23.10.2023
„Schinken ist nichts anderes als eine Mumienscheibe“
Vortrag von Mark Benecke zu Insekten auf Leichen
von Christian Dolle
Der Tod ist nicht das Ende des Lebens, sagt Dr. Mark Benecke, Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie. Es geht ihm allerdings nicht um theologische Betrachtungen, sondern um Insekten, die sich nach unserem Tod von uns ernähren.
Ja, das klingt ein bisschen eklig und ist sicher keine schöne Vorstellung, in jedem Fall aber nach einem spannenden Vortrag. Während des Vortrags war das Fotografieren streng untersagt – aus gutem Grund, wie bald deutlich wurde.
Erst einmal begann die Veranstaltung aber damit, dass Mark Benecke dieses Verbot noch einmal deutlich machte, ebenso bat er darum, während der Veranstaltung ruhig zu sein und wer rausgeht, beispielsweise auf Toilette, möge dann bitte auch bis zur Pause draußen bleiben, um nicht zu stören. Wie ernst er das meinte, zeigte sich immer wieder, wenn wirklich jemand aufstand oder mit dem Sitznachbarn tuschelte, dann unterbrach er nämlich umgehend und ging darauf ein.
Kindliche Neugier
Ein bisschen wie damals in der Uni. Dr. Benecke betonte nämlich erst einmal ganz klar, dass es bei seiner Arbeit nicht um Mutmaßungen, nicht um Annahmen und Wahrscheinlichkeiten gehe, sondern ausschließlich um Messdaten, also beweisbare Fakten. Er wertet an Tatorten Spuren aus, so erklärte er, ziehe nur die Schlüsse, die sich damit eindeutig belegen lassen. Ohne eine Wertung sieht man mehr, sagte er, „es ist eine kindliche Neugier und ein unverstellter Blick.“
Oft wird er von der Polizei zurate gezogen, da er als Freiberufler tätig ist, aber auch von Privatpersonen, die sich durch seine forensische Arbeit eine Aufklärung versprechen. Dann kommt er an den Tatort, findet eine Leiche vor, macht sich an deren Untersuchung, insbesondere eben an die Untersuchung der Insekten, die sich darauf tummeln. Dazu zeigte er Fotos echter Fälle, also spätestens jetzt wurde klar, warum dies sensible Informationen sind, die nicht auf jedem Zeitungsfoto oder in Social Media abgebildet sein sollten.
Später holte Mark Benecke dann in einem Exkurs noch aus, dass er das für Deutschland typische Fragen nach Moral und Ethik aus wissenschaftlicher Sicht oft hinderlich findet, ein Utilitarismus, wie er beispielsweise in den USA üblich ist, mache ihm seine Arbeit dort deutlich leichter. „Die Deutschen sind auch dafür bekannt, dass sie immer besserr wissen, wie alles läuft“, merkte er an, doch mit seiner Methode der unvoreingenommenen datenbasierten Beobachtung habe er schon etliche Fälle gelöst, bei denen die Polizei nicht weiterkam.
Bilder echter Leichen
Er schilderte einige dieser Fälle, zeigte die Bilder dazu, ausgetrocknete Leichen mit rotbrauner Haut, die von Maden bedeckt waren. Das Phänomen dieser Hautfärbung habe jeder schon gesehen und sogar schon gegessen, erklärte er. „Schinken ist nichts anderes als eine Mumienscheibe.“ Die Insekten gehen da nicht ran, so erläuterte er weiter, denn Schmeißfliegen legen ihre Eier nur an den feuchten Stellen wie Mund, Nase und Augen ab, da die Maden nur zersetztes Gewebe fressen können.
Ja, Mark Benecke sprach deutlich aus, was er wissenschaftlich untersucht und was ihm seine Messdaten verraten. Allerdings schaffte er es, das so flapsig und kurzweilig zu erzählen, dass der Schrecken dadurch für viele deutlich abgemildert wurde.
Überhaupt gab es vieles, was er mehr oder weniger zwischen den Zeilen sagte, was aber viel über ihn als Person und seine Ansichten aussagte. So thematisierte er auch den Klimawandel, der seine Arbeit deutlich beeinflusse. Insektenwachstum, und genau das misst er ja, ist nun einmal von Temperaturen abhängig, und die steigen – messbar - seit 2003 kontinuierlich an. Dadurch verändern sich Tatorte im Vergleich zu früher und insbesondere im Vergleich zu dem, was oft in Lehrbüchern steht. „Wir stehen nicht am Anfang eines Klimawandels, wir sind mittendrin“, machte Mark deutlich.
Nicht schön, aber eindrucksvoll
Nach der Pause - in der er eine halbe Stunde lang signierte und in der ich natürlich auch mein Foto bekam – zeigte er dann erst einmal einen Film. „Schweinchen“ von Jörg Buttgereit. Dort ist die Verwesung von kleinen Schweinchen innerhalb von sieben Tagen zu sehen, also angefangen bei den ersten Fliegen, die ihre Eier legen, bis hin zu geradezu unkenntlichen Kadavern, auf denen Tausende von Maden umherwimmeln. Nicht schön, aber eindrucksvoll.
Anschließend ging er auf einige Fragen ein, die ihm in der Pause gestellt worden waren. Maden können sogar zur Wundheilung eingesetzt werden, erläuterte er, beispielsweise in Fällen von bakteriell befallenem Gewebe, wozu unter anderem auch die multiresistenten Krankenhauskeime zählen. Die Maden fressen nämlich nur das befallene Gewebe, so dass Patienten mit dieser Methode geholfen werden kann und in etlichen anderen Ländern auch wird. Hier bei uns leider viel zu selten, da viele es eben eklig finden und es in der Esoterik-Szene angewendet wird, was auch für strikte Ablehnung sorgt. „Rein faktisch müsste es bei offenen Wunden in jedem Krankenhaus gemacht werden“, teilte Mark Benecke seine Ansicht mit.
Insgesamt war es somit ein Vortrag, der in ein für die meisten unbekanntes Themengebiet einführte, und viel Wissen mit dem nötigen Humor und persönlichen Sichtweisen präsentierte. Wissenschaft muss eben nicht trocken sein – darf sie auch nicht, denn an Trockenes gehen Maden ja nun mal nicht ran.
Eine etwas andere Version des Textes gibt es auch als Video: