Regionales / Stadt Herzberg / Herzberg
05.08.2024
Für Toleranz, für Minderheiten, für alle
In Herzberg wurde der erste CSD im Südharz gefeiert
von Christian Dolle
In Herzberg wurde der erste CSD gefeiert. In einer Kleinstadt im Südharz. Aber ist dieser ganze queere Lifestyle und überhaupt LGBTQIA+ nicht eher was für Großstädte? Nun ja, laut Statistik sind etwa elf Prozent der Deutschen queer, das wären allein in Herzberg mit etwa 12000 Einwohnern immerhin mehr als 1000 Menschen. Und zugegeben, hier im Südharz sind die öffentlich weitestgehend unsichtbar.
Das Jugendforum Harzland hatte die Idee und setzte sie in die Tat um, als Zeichen für Toleranz und um (insbesondere jungen) queeren Menschen aus der Region zu zeigen, dass sie nicht allein sind. „Wir wollten was für alle machen“, erklärt Annika Beushausen die Motivation der Jugendlichen für dieses Event. Als Veranstaltungsort war zunächst Osterode angedacht, auf dem Kornmarkt ist es allerdings wegen des Wochenmarktes am Samstag nicht möglich, vor der Stadthalle wäre das Budget zu hoch gewesen. Seitens der Stadt Herzberg gab es Unterstützung, ebenso von der Jugendpflege und anderen.
Bekloppte, die dumm rumhüpfen
Doch natürlich gab es bereits im Vorfeld auch Kritik. Es seien „Bekloppte“ einer Minderheit, die „dumm rumhüpfen und unbedingt anderen ihre Neigung zeigen müssen“, hieß es beispielsweise auf den Social Media-Kanälen des Eseltreiber unter der Ankündigung. Andere bedauerten die Anwohner und Tiere am Juessee. Daher habe das Jugendforum ein Umweltkonzept erarbeitet, wohlgemerkt für einen See, an dem schon immer Veranstaltungen stattfinden und an dem auch das Freibad liegt.
Zeigen nicht allein solche Diskussionen schon, warum ein CSD auch und gerade in der Provinz wichtig ist? Alles begann dann mit der Parade am Ufer des Sees, bevor auf der Bühne auf dem Skaterplatz einige Redner zu Wort kamen. Sabine Eckstein von den Omas gegen Rechts schlug eine Brücke zu den Olympischen Spielen in Paris und empörte sich darüber, dass dort ausufernd über das Geschlecht einer Boxerin diskutiert wird. Wir müssten endlich akzeptieren, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, sagte sie.
Queere Sichtbarkeit
Die Landtagsabgeordnete Pippa Schneider plädierte für „queere Sichtbarkeit“, betonte, wie schwer es Jugendliche im ländlichen Raum immer noch haben und machte deutlich, dass solches Engagement für Toleranz auch wichtig sei, um sich dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegenzustellen. Alexander Saade, ebenfalls Landtagsabgeordneter, erinnerte an den ersten CSD, also den Aufstand in der New Yorker Christopher Street gegen Polizeiwillkür gegenüber queeren Minderheiten. „Die Community hat es nach wie vor schwer“, stellte er fest, „es ist noch ein weiter Weg zu wirklicher Gleichberechtigung.“ Und Mats Müller, Jusos Göttingen, erinnerte daran, dass nur 38 von etwa 200 Ländern weltweit die gleichgeschlechtliche Ehe anerkannt haben, wir also an „verklemmten Weltbildern“ arbeiten müssen.
Eine Herausforderung für uns alle
Alles andere als verklemmt war es dann an schließend beim Zumba und später bei Livemusik von „Wasted Origin“ aus Einbeck und „MandelKokainSchnapps“ aus Berlin. Es war ein ausgelassenes Fest der Lebensfreude, der Toleranz, der gegenseitigen Achtung – auch und insbesondere für Menschen, die eben anders leben und lieben als man selbst. Das zu respektieren tat niemandem weh, ganz im Gegenteil, es macht unsere Gesellschaft bunter und durch die Akzeptanz von Vielfalt gelassener, fröhlicher, vielfältiger.
Der erste CSD in Herzberg war ein Zeichen dafür, dass Jugendliche auch im ländlichen Raum eine Gesellschaft wünschen, die offen ist, die sich Unbekanntem nicht aus Prinzip in den Weg stellt, die Menschen achtet, die andere Lebensentwürfe hat als den eigenen. Dass genau das heute aber immer noch (oder sogar wieder mehr) angefeindet, zeigt auch, dass wir die Gesellschaft, in der wir leben wollen, selbst gestalten müssen. Toleranz von Minderheiten ist niemals selbstverständlich, sondern immer eine soziale und ethische Herausforderung.