Kultur / Rezensionen
03.08.2024
Geld und Genugtuung
Bei Mordsharz in Goslar liest Sybille Ruge aus „9 mm Cut“
von Christian Dolle
Das Problem unserer Welt ist nicht, den Hunger der Armen zu stillen, sondern die Gier der Reichen. Unter anderem jene Reichen und superreichen, die sich für eine wohltätige Stiftung engagieren, um nach außen ihr Image zu pflegen und nach innen dunkle Geschäfte verschleiern zu können. Zu blöd, wenn ausgerechnet dort ein abgetrennter Kopf in einer Plastiktüte gefunden wird.
„9 mm Cut“ von Sybille Ruge ist ein schonungsloses Buch. Schonungslos in mehrfacher Hinsicht. Bezogen auf die Brutalität des Einstiegs, bezogen auf die Darstellung des Lebens der Reichen und Schönen in Zürich und auch bezogen auf den Schreibstil. Das zeigte sich bereits in ihrem Debüt „Davenport 160 x 90“, für das sie von der Kritik gefeiert und mit dem Glauser-Preis 2023 ausgezeichnet wurde. Ebenso erhielt sie den Stuttgarter Krimipreis und belegte den dritten Platz des Deutschen Krimipreises.
In „9 mm Cut“ schickt Mäzen Wellinghofen seine Mitarbeiterin Eve Klein nach Zürich, um... nein, nicht um den Fall aufzuklären, sondern vor allem, um herauszufinden, ob die Stiftung für ihn gefährlich werden oder wie er aus der Sache doch irgendwie Profit schlagen kann. Und wenn sie schon mal dort ist, kann sie gleich auch noch auf dem Kunstmarkt etwas Geld für ihn waschen.
Eve lernt also den Stiftungsvorstand Karnofsky und dessen familiäres wie berufliches Umfeld kennen, taucht ab in eine surreale Welt des Geldes, in der jeder seine Rolle spielt, nur der äußere Schein zählt und hinter der glänzenden Fassade nahezu alles möglich ist. Unter der Flagge von Wohltätigkeit wird das Finanzamt umgangen, auch das organisierte Verbrechen hängt dick mit drin, persönlich sind alle emotionale Krüppel, die den Bezug zur Realität und zu sich selbst längst verloren haben.
Das, was Sybille Ruge beschreibt, ist zynisch, ist erschreckend, ist spannend. Spannend ist aber auch, wie sie schreibt, denn es ist gewiss kein Buch, das sich leicht lesen lässt. Die Autorin spielt mit Sprache, spielt mit Bildern und letztlich auch immer wieder mit Erwartungen ihrer Leser. Manchmal wirkt es ein wenig, als belebe sie die sogenannte Popliteratur neu, erinnert an Benjamin von Stuckrad-Barre, Alexa Hennig von Lange, an Christian Kracht. Die dekadenten Twentysomethings aus „Faserland“ sind erwachsen geworden und meinen, jetzt die Welt zu beherrschen.
Allerdings rechnet Sybille Ruge kräftig mit ihnen ab, gibt ihre Figuren zum Teil der Lächerlichkeit preis, entblättert immer wieder neue düstere Geheimnisse und zeigt auf, wie viel Schein eigentlich nötig ist, um rücksichtslose Gier nach Geld und Einfluss zu verschleiern. Das macht „9 mm Cut“ komplexer als viele andere Krimis, erfüllt aber am Ende auch mit Genugtuung.
Am Donnerstag, 26. September ist Sybille Ruge beim Mordsharz-Festival in Goslar zu Gast. Ab 18 Uhr liest sie im Großen Heiligen Kreuz aus „9 mm Cut“ und wird anschließend im Interview wohl auch noch verraten, wie tief sie für die Recherche in die Abgründe der oberen Zehntausend eingetaucht ist.
Zuvor gibt es das Live-Event mit Lesung von Christoph Dittert und Geräuschemacherin Simone Nowicki zu „Die drei ??? - Die Stadt aus Gold“. Später am Abend liest ab 19.30 Alex Beer aus „Die weiße Stunde“ und um 21 Uhr stehen Ambrose Parry und die deutsche Stimme Julian Mehne mit „Die Essenz des Bösen“ auf dem Programm.
Das komplette Mordsharz-Programm:
Mittwoch, 25. September: Remise, Wernigerode
18.00 Uhr Kester Schlenz und Jan Jepsen - „Schlick“ PREMIERENLESUNG
19.30 Uhr Anna Schneider - „Grenzfall – In den Tiefen der Schuld“
21.00 Uhr Tibor Rode - „Lupus“
Donnertag, 26. September: Großes Heiliges Kreuz, Goslar
15.00 Uhr Christoph Dittert und Simone Nowicki - „Drei ???“
18.00 Uhr Sybille Ruge - „9mm Cut”
19.30 Uhr Alex Beer - „Die weiße Stunde“
21.00 Uhr Ambrose Parry (Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman) mit Julian Mehne - „Die Essenz des Bösen“
Freitag, 27. September: Zisterzienserkloster, Walkenried
18.00 Uhr Frauke Buchholz - „Skalpjagd“
19.30 Uhr Karina Urbach - „Das Haus am Gordon Place“
21.00 Uhr Kim Faber und Janni Pedersen mit Uve Teschner - „Mörderland“
Samstag, 28. September: Tabakspeicher, Nordhausen
18.00 Uhr Alexandra Kui und Peter Godazgar - „Harz aber herzlich“
19.30 Uhr Christof Weigold - „Das brennende Gewissen“
21.00 Uhr Mathijs Deen - „Der Retter“