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29.08.2017

VHS überreichte Sprachzertifikate an Geflüchtete


Alle Teilnehmenden haben einen großen Schritt in Richtung Integration gemacht

von Petra Bordfeld

„Die Sprache basiert auf einem anderen Denk- und Wertesystem, als die uns vertrauteren westeuropäischen Sprachen – nach sehr kurzer Zeit gab ich auf… “, so Karen Richter, VHS-Geschäftsstellenleiterin in Osterode. Diese Erfahrung mit dem Erlernen einer außereuropäischen Sprache während ihres Ethnologie-Studiums tat sie kund, als sie zusammen mit Ute Bergmeier, der neuen festangestellten Sprachdozentin im VHS-Team, und den Deutschlehrenden Jenny Bauer, Fabrizio Mortarotti sowie Barbara Jamali Absolventen zweier Integrationskurse in einem feierlichen Rahmen im Forum der VHS die Zertifikate überreichte.

Sie wisse sehr wohl um die Problematik des Erlerntens einer völlig fremden Sprache und habe deswegen größten Respekt vor den Sprachlernenden als auch den Sprachlehrenden, die im Herbst letzten Jahres der erste Integrationskurs für Geflüchtete bei der VHS in Osterode begannen.

„Flüchtlinge müssen Deutsch lernen, wenn sie sich in Deutschland eine Zukunft aufbauen möchten", so Karen Richter. Das bedeute allerdings nicht nur, sich die Sprache schrittweise zu erarbeiten, sondern auch die kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten, kennenzulernen und zu respektieren. Das sei eine Aufgabe, die schon für Menschen ohne traumatische Fluchterfahrung eine Riesenaufgabe ist.

Sie erinnere sich sehr gut an den ersten Kurstag, an dem sie die Teilnehmenden begrüßt und die Rahmenbedingungen zum Kurs erläutert hatte. „Besser gesagt, versuchte sie zu erläutern“. Denn, wenn nicht einige Englisch gekonnt und so als Dolmetscher fungiert hätten, wäre sie schon an dieser Stelle kläglich gescheitert. Seit genau diesem Tag hätten aber alle Teilnehmende einen großen Schritt in Richtung Integration gemacht.

Vor Beginn der Kurse wurden die Frauen und Männer schriftlich und mündlich auf ihre Vorkenntnisse hin eingestuft – ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren, wie beispielsweise Lernvorerfahrungen oder der eventuelle Grad der Traumatisierung. „Die VHS gibt jedem die Chance, an einem Integrationskurs teilzunehmen, niemand wird aufgrund von schlechten Lernprognosen abgewiesen“.

Dies spiegele sich auch in den Ergebnissen der mündlichen und schriftlichen Tests am Ende der Kurse wieder, während einige in den maximal 600 Unterrichtsstunden das Sprachniveau B1 erreichten, schafften andere A2, und einige sind noch unter A2. „Der Schritt für einen sprachlern-erfahrenen Uniabsolventen B1 zu erreichen ist genauso groß, wie für jemanden, der in seiner Heimat nicht alphabetisiert worden ist, nie in der Schule war, mit A1 aus dem Kurs zu gehen.“, so Ute Bergmeier. „Nachzuvollziehen ist auch, dass jemand der sehr kommunikativ ist und sich nicht den Kopf darüber zerbricht, Fehler beim Sprechen zu machen, eventuell besser abschneiden kann als jemand, der in sich gekehrt ist und nur sprechen möchte, wenn alle Worte richtig sind“.

Es könne aber auch passieren, dass jemand, der sehr gut Englisch spricht und äußerst kontaktfreudig ist, so von den Sorgen um seine Familie gequält wird, dass er blockiert ist und die neue Sprache nur langsam lernt. Auch käme hinzu, dass berufs- und lebenserfahrene Praktiker, die in ihrer Heimat ihre Familien mit ihrer Hände Arbeit gut ernähren konnten, plötzlich gezwungen sind, wieder die Schulbank zu drücken. „Die Gründe für das unterschiedliche Lerntempo sind vielfältig und in jedem einzelnen Fall nachvollziehbar.“

Wie in allen Bewertungs-/Benotungssystemen entstünden übrigens auch gefühlte Ungerechtigkeiten. So kann es sein, dass zwei Absolventen, deren Ergebnis nur 2 Punkte auseinander liegt, B1 oder A2 erreicht haben, sprich der Eine ein sehr knapp B1-Niveau hat, der Andere ein sehr gutes A2-Niveau.

Unter Berücksichtigung der erwähnten Faktoren hofft Karen Richter, dass die Teilnehmenden ihre jeweils eigenen Ergebnisse richtig einordnen können – und mit den Ergebnissen ihrer „Mitschülerinnen und Mitschüler“ respektvoll umgehen.
Wichtig ist, dass alle auch wertschätzen, welche Chance ihnen in diesem Land geboten wird: „Alle, die jetzt nicht das Sprachniveau B1 erreicht haben, können zeitnah bei der Volkshochschule einen kostenfreien 300-stündigen Vertiefungskurs besuchen und wenn alles nach Plan läuft, noch im Dezember diesen Jahres das B1-Sprachzertifikat erwerben“. Das Team der VHS freut sich, die Teilnehmenden bei ihren weiteren Schritten begleiten zu dürfen.

Die VHS-Geschäftsstelle ist übrigens nicht nur Anbieter von Integrationskursen – im Auftrag des Landkreises werden dort aktuell zentral für den Altkreis Osterode Sprachstandsfeststellungen für Integrationskursberechtigte durchgeführt. Auf Basis der ermittelten Bedürfnisse werden in Kooperation mit den anderen in der Region tätigen Integrationskurs-Anbietern (StarQ für Menschen, LEB, AWO sowie Arbeit und Leben) entsprechende Kurse geplant und mit Teilnehmenden besetzt.

Hintergrundinfos zu den Sprachniveaus

A1: Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen - z. B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben - und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.

A2: Ausdrücke verstehen, die mit Bereichen von ganz unmittelbarer Bedeutung zusammenhängen (z. B. Informationen zur Person und zur Familie, Einkaufen, Arbeit, nähere Umgebung). Kann sich in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen, in denen es um einen einfachen und direkten Austausch von Informationen über vertraute und geläufige Dinge geht. Kann mit einfachen Mitteln die eigene Herkunft und Ausbildung, die direkte Umgebung und Dinge im Zusammenhang mit unmittelbaren Bedürfnissen beschreiben.

B1: Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.

 

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