Panorama

10.08.2017

„Als Arzt ist mir das Wertbild eines Patienten oft viel wichtiger als sein Blutbild“


Prof. Dr. Friedemann Nauck sprach über medizinische Vorausplanung für das Alter

...Christian Dolle (KKHL)

Wenn es um das Alter aus medizinischer Sicht geht, ist Prof. Dr. Friedemann Nauck bundesweit einer kompetentesten Ansprechpartner. Daher waren Superintendent Volkmar Keil und Pastorin Ute Rokahr gleichermaßen begeistert, dass der Direktor der Klinik für Palliativmedizin der Georg-August-Universität Göttingen die Einladung für gleich zwei Veranstaltungen im Kirchenkreis Harzer Land annahm.

Zunächst sprach er öffentlich zum Thema „Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase“, anschließend folgte noch ein Expertengespräch mit Mitarbeitenden im Gesundheitswesen.

Schon der Vortrag in der Osteroder Schlosskirche hatte es in sich. Prof. Nauck machte ziemlich deutlich, wie wichtig es ist, sich schon früh Gedanken zu machen, wie die letzte Lebensphase einmal aussehen soll und diesen Willen auch klar zu formulieren. Dass er dabei viele Zuhörer hatte, freute nicht nur den Redner und die einladenden, sondern spricht auch für die Relevanz dieses Themas.

„Warum ist Vorausplanung so spannend, dass heute Abend so viele da?“, fragte Nauck, „und warum ist es so schwer, sich heute zu überlegen, wie ich am Lebensende behandelt werden will?“ Für viele Menschen stehe fest, sie wollen nicht über Schläuche am Leben gehalten werden. Die Medizin berücksichtigt diesen Willen des Patienten. Doch in jedem Einzelfall stellen sich die Fragen etwas anders und daher ist es so wichtig, das diffuse „An Schläuchen hängen“ oder „Durch Maschinen am Leben gehalten“ genau zu definieren.

Eine Patientenverfügung ist verbindlich, deshalb sollte sie präzise sein, machte er deutlich. Sie tritt, genau wie eine Vorsorgevollmacht, häufig in Kraft, wenn es dem Patienten nicht mehr möglich ist, seinen Willen zu äußern. Umso wichtiger ist es also, sich vorher genau mit eben diesem Willen auseinanderzusetzen, nicht nur auf dem Papier, sondern in Gesprächen mit nahen Angehörigen, dem Hausarzt und möglicherweise auch einem Seelsorger. Sie alle können dabei helfen, das persönliche vage Empfinden in genaue Worte zu fassen.

„Machen Sie nie eine Patientenverfügung alleine“, riet Prof. Nauck. Damit dies den gewünschten Erfolg, also die juristisch eindeutigen Formulierungen bringt, müssen eben auch der Hausarzt und sämtliche Mitarbeitenden im Gesundheitswesen geschult sein und sich mit der Materie auskennen. Auch das ist komplexer als es sich im ersten Moment anhört, denn hier geht es um das persönliche Wertemodell des Patienten, das natürlich nur im persönlichen Kontakt und über intensive Gespräche begreifbar ist.

„Als Arzt ist mir das Wertbild eines Patienten oft viel wichtiger als sein Blutbild“, machte der Mediziner deutlich. Er sei froh, dass die Intensivmedizin gerade in den letzten Jahrzehnten unglaubliche Fortschritte mache, so Nauck, doch müsse eben immer auch die Überlegung eine Rolle spielen, wann Leben nicht um jeden Preis zu verlängern ist.

Ein System, das all dies auf eine regionale Ebene hebt und Strukturen schafft, die Einrichtungen, Notärzte und eben die Patienten vernetzen ist in vielen Ländern als „Advance Care Planning“ (ACP) bekannt. Dafür macht sich Nauck auch in Deutschland stark, regt Diskussionen mit der Politik an und möchte die Entwicklung solcher Netzwerke bestärken. Medizin, Familien und auch die Kirchen könnten hier eng zusammenarbeiten, um den Einzelnen in seiner letzten Lebensphase nicht allein dastehen zu lassen, sondern ihm dabei zu helfen, seine Wünsche, seinen Willen so zu formulieren, dass Fachkräfte ihn nachvollziehen und als oberstes Gebot befolgen können.

Wie das ACP in der Praxis aussehen kann, darum ging es in der anschließenden Expertenrunde, die unter dem Motto „Behandlung im Voraus planen“ stand und zu der der Kirchenkreis Harzer Land, Arbeitsstelle für Alten(heim)seelsorge und der Diakonieausschuss des Kirchenkreises eingeladen hatten.


 

Anzeige