Kultur / Rezensionen

31.08.2024

Ein Werwolf in Wernigerode?


Lupus lauert im Wald

Tibor Rode liest bei Mordsharz aus „Lupus“

von Christian Dolle

„Es klingt wie eine Geschichte aus einem schlechten Horrorfilm: In Vorpommern wurde ein Werwolf gesichtet.“ Eine Zeitungsmeldung. Wenn auch eine fiktive aus dem brandneuen Thriller „Lupus“ von Tibor Rode. Absurd? Ja. Doch es geht noch weiter: Der Werwolf wurde nämlich von einer künstlichen Intelligenz erkannt, die als unfehlbar gilt. Diese wiederum ist in einem Zaun integriert, der vor Wölfen schützen soll. Außerdem wurden mehr als 50 Schafe gerissen und ein Mensch brutal massakriert. 

Sowohl für die Wolfsbeauftragte wie auch für die Gerichtsmedizin steht schnell fest, dass es sich nicht um Angriffe eines normalen Wolfes handeln kann. Alles deutet also auf eine Kreatur hin, die es doch eigentlich nur in Horrorgeschichten geben sollte. Aber die Beweise sprechen nun einmal eine klare Sprache. 
Ist „Lupus“ also ein Horrorroman? Mit seinem Bestseller „Der Wald“ um invasive Pflanzen, die der Menschheit ihre Vormachtstellung auf dem Planeten streitig machen, bewies Tibor Rode jedenfalls, dass er die Grenzen des Thrillers gerne mal bis ins wissenschaftliche Mögliche, aber dennoch fast Unvorstellbare ausdehnt. Dennoch ist das Buch eindeutig im Krimi- und Thrillergenre anzusiedeln. 

Die Wolfsbeauftragte Jenny und der Staatsanwalt Frederik ermitteln über weite Strecken ganz klassisch, alles ist in der Realität verortet, manches in der Zeit der DDR und einiges sogar noch davor. Dass schon die Nazis Experimente anregten, die heute undenkbar wären, ist ja auch durchaus bekannt, vieles, was vor der Wende im Verborgenen passierte, bis heute ziemlich in Vergessenheit geraten. In diesem Spannungsfeld baut Tibor Rode seine Geschichte auf, fügt die Urangst des Menschen vor dem Wolf hinzu und außerdem hochtechnisierte Zäune, deren künstliche Intelligenz natürlich auch auf andere Eindringlinge als den Wolf ausgerichtet sein könnte. 

„Wenn Sie sich fragen, was wäre wenn, erzähle ich die Geschichte dazu“, sagt der Autor und tut das in vielerlei Hinsicht. Er greift viele Fragen auf, die in gegenwärtigen Diskussionen immer mal wieder eine Rolle spielen, vermengt sie mit einer Familiengeschichte seiner Protagonistin, die alle losen Enden zu einem recht plausiblen Ganzen verknüpft. Dadurch gelingt ihm ein Thriller, der in die Zeit passt, durchweg spannend ist und wiederum zu neuen Diskussionen herausfordert. 

Nein. „Lupus“ ist kein Horror, das zeigt sich auch relativ schnell am sachlichen Erzählstil und einer immer in der logischen Wirklichkeit verankerten Atmosphäre. Ob ein paar mehr düstere Andeutungen der Geschichte gutgetan oder aber sie unglaubwürdig gemacht hätten, darüber kann sicher auch diskutiert werden. So aber ist das Buch eines, das weniger die Fantasie als das rationale Nachdenken über die Zukunft anregt. 

Wie sollten wir in unserer modernen Welt mit dem Wolf und allgemein mit der Natur umgehen? Liegen wir falsch, wenn wir KI annähernde Unfehlbarkeit zuschreiben? Und wo brauchen wir in der Welt Zäune, wo hingegen nicht? „Der Wolf ist ein Zugewanderter. Ein Migrant, und den will man hier bei uns eben nicht haben“, lässt der Autor eine seiner Figuren sagen. Und später eine andere: „Tiere oder Menschen vom Überqueren einer bestimmten Grenze, ob sie sich nun vor einem Eigentum, Gefängnis oder Landstrich befindet, abzuhalten, ist das eine, diejenigen mit Strom, Gas oder Lärm zu traktieren, das andere. [...] Meine ganze Familiengeschichte baut auf Flucht auf. Ebenso wie die von Millionen von Deutschen, die nach dem Krieg vertrieben wurden. Was wäre mit diesen Menschen geschehen, wenn es damals Zäune wie eure gegeben hätte?“

Einige dieser Fragen wird Tibor Rode sicher beim Mordsharz-Festival beantworten, denn wie immer gibt es nach der Lesung ein Live-Interview mit dem Autor. „Lupus“ steht am Mittwoch, 25. September, um 21 Uhr in Wernigerode auf dem Programm. Zuvor lesen ab 18 Uhr Kester Schlenz und Jan Jepsen aus „Schlick“ und ab 19.30 Uhr Anna Schneider aus dem neuesten Teil ihrer „Grenzfall“-Reihe. Außerdem wird an diesem Abend der Krimipreis „Harzer Hammer“ verliehen.


Das komplette Mordsharz-Programm:

Mittwoch, 25. September: Remise, Wernigerode
18.00 Uhr Kester Schlenz und Jan Jepsen - „Schlick“ PREMIERENLESUNG
19.30 Uhr Anna Schneider - „Grenzfall – In den Tiefen der Schuld“
21.00 Uhr Tibor Rode - „Lupus“

Donnertag, 26. September: Großes Heiliges Kreuz, Goslar
15.00 Uhr Christoph Dittert und Simone Nowicki - „Drei ???“
18.00 Uhr Sybille Ruge - „9mm Cut”
19.30 Uhr Alex Beer - „Die weiße Stunde“
21.00 Uhr Ambrose Parry (Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman) mit Julian Mehne -  „Die Essenz des Bösen“

Freitag, 27. September: Zisterzienserkloster, Walkenried
18.00 Uhr Frauke Buchholz - „Skalpjagd“
19.30 Uhr Karina Urbach - „Das Haus am Gordon Place“
21.00 Uhr Kim Faber und Janni Pedersen mit Uve Teschner - „Mörderland“

Samstag, 28. September: Tabakspeicher, Nordhausen
18.00 Uhr Alexandra Kui und Peter Godazgar - „Harz aber herzlich“
19.30 Uhr Christof Weigold - „Das brennende Gewissen“
21.00 Uhr Mathijs Deen - „Der Retter“

 

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