Kultur / Rezensionen
22.07.2023
Zwei unglaublich starke Hauptfiguren
John Ajvide Lindqvist liest bei Mordsharz aus „Refugium“
von Christian Dolle
Bei der Mittsommerparty eines schwedischen Unternehmers werden alle Gäste von maskierten Tätern grausam hingerichtet. Nur die Tochter kann sich durch einen Sprung ins Wasser retten und überlebt. Für die Ermittler Julia Malmros und Kim Ribbing wird sie somit zur wichtigen Zeugin und bringt die beiden auf die Spur von globalem Emissionshandel und illegalem Ölgeschäft, die bis nach Shanghai und Havanna führt.
„Refugium“ ist der erste Teil einer neuen Trilogie von John Ajvide Lindqvist, die an die Millennium-Reihe von Stieg Larsson denken lässt. Der Vergleich ist an dieser Stelle keinesfalls eine Übertreibung, denn der Thriller beginnt mit Julia Malmros, die von ihrem Verlag den Auftrag erhält, einen neuen Band um Lisbeth Salander und Michael Blomkvist zu schreiben.
Julia war Polizistin, arbeitet jetzt als Krimiautorin und sieht nun ihre große literarische Chance gekommen. Um dieser gerecht zu werden, macht sie den jungen Hacker Kim Ribbing ausfindig, der sie in einige Geheimnisse von Computern, Netzwerken und ihrer Sicherheitslücken einweihen soll. Kim wiederum hat eine düstere Vergangenheit, die ihn zu einem Sonderling macht, was Julia die Zusammenarbeit mit ihm auf der einen Seite erschwert, sie auf der anderen aber auch anzieht.
Es ist vor allem diese Figurenkonstellation, aus der Lindqvist sein Potenzial schöpft. Zum einen, weil die beiden tatsächlich an die beiden Protagonisten aus Millennium erinnern, zum anderen, weil beide für sich und insbesondere gemeinsam so stark sind, dass sie sich dem Leser einbrennen und die Geschichte vorantreiben.
Das passiert zum einen durch die sexuelle Beziehung beider, dann durch Kims einfühlsamen Umgang mit der minderjährigen Überlebenden des Anschlags und nicht zuletzt dadurch, dass ausgerechnet Julias Exmann in dem Fall ermittelt. Es entspinnt sich eine kuriose Liebesgeschichte, der allmähliche Blick in Kims Psyche und eben eine globale Jagd nach den Tätern in einem ziemlich aktuellen und realitätsbezogenen Fall.
Lindqvist gilt in Schweden als Kultautor, ist mehrfach preisgekrönt und wurde in Hollywood verfilmt. Dass er schreiben kann, beweist er mit diesem Buch allemal, es ist ein langsamer Spannungsaufbau, der der Entwicklung der Figuren viel Zeit lässt und dabei viele Hintergründe andeutet, die vielleicht in den folgenden Bänden noch deutlicher zum Tragen kommen könnten. Vor allem aber schafft er es, seine Leser emotional zu packen und vollkommen mitzureißen, und zwar auf der reinen Thrillerebene wie auch auf der zwischenmenschlichen, die wie gesagt zwei starke Charaktere zeichnet.
Die Frage, wie jener Unternehmer so reich werden konnte und warum er sich dabei solche Feinde machte, steht im Mittelpunkt des Falles, im Verlauf der Handlung kommen immer auch Fragen auf, wie häufig es etwas ganz Ähnliches wohl auch in der Realität gibt und warum es vollkommen unentdeckt bleiben kann. Somit ist dieser Thriller auch letztlich wieder ein bitterböser Blick auf unsere Zeit und damit ungemein vielschichtig.
Am 16. September ist John Ajvide Lindqvist beim Mordsharz-Festival in Walkenried zu Gast.
Ab 19.30 Uhr wird er im Kloster Walkenried aus „Refugium“ lesen. Vorher, um 18 Uhr wird Harzer Hammer-Gewinner Peter Grandl den Abend mit seiner Lesung aus „Turmgold“ eröffnen, den Abschluss machen dann um 21 Uhr Axel Petermann und Petra Mattfeld mit „Im Kopf des Bösen – Der Sandmann“.
Weitere Informationen zum Festival, zum vollständigen Programm und zum Vorverkauf gibt es auf www.mordsharz-festival.de.