Fenster ist ziemlich weit oben angebracht und die Aussicht auf eine hohe Mauer wird durch ein Stahlgitter gemildert, bekannt als "Schwedische Gardinie". Die Verpflegung kommt regelmäßig, von jeglicher Verantwortung bin ich befreit.
Eine ähnliche Monotonie hatte ich einst in meiner Zeit als Soldat empfunden, die Gitter damals waren jedoch mehr unsichtbarer Art, und ansonsten durfte ich, äh, musste ich mehr spielen. Mit Waffen natürlich. Wahrscheinlich gab es deswegen auch mehr Ausgang als ich jetzt bekomme.
Die Ursache, warum ich zu meiner jetzigen Behausung gekommen bin, beginnt schon in meiner frühesten Jugend. Als letztes von 6 Kindern wurde ich reichlich verhätschelt und durfte die volle Mütterlichkeit meiner fünf Schwestern auskosten, bis ich dahinter kam, dass die Nachbarjungen, die allesamt etwas älter waren, aufregendere Spiele und Dinge kannten als Familie spielen und Puppenstuben bauen. Es gab schließlich noch andere weibliche Wesen als Mütter und Schwestern.
Alsbald erkannte ich auch, dass Klapperstorch und Weihnachtsmann nur eine Farce waren, entsprungen aus Vorstellungen von Erwachsenen, die entweder zu schamhaft waren oder keine Ahnung von Sex hatten, beziehungsweise den Mann mit dem Sack auf dem Rücken und der Rute in der Hand als alljährliches winterliches Druckmittel benutzten.
Als ich jedoch den langgehegten Wunsch äußerte, ein Fahrtenmesser zu bekommen, waren alle Familienmitglieder bis auf meinen Vater in Aufregung. Das wäre doch nichts für einen kleinen Jungen. Angesichts des massiven Widerstands der Weiblichkeit, die ja nun mal sehr undemokratisch in der Überzahl war, gab ich auf, borgte mir manchmal eines von meinen verständnisvoll mitfühlenden Freunden.
Bei dem Verhältnis zu meinen Schwestern schlich sich eine merkliche Kühle ein. Ich schnitt sogar manchmal aus kindlicher Bosheit kleine Löcher in die Bekleidung ihrer Puppen, leider nicht mit einem eigenen Messer. Dies sollte sich aber nicht negativ auf mein späteres Sexualleben auswirken.
Irgendwie kamen sie wohl dahinter, und nachdem die Wogen geglättet waren, genehmigte mir der Familienrat doch ein altes Fahrtenmesser aus grauer Vorzeit, so verrostet und stumpf, dass ich darauf quer durch Europa reiten konnte.
Die Jahre gingen dahin, ich lernte das kleine 1 mal 1 und einiges mehr so auswendig, dass ich es heute noch beherrsche. Wen wundert es aber, wenn ich anfing mit dem ersten selbst verdienten Geld Messer zu kaufen und zu sammeln. Keine Mordwaffen wie Küchenmesser, nein, ganz simple Jagd- und Fahrtenmesser. Einige junge Männer meines Alters sammelten Briefmarken oder Münzen, andere Erfahrungen. Ich jedenfalls sammelte Messer, was mir zum Verhängnis werden sollte.
Meine erste Liebelei entfloh, als sie im Morgengrauen die mehr als 100 auch sehr scharfen Schneidwerkzeuge an der Wand sah. So ging es mir immer häufiger, auch gemeinsame Urlaube konnte ich mir oft nicht mehr leisten, weil ich wieder einmal ein neues schönes Stück aufgetrieben hatte. Messer selbstredend, nicht Liebelei !
Eines Tages aber lernte ich einen lieben, netten und obendrein weiblichen Menschen kennen, der meiner Sammlung sehr zugetan war. Mein Interesse an diesem Wesen wuchs, ich vernachlässigte mein Hobby und merkte auf einmal, wie schön die Welt auch ohne Messer sein konnte. Anscheinend war ich zu diesem Zeitpunkt kuriert. Doch diese schöne Zeit wurde dann aber durch einen boshaften Menschen zerstört.
Auf einem Jahrmarkt sah ich eines Tages eine Menschentraube vor einem der vielen Stände. Neugierig trat ich näher und musste lachen, als ich sah, wie ein redegewandter Verkäufer Messer aller Art an den Mann bzw. Frau brachte.
Sie gingen weg wie warme Semmeln, nur ein sehr schönes finnisches Fahrtenmesser mit erstklassiger Stahlklinge, der Griff aus handgeschnitztem Wahlrosszahn und silberbeschlagener Lederscheide pries dieser Scharlatan nicht an, er musste wohl meinen faszinierten Blick gesehen haben. Als alles bis auf dieses Prachtstück verkauft war, stand ich allein vor ihm. Wortlos hielt er mir das Stück entgegen.
Ich lachte ihn aus, und ging weg. Wollte doch nicht rückfällig werden, ging es mir doch zur Zeit so gut. Meine Freundin erlaubte mir sozusagen mein Hobby und wohl dadurch erlahmte mein Interesse an ihm. Für jeden Psychiater wäre mein Fall wohl leicht zu durchschauen.
Der Verkäufer aber kam einfach hinter mir her, er wollte mich zurückholen. Ich aber wehrte mich ob seiner Aufdringlichkeit und so entstand eine handfeste Keilerei. Er bestand anscheinend darauf das Messer loszuwerden, und zwar nur an mich. Ich war strikt dagegen, wollte mir doch mein derzeitig herrliches Leben nicht kaputtmachen lassen. Doch dieser ziemlich kräftige Kerl nahm mich in den Schwitzkasten und zerrte mich zu seinem Stand, zischte mir ins Ohr: "Kaufen !!"
"Nein !" röchelte ich zurück. Sein Druck wurde fester und bevor ich fast die Besinnung verlor, griff ich nach dem Messer und rammte es ihm zwischen die Rippen. Aufschreiend ließ er los, worauf ich in die Menge rannte, um zu verschwinden. Bald aber wurde ich aufgehalten. Findige Mitbürger hatten schon die Polizei alarmiert, die mich nach heftiger Auseinandersetzung mit Schaum vorm Mund zwei breitschultrigen Männern übergaben, welche mir eine weiße Jacke überzogen, so eine, die man hinten zumachen kann, aber nicht selbst. Im Volksmund bekannt als die sogenannte "Ich hab mich lieb Jacke" ..
Seitdem lebe ich nun hier in diesem oben erwähnten Raum. Mein Psychiater tröstet mich, was sind schon 10 Jahre, doch so lange will ich nicht warten.
Ich habe auch schon einen Plan, wie ich hier herauskommen könnte.
Um den auszuführen zu können, bräuchte ich aber als erstes ein Messer !